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Zahnmedizinischer Nachwuchs

Ausgabe 7/2021

30 Berufspolitik

30 Berufspolitik Deutsches Netzwerk für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) Neuer Standard für die Mundgesundheit in der Pflege Foto: AdobeStock/hailey_copter Pflegeexperten und Zahnmediziner setzen sich erstmals gemeinsam für Menschen mit Unterstützungsbedarf ein. Ende Mai wurde der Expertenstandard zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege erstmals der Fachöffentlichkeit vorgestellt. Expertenstandard. Pflegebedürftige brauchen besondere Unterstützung bei der Pflege von Zahn- und Mundgesundheit. Deshalb wurde Ende Mai der Expertenstandard zur Förderung der Mundgesundheit in der Pflege erstmals vorgestellt. Schon seit über zwanzig Jahren orientiert sich pflegerisches Handeln in Deutschland an den Expertenstandards des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP) an der Hochschule Osnabrück. Themen wie z. B. Sturzprophylaxe, Schmerzmanagement oder aktuell die Mundgesundheit sind in allen Settings der Pflege – ob ambulant oder stationär, ob Krankenhaus oder Pflegeeinrichtung – von großer Relevanz. Immer wenn ein neuer Standard vorgestellt wird, geht ein Ruck durch die Pflege. Aufgrund der großen Erfolge unserer zahnärztlichen Präventionsarbeit stehen Pflegekräfte schon länger vor der Herausforderung, dass Menschen mit pflegerischem Unterstützungsbedarf in Deutschland immer mehr eigene Zähne haben oder technisch aufwendigen Zahnersatz, teilweise auch implantatverankert tragen. Täglich mehrmals sollte eine bedarfsgerechte Mundund Prothesenhygiene durchgeführt werden. Die Folgen unzureichender Mundhygiene können neben Karies, Parodontitis und Mundgeruch auch schmerzbedingt aggressives Verhalten sein, was den Pflegealltag zusätzlich belastet. Zudem sind die Auswirkungen einer schlechten Mundgesundheit auf den allgemeinen Gesundheitszustand, die Ernährung und das Wohlbefinden inzwischen wissenschaftlich immer besser untersucht und teilweise bereits gut belegt. In der Praxis sehen wir, dass kaum ein Mensch mit pflegerischem Unterstützungsbedarf im Stande ist, seine Zähne, den Mund und eventuell vorhandenen Zahnersatz bedarfsgerecht zu pflegen. Die Zeitvorgaben für pflegerische Maßnahmen sind knapp bemessen und die Mundhygiene in der Pflege ist bis heute ein „Stiefkind“, weil auch die Ausbildung den Bedarfen nicht gerecht wird. Es gab bisher in Deutschland zudem keine abgestimmten verbindlichen Vorgaben für die Durchführung der Mundpflege bei Menschen mit pflegerischem Unterstützungsbedarf. Um Pflegefachkräfte bei der Förderung der Mundgesundheit dieser Menschen zu unterstützen, wurde nun – nach über zweijähriger Arbeit – ein abgestimmtes Leistungsniveau in Form des Expertenstandards zur „Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“ vorgestellt. Recherche. Am Beginn des Entwicklungsprozesses stand eine umfassende Literaturrecherche – hier wurde nach einem wissenschaftlichen Verfahren die weltweit verfügbare Literatur gesichtet. Die zugrundliegenden Fragestellungen waren dabei im Vorfeld mit der Expertenarbeitsgruppe abgestimmt worden. Der Standard selbst ist eher abstrakt formuliert und gliedert sich in fünf Ebenen (Einschätzung, Planung, Beratung, Durchführung, Evaluation) jeweils unterteilt nach den Kategorien Struktur, Prozess und Ergebnis. Diesem Raster folgend, erarbeitete die Expertenarbeitsgruppe aus der verfügbaren Literatur und durch intensive Abstimmung innerhalb der Gruppe die sogenannte Kommentierung. Die Kommentierung soll helfen, den Standard in das jeweilige Pflege-Setting mit seinen verschiedenen Zielgruppen zu implementieren. Die drei folgenden Beispiele geben exemplarisch Einblicke in zentrale Fragen des Standards, die auch für uns Zahnärzte eine hohe Relevanz haben. ZBW 7/2021 www.zahnaerzteblatt.de

Berufspolitik 31 1. Die Literatur weist eine Vielzahl an Instrumenten zur Einschätzung der Mundgesundheit auf. Diese sind jedoch häufig für wissenschaftliche Auswertungen eher komplex strukturiert oder auf bestimmte Zielgruppen fokussiert. Daher hat sich die Expertenarbeitsgruppe entschieden, ein eigenes zweistufiges Verfahren mit Screening und Assessment vorzuschlagen, dass für alle Settings der Pflege geeignet ist. Die Festlegung möglichst allgemeingültiger Kriterien war ein zeitintensiver Prozess, der sehr anschaulich gezeigt hat, wie wichtig die Interpretation und Bewertung der Literatur durch die Expertenarbeitsgruppe ist. Für eine bessere Akzeptanz in der Pflegepraxis war es der Gruppe wichtig, dass das Screening als erste Einschätzung ohne Inspektion der Mundhöhle möglich ist. Die umfassendere Beurteilung im Rahmen des Assessments wird nur nötig, wenn das Screening Probleme bzw. Risiken identifiziert hat. Das Assessment fokussiert in diesen Fällen dann aber zudem auch auf mögliche Ursachen für Riskiken oder Probleme der Mundgesundheit. 2. Die Expertenarbeitsgruppe betont in allen Ebenen, dass personenzentriertes Arbeiten die Ressourcen, Vorlieben und Abneigungen des Menschen mit pflegerischem Unterstützungsbedarf im Blick haben muss, um ein höchstmögliches Maß an Selbständigkeit zu erreichen (aktivierende Pflege). Ist trotz aller Anstrengungen die Durchführung der Mundpflege durch die Pflegefachkraft geboten, stehen neben der korrekten Anwendung der notwendigen Pflegemittel vor allem eine ergonomische Arbeitshaltung und die Vermeidung von Aspiration im Vordergrund. Dafür hat die Expertenarbeitsgruppe detaillierte Empfehlungen formuliert. Favorisiert wird die Mundpflege bei guter Leistungsbereitschaft in sitzender Position am Waschbecken im Bad. Alternativ werden auch Techniken für die Durchführung der Mundpflege im Bett beschrieben. 3. In den verschiedenen Ebenen werden die möglichen bzw. nötigen interprofessionellen Schnittstellen benannt. So hat die Expertenarbeitsgruppe die in Deutschland aktuell bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen in den Kommentierungen berücksichtigt. Kooperationsverträge zwischen Zahnärzten und stationären Pflegeeinrichtungen aber auch die zahnärztlichen Präventionsleistungen des Mundgesundheitsstatus, des individuellen Mundgesundheitsplanes und der Mundgesundheitsaufklärung für alle Menschen mit zugeordnetem Pflegegrad oder Eingliederungshilfe werden als Chance zur Förderung der Mundgesundheit bei Menschen mit pflegerischem Unterstützungsbedarf hervorgehoben. Qualitätsmethodisch sind Expertenstandards grundsätzlich mit S3-Leitlinien zu vergleichen. Evidenzbasiert und formal konsentiert erfolgte nach der unabhängig arbeitenden Expertenarbeitsgruppe am 28.5.2021 die weitere Abstimmung im Rahmen einer fachöffentlichen Konsensus-Konferenz (online) mit fast 400 Teilnehmern. Als nächster Schritt geht daraus ein weiterer Sonderdruck hervor und es folgt die Phase der sogenannten modellhaften Implementierung. Hier soll der Standard vom DNQP wissenschaftlich begleitet seine Alltagstauglichkeit in einem kleinen Kreis von ca. 25 Einrichtungen, die möglichst alle Settings repräsentieren, unter Beweis stellen und es können sich noch weitere Anpassungen des Standards daraus ergeben. Erst nach der modellhaften Implementierung wird der Expertenstandard, voraussichtlich im September 2022 im Rahmen eines Workshops abschließend vorgestellt und in der Folge veröffentlicht. Jedoch bereits jetzt nach der Konsensus-Konferenz ist damit zu rechnen, dass an uns Zahnärzte immer öfter aus der Pflege die Bitte um Unterstützung herangetragen wird. Das ist für uns eine große Chance, unsere Verantwortung und unseren Beitrag zur (Mund-)Gesundheit in der Bevölkerung wahrzunehmen und zu leisten. Dr. Elmar Ludwig, Mitglied der DNQP-Expertenarbeitsgruppe für die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) Info „Expertenstandard Mundgesundheit, wer ist dabei?“ Die wissenschaftliche Leitung dieses Standards hat Prof. Dr. Erika Sirsch von der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar. Prof. Sirsch und ihr wissenschaftliches Team haben unter anderem die Recherche und Analyse der Literatur durchgeführt. Prof. Dr. Andreas Büscher und sein Team vom DNQP koordinieren und moderieren den Gesamt-Prozess. Die Expertenarbeitsgruppe selbst ist ein Gremium von etwa 20 Expertinnen und Experten aus den Bereichen der Pflege und Zahnmedizin sowie ein Vertreter der Patienten und Angehörigen. Aus der Zahnmedizin waren als Mitglieder der Expertenarbeitsgruppe beteiligt: Prof. Dr. Ina Nitschke, MPH (Präsidentin der DGAZ), Dr. Elmar Ludwig, (Vertretung der BZÄK und DGAZ-Landesbeauftragter Baden-Württemberg), Prof. Dr. Andreas Schulte (Vorsitzender AGZMB), Prof. Dr. Roswitha Heinrich-Weltzien (AG ZMB) und Dr. Sebastian Ziller, MPH (Leiter der Abteilung Prävention und Gesundheitsförderung der BZÄK). 1. DNQP- Mundgesundheit https://bit.ly/ 2SLRzh7 2. Mund- Pflege 3D https://bit.ly/ 3cRnjsa 3. Mundpflege- Empfehlungen https://bit.ly/ 2U2hPEf www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2021

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