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Zahnmedizinische Versorgungszentren

Ausgabe 3/2020

Titelthema 13 Interview

Titelthema 13 Interview mit Dr. Florentine Carow-Lippenberger und Dr. Christian Engel Interessenvertretung ist Voraussetzung für den Erhalt der Freiberuflichkeit In der vertragszahnärztlichen Versorgung ist vielfach von einem Strukturwandel auf mehreren Ebenen die Rede. Doch wie wird das Berufsfeld in Zukunft aussehen? Unterschiedliche Praxisformen und flexiblere Arbeitszeitmodelle sollen eine individuelle Gestaltung der Berufsausübung gewährleisten. Welche Möglichkeiten, aber auch welche Herausforderungen erwarten den beruflichen Nachwuchs und welche Aufgabe hat dabei die vertragszahnärztliche Selbstverwaltung? Im ZBW-Interview: Dr. Florentine Carow-Lippenberger, KZV- Vorstandsreferentin für Frauen und Angestellte in der Selbstverwaltung, und Dr. Christian Engel, KZV-Vorstandsreferent für Zukunftsfragen. ZBW: Herr Dr. Engel, als Referent für Zukunftsfragen begleiten Sie die Veränderungen im Berufsstand intensiv. Wagen Sie doch mal eine Prognose: Was wird in 20 Jahren der sichtbarste Unterschied zu heute sein? Dr. Engel: Das kann natürlich niemand genau vorhersagen. Soviel ist jedoch klar: Wir befinden uns jetzt schon in einer Phase des großen gesellschaftlichen Umbruchs. Dieser wird sich auch auf die Art und Weise, wie wir weiterhin unseren zahnärztlichen Beruf ausüben können, auswirken. In Zukunft könnte vor allem derjenige Zahnarzt unverzichtbar bleiben, der etwas therapieren kann, was die „Apple-Watch“ eben nicht kann. Die Praxisstrukturen werden sich ebenfalls weiter verändern, immer mehr Akteure drängen schon jetzt auf den Gesundheitsmarkt. Im Jahr 2040 werden lokal und regional innovative zahnärztliche Gesundheitsdienstleistungen essenzieller Bestandteil einer modernen Daseinsvorsorge sein. Das Arbeitsumfeld wird sich dabei völlig verändern. Die Digitalisierung der zahnmedizinischen Versorgung wird eine neue Ära einläuten – E-Health wird eine gänzlich andere Interaktion zwischen Patienten Dr. Christian Engel und Zahnärzten unter- und miteinander ermöglichen. 2040 steht der Patient vollständig im Zentrum einer umfassenden Vernetzung. Frau Dr. Carow-Lippenberger, als Referentin für Frauen und Angestellte in der Selbstverwaltung kümmern Sie sich um die Belange von zwei Gruppen, die einen seit Jahren wachsenden Teil innerhalb der Zahnärzteschaft ausmachen. Worin sehen Sie Ihre zentrale Aufgabe? Dr. Carow-Lippenberger: Meine Aufgabe besteht darin, Ansprechpartnerin für alle Zahnärztinnen und speziell für angestellte Zahnärztinnen und Zahnärzte zu sein. Durch den Kontakt mit den Kolleginnen und Kollegen möchte ich Probleme aufnehmen, die im Praxisalltag entstehen können, um den Vorstand der KZV darin zu unterstützen für diese Probleme Lösungswege aufzuzeigen. Außerdem möchte ich herausfinden, inwiefern die KZV den angestellten Zahnärztinnen und Zahnärzten mehr zur Seite stehen kann bzw. welche Art von Support gewünscht ist. Durch den Newsletter, der in regelmäßigen Abständen veröffentlicht wird, sollen Themen aufgegriffen werden, die für die entsprechende Personengruppe interessant sind. Ich möchte Kolleginnen und Kollegen motivieren, den Schritt in die Selbstständigkeit zu wagen und auch zeigen, dass es sich lohnt, sich standespolitisch zu engagieren. Mein Wunsch ist es, die Bedeutung der Interessenvertretung durch die Selbstverwaltung des eigenen Berufsstands für die Zukunft besonders für die jungen Kolleginnen und Kollegen deutlich zu machen. Foto: Johannes Wosilat Wie schlägt sich der Wandel innerhalb der Zahnärzteschaft auf die Praxisstrukturen nieder? Dr. Engel: Die jüngeren Kolleginnen und Kollegen werden vermehrt auf ein ausgeglichenes Verhältnis zwischen Beruf, Familie und Privatleben Wert legen. Die sich verändernde Arbeitswelt fordert hierauf neue Antworten. Zu den prägenden Merkmalen dieser neuen Arbeitswelt zählen flexible Arbeitsbedingungen, selbstständige Tätigkeiten und alternative Karrieremodelle. www.zahnaerzteblatt.de ZBW 3/2020

14 Titelthema Die Selbstständigkeit wird kritisch mit den Vor- und Nachteilen gegenüber einer Angestelltentätigkeit abgewogen werden. Dementsprechend werden Teilzeit-Arbeitsmodelle eine große Rolle spielen. Das neue Denken setzt nicht mehr nur auf Geld und Status. An ihre Stelle treten andere Werte, wie z. B. „Work-Life-Balance“. Der Zahnarzt als Einzelkämpfer in seiner eigenen Praxis, der jeden seiner Patientinnen und Patienten persönlich und häufig seit Jahren kennt – gehört diese Vorstellung der Vergangenheit an? Dr. Engel: Keiner will mehr Einzelkämpfer sein. Die Einzelpraxis wird zwar seltener werden, dennoch werden gut aufgestellte, individuell an die Bedürfnisse ihrer Patienten angepasste Einzelpraxen auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Kaum ein Thema schlägt derzeit so hohe Wellen wie das der Gesundheit. Jeder möchte für sich das Bestmögliche. Da spielt die persönliche Arzt-Patient-Beziehung eine wichtige Rolle – und diese könnte Einzelpraxen als Alleinstellungsmerkmal dienen. Wenn wir uns die Ergebnisse der von der KZV BW durchgeführten Patientenumfrage ansehen, wird der Wunsch der Patienten nach „ihrem“ Zahnarzt ungebrochen bleiben, wenngleich es einen Teil insbesondere jüngerer Patienten gibt, denen die Behandlerwahl nicht mehr so wichtig zu sein scheint. Offensichtlich müssen beide Geschlechter verstärkt zur Niederlassung in die Selbstständigkeit motiviert werden. Warum entscheiden sich heute viele frisch approbierte Zahnärztinnen und Zahnärzte zunächst gegen eine eigene Praxis? Dr. Carow-Lippenberger: Zum Berufseinstieg ist es meist einfacher, im Angestelltenverhältnis Erfahrungen zu sammeln. Dafür kann es viele Gründe geben. So kann man sich im Angestelltenverhältnis schwerpunktmäßig auf die Behandlung konzentrieren. Außerdem überblickt man nach dem Studium nicht unbedingt bereits alle Rahmenbedingungen und Vorschriften, die man bei der zahnärztlichen Behandlung einzuhalten hat. In bestehenden Strukturen in der Praxis fällt dies einfacher. Ein anderer wichtiger Aspekt ist die Flexibilität im Angestelltenverhältnis im Vergleich zur Selbstständigkeit. Manchen fällt die Festlegung auf einen Wohn- und Arbeitsort anfangs schwer, oder der/die Partner/in ist mit der Ausbildung noch nicht fertig und man möchte sich noch nicht festlegen. Außerdem ist für die jüngeren Generationen die Work-Life-Balance im Angestelltenverhältnis besonders wichtig. Dr. Florentine Carow-Lippenberger Die Selbstständigkeit ist mit deutlich mehr Verantwortung und wirtschaftlichem Risiko verbunden. Man muss sich auch mit Dingen beschäftigen, die nichts direkt mit der Patientenbehandlung zu tun haben wie etwa Personalführung, Arbeitssicherheit, Buchhaltung etc. Diese zusätzliche Belastung schreckt sicherlich junge Zahnärztinnen und Zahnärzte anfangs ab, den Schritt in die Selbstständigkeit zu gehen. Bei Frauen kommt sicherlich noch hinzu, dass die Familienplanung im Angestelltenverhältnis auf den ersten Blick besser vereinbar erscheint als in der Selbstständigkeit. Zusammenfassend kann man sagen, dass das Angestelltenverhältnis anfangs mehr Flexibilität, weniger Risiko und weniger Verantwortung bietet. Die Selbstständigkeit bietet jedoch meiner Ansicht nach die größeren Vorteile. Ich kann meine Zeit für die Familie flexibel einteilen, ich habe das Sagen und kann mich frei entfalten. Was empfehlen Sie Ihren jungen Kolleginnen und Kollegen zum Berufseinstieg? Wie wählt man die richtige Praxis und das beste Konzept für seine persönlichen Ziele? Dr. Carow-Lippenberger: In der Assistenzzeit sollten die fachliche Ausbildung und die Weiterentwicklung der eigenen Fertigkeiten im Vordergrund stehen. Dazu gehört, dass man in alle Bereiche Einblicke bekommt, sowohl in die Behandlung als auch in die Praxisabläufe und Abrechnung. Nach oder bereits in der Assistenzzeit entstehen gegebenenfalls schon Präferenzen für die eigene berufliche Zukunft. Möglicherweise kann es aber auch noch sinnvoll sein, in einer anderen Praxis oder einer anderen Praxisform zu arbeiten, wenn die erste Stelle nicht die erhoffte Entscheidungsfindung gebracht hat. Heutzutage hat man mehr Zeit, sich auf die Freiberuflichkeit, Selbstständigkeit und Niederlassung vorzubereiten. Wenn man sich diese nehmen will, sollte man das auch tun. Im Endeffekt muss jedoch jede/r früher oder später für sich selbst entscheiden, welche Punkte einem für die eigene berufliche Zukunft wichtig sind: Möchte ich meine eigene Chefin oder mein eigener Chef sein? Möchte ich Teil eines Teams sein oder möchte ich ein Team führen? Möchte ich in einem vorgegebenen Rahmen arbeiten oder möchte ich diesen Rahmen selbst festlegen? Möchte ich flexibel bleiben oder mich langfristig auf einen Ort Foto: privat ZBW 3/2020 www.zahnaerzteblatt.de

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