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Zahnmedizinischer Nachwuchs

Ausgabe 7/2021

18 Titelthema zügig

18 Titelthema zügig voran. Dann bekamen wir das Angebot einer Übernahme. Dieses Angebot sahen wir uns eigentlich nur aus reinem Interesse an und letztlich haben wir uns dafür entschieden. In Zeiten der Coronapandemie hat uns diese Entscheidung, eine bestehende Praxis zu übernehmen, sicherlich den Start einfacher gemacht. Haben Sie Gründungsunterstützungsberatung genutzt? Ja, und über dieses Angebot sind wir rückblickend auch sehr dankbar, da hierdurch viel Licht ins Dunkel kam und sicherlich viele Fehler vermieden wurden. Was war rückblickend betrachtet, die wertvollste Unterstützung für Sie? Jeder Part ist auf eine andere Art zur gegebenen Zeit wichtig. Der Niederlassungsberater hat uns von Anfang an in sämtlichen Fragen unterstützt und die verschiedensten Projekte aus unterschiedlichen Blickwinkeln beleuchtet. Er bot uns auch das Netzwerk aus Steuerberater, Rechtsanwalt, Banken und Dentaldepots an. Von Vorteil war, dass alle aus dem Netzwerk wie ein Zahnrad ineinandergegriffen haben. Berichten Sie uns von Ihrem größten Glücksmoment in dem Zusammenhang der Praxisgründung? Das schönste Gefühl für uns war, sich mit der eigenen Praxis und dem eigenen Konzept verwirklichen zu können. Die hohen Qualitätsansprüche ohne Abstriche in Kauf zu nehmen, und umsetzen zu können, mit einem Team, das das Ganze täglich unterstützt und mitträgt Die Gründung einer Zahnarztpraxis ist ein langfristiger und komplexer Prozess, der nicht immer einfach und reibungslos funktioniert. Gab es in Ihrem Fall große Überraschungen oder unerwartete Herausforderungen? Die Praxisübernahme ist noch nicht allzu lang her. Man stellt sich natürlich immer wieder die Frage, ob man mit dem Team und dem Konzept „auf Kurs“ ist. Nach einer Übernahme ergeben sich durch Modernisierungen auch Veränderungen, sowohl fürs Team als auch für die Patient*innen. Das ist und bleibt eine stetige Herausforderung. Was raten Sie Kolleg*innen, bevor Sie sich niederlassen? Den Schritt ins Ungewisse einfach zu wagen und sich einem Netzwerk aus Berater*innen anzuvertrauen, mit denen man sich gut versteht. Das hilft ungemein. Übernahme der kieferorthopädischen Familienpraxis Im April dieses Jahres übernahmen Dr. Meike und Dr. Florian Behrend die kieferorthopädische Praxis ihres Vaters und seines Schwiegervaters. Dr. Reinhard Schugg hatte die Praxis auf den Tag genau 36 Jahre zuvor eröffnet. Die jetzige Praxis beinhaltet vier Stühle auf circa 180 m² mit insgesamt drei Kieferorthopäden und zehn Angestellten. Ab Mitte 2023 zieht das Praxisteam in neue Räumlichkeiten. Neugründung oder Übernahme? Gemeinschafts- oder Einzelpraxis? Stadt oder Land? Diese Frage stellte sich Ihnen nicht, da Sie die Praxis übernommen haben. Empfanden Sie es eher als Bürde oder als Vorteil, dass eine Praxis vorhanden war? Dr. Florian Behrend: Für mich stand bereits seit Studienzeiten fest, dass ich selbstständig in meiner eigenen Praxis arbeiten möchte. Als Student habe ich mir relativ wenig Gedanken über den bürokratischen Aufwand gemacht. Das hat sich schlagartig geändert, als ich als Weiterbildungsassistent die Begehung durch das Regierungspräsidium federführend durchführen durfte. Die undurchsichtigen Vorgaben des RKI, die sich wiederum auf DIN-Normen beziehen, haben mir doch deutlich gezeigt, welchem Aufwand Praxisinhaber*innen heutzutage ausgesetzt sind. Deshalb sind wir wirklich froh, dass sich die Last auf zwei Schultern verteilt. Eine Einzelpraxis stand dementsprechend nicht zur Debatte. Dr. Meike Behrend: Da mein Vater eine kieferorthopädische Fachpraxis führte, war es naheliegend, diese zu übernehmen. Ich bin sehr froh darüber, dass zwar das Angebot, aber nicht die Pflicht zur Übernahme bestand. Kurzzeitig verfolgten wir auch die Option, eine komplett neue Praxis zu gründen, was sich jedoch relativ schnell wieder verworfen hat. Nach unserem Studium waren wir in Tübingen, Stuttgart, Ulm und in Göttingen tätig. Die Niederlassung in einer Universitätsstadt hatten wir ursprünglich aufgrund des Freizeitangebots favorisiert. Die Vorzüge von Rottweil mit der bestehenden Praxis haben nun aber doch überwogen, vor allem weil ein Großteil unserer Freunde mittlerweile wieder in die Nähe gezogen ist. Was war rückblickend betrachtet, die wertvollste Unterstützung für Sie? Dr. Meike Behrend: Die größte Unterstützung war letztlich die freie Entscheidung zur Praxisübernahme. Studienkolleg*innen, deren Eltern ebenso eine Praxis zu übergeben hatten, hatten da durchaus weniger Entscheidungsfreiheiten und weniger Bedenkzeit. Nach der Assistenzzeit waren diese fest in der Praxis eingeplant. Ich hatte die Freiheit, mit meinem Mann für seine Facharztweiterbildung nach Göttingen mitzukommen und konnte so noch weitere Erfahrung in einer großen kieferorthopädischen Praxis in Hannover sammeln. Die Einblicke in unterschiedliche Praxiskonzepte, die wir auch bei etlichen Hospitationen bekommen konnten, haben uns ZBW 7/2021 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 19 bei der Konzeptentwicklung für unsere eigene Praxis immens geholfen. Vor allem aber haben wir schon von einer guten Facharztweiterbildung an den Universitätskliniken in Ulm bei Prof. Lapatki und in Göttingen bei Prof. Meyer-Marcotty profitiert, was uns die alltägliche Arbeit am Menschen, auch bei komplexesten Fällen, erleichtert. Dr. Florian Behrend: Zudem war die Vorarbeit und das Rückenfreihalten durch meinen Schwiegervater unbezahlbar. Das gesamte Praxisteam hat bei allen Änderungen und Neuerungen an einem Strang gezogen und auch die Patient*innen wurden rechtzeitig über die Übernahme informiert. Das war schon sehr hilfreich und hat uns einen reibungslosen Start ermöglicht. Dr. Meike und Dr. Florian Behrend mit Dr. Reinhard Schugg: Am Tag der Praxisübernahme wurde die Chefrolle neu definiert und es war sicherlich für den Senior die größte Herausforderung, Entscheidungen nicht selbst zu treffen, sondern nur beratend tätig zu sein. Foto: Dominik Hildebrandt Sie arbeiten mit zwei Generationen in einer Praxis. Denken Sie, dass sich daraus Konflikte ergeben könnten? Dr. Florian Behrend: Allein der Wechsel von einer Einzelpraxis mit einem Behandler zu einer Mehrbehandlerpraxis bedeutet für das ganze Team eine Umstellung. Einerseits werden viele Dinge umgekrempelt, digitalisiert und auf unsere Behandlungsweise angepasst. Andererseits wird auch Vieles, was sich über Jahrzehnte etabliert und bewährt hat, beibehalten. Dr. Meike Behrend: Am Tag der Praxisübernahme wurde die Chefrolle neu definiert und es war sicherlich für meinen Vater die größte Herausforderung, Entscheidungen nicht selbst zu treffen, sondern nur beratend tätig zu sein. Das hat bisher sehr gut geklappt und wir sind dankbar für alle möglichen Tipps und Hilfestellungen bei den alltäglichen Fragen und Problemen. Auch das Team wurde positiv auf die Änderungen vorbereitet und zieht an einem Strang. Was raten Sie Kolleg*innen, bevor Sie sich niederlassen? Dr. Florian Behrend: Das Angestellten-Leben genießen! Die Bürokratie, die unzähligen Formulare und Schreiben, die jeden Tag eingehen und bearbeitet werden müssen, sind zu Beginn eine ziemliche Herausforderung. Gerade anfangs ist man mit vielen Dingen beschäftigt, die man selbst lernen muss wie z. B. die Buchhaltung. Diese bürokratischen Hürden sind, wenn man gleichzeitig noch ausreichend für seine Patient*innen da sein will, für eine Person kaum zu bewältigen. Ich bin wirklich verwundert, wie mein Schwiegervater dies jahrelang allein stemmen konnte. Es ist letztlich schade, dass Freiberufler mit Großunternehmen in vielen Aspekten gleichgesetzt werden. Daher darf man sich letztlich auch nicht wundern, dass sich immer weniger Kolleg*innen selbstständig machen, dafür aber zahlreiche IMVZs aus dem Boden sprießen. Nichtsdestotrotz lohnt es sich, den Schritt zu wagen und seine eigene Existenz aufzubauen. Die Selbstbestimmtheit, die freien Gestaltungsmöglichkeiten und die Arbeit am „eigenen Projekt“ motiviert immens und macht Freude. Wir haben mehrere Freunde, die mehr oder weniger zeitgleich den Schritt in die Selbstständigkeit gewagt haben und unsere Treffen zum gemeinsamen Brainstorming tragen letztlich dazu bei, jegliche Hürden und Herausforderungen erfolgreich und mit Spaß an der Sache zu meistern. Weitere Infos Die Gespräche führte Cornelia Schwarz Mit „Future Now - Junge Zahnärztinnen und Zahnärzte in Baden- Württemberg“ hat die Landeszahnärztekammer ein umfangreiches Projekt ins Leben gerufen. Es richtet sich vor allem an junge Zahnärzt*innen beim Übergang vom Studium ins Berufsleben, während ihrer Assistenzzeit und zu Beginn ihrer Berufsausübung. Ziel des Projekts ist es, junge Kammermitglieder mit verschiedenen Veranstaltungen auf ihre Existenzgründung und die damit verbundenen Herausforderungen vorzubereiten und den fachlichen Austausch untereinander zu fördern. Weitere Informationen finden Sie im Internet unter: www.lzkbw.de. www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2021

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