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Zahnmedizinische Versorgungszentren

Ausgabe 3/2020

Berufspolitik 11 Eine

Berufspolitik 11 Eine Positionierung von Dr. Torsten Tomppert Stoppt Fremdinvestoren im deutschen Gesundheitswesen Mit der Zulassung facharztgleicher Medizinischer Versorgungszentren durch das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz im Jahr 2015 schossen auch Zahnmedizinische Versorgungszentren wie Pilze aus dem Boden. Im dritten Quartal 2019 gab es bundesweit rund 950 dieser, oft als GmbH geführten Zahnärztegesellschaften. Davon befinden sich knapp 20 Prozent in der Hand finanzstarker Fremdinvestoren. Diese agieren als Beteiligungsgesellschaften in Form von milliardenschweren Private-Equity-Gesellschaften (PEG) mit Sitz im Ausland, die mangels Alternativen vor allem im deutschen Gesundheitsmarkt Fonds auflegen und ein gelungenes Investment wittern. Private-Equity-Experte Dr. Scheuplein vom Institut für Arbeit und Technik an der Westfälischen Hochschule Gelsenkirchen hat in seiner im letzten Jahr veröffentlichten Studie diese Investorenstrukturen und Transaktionsprozesse detailliert untersucht und einen massiven Anstieg der Übernahmen durch PE-Fonds konstatiert. So entstünden mittels der Buy-and-Build-Managementstrategie teils internationale Konzernstrukturen. Das hat meines Erachtens ganz gravierende Folgen für das deutsche Gesundheitssystem. Zudem besteht die Gefahr, den Patienten medizinisch nicht indizierte Leistungen von unter Verkaufsdruck stehenden, meist jungen Zahnärzt*innen anzubieten, nur um den nötigen Umsatz- und Gewinnrenditen zu genügen. Damit wird eine Berufsausübung auf dem Fundament freiberuflicher Werte zunehmend gefährdet. Außerdem gehen dem deutschen Staat Millionen an Steuereinnahmen und Beiträgen deutscher Krankenversicherter verloren, da laut Gelsenkirchener Studie die Gewinne der PE-Fonds an die Großinvestoren mit Sitz in diversen Steueroasen wie den Cayman Islands abfließen. Meiner Auffassung nach muss der deutsche Staat hier umgehend handeln. Ein radikaler Schnitt wäre das generelle Verbot von MVZ- und Praxentransaktionen von ausländischen PE-Fondsgesellschaften nach Investmentkriterien. Ein guter Anfang sind sicherlich die bereits mit dem Terminservice- und Versorgungsgesetz seit Mai 2019 auf den Weg gebrachten einschränkenden Maßnahmen, deren Wirkweise aber noch belegt werden muss. Alternativ wäre aus Kammersicht auch eine Änderung des Zahnheilkundegesetzes wünschenswert, in dem zum Schutz unserer Patient*innen die berufsrechtliche Kontrolle juristischer Personen des privaten Rechts sowie eine zahnärztliche Mehrheitsbeteiligung für fremdinvestorengeführte Zahnärztegesellschaften implementiert werden müsste. Wenn der Staat die genannten negativen Entwicklungen nicht stoppt, droht ein unumkehrbarer, Existenzen bedrohender Strukturwandel hin zu einem rein kommerziell gesteuerten deutschen Gesundheitssystem, in dem zukünftig wenigen Gewinnern viele Verlierer gegenüberstehen werden. Dr. Torsten Tomppert, Präsident der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg Anzeige Ein Zuhause für Straßenkinder Gewalt und Armut treiben Millionen Kinder auf die Straße – immer auf der Suche nach etwas Essbarem und einem sicheren Schlafplatz. Mutig kämpfen sie ums Überleben. terre des hommes unterstützt weltweit Jungen und Mädchen dabei, ein geregeltes Leben zu führen, mit Schule oder Ausbildung. Damit sie selbstbewusst ihre Zukunft gestalten können. Mit Ihrer Spende helfen Sie diesen Kindern, den Neuanfang zu schaffen. terre des hommes Spendenkonto Hilfe für Kinder in Not DE34 2655 01050000011122 Ruppenkampstraße 11a Sparkasse Osnabrück 49084 Osnabrück www.tdh.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 3/2020

12 Titelthema Zahnmedizinische Versorgungszentren in Baden-Württemberg Die Einkaufstour geht weiter Im Mai 2019 trat das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) in Kraft. Enthalten ist darin ein Passus bezüglich der Regulierung der Gründung zahnärztlicher Medizinischer Versorgungszentren durch Krankenhäuser. Deren Gründungsbefugnis ist demnach abhängig vom Versorgungsgrad des jeweiligen Planungsbereiches. Damit sollte der bis dato ungebremste Zustrom von Fremdinvestoren und Private-Equity-Fonds in ohnehin gut versorgte, strukturstarke Gebiete eingeschränkt werden. Aktuelle Zahlen der Kassenzahnärztlichen Vereinigung zeigen jedoch, dass die Gefahr einer Konzentration und Vergewerblichung von Versorgung nach wie vor nicht gebannt ist. MVZ in Baden-Württemberg. Stand 31. Januar 2020 waren in Baden-Württemberg insgesamt 162 Zahnmedizinische Versorgungszentren zugelassen. Davon befinden sich 38 MVZ in der Inhaberschaft von nichtzahnärztlichen Investoren. Neugründungen von MVZ auf „der grünen Wiese“ bleiben aber generell die Ausnahme: Bei 148 der 162 Standorte handelt es sich um Umwandlungen bzw. Übernahmen von bereits bestehenden Praxisstrukturen. Diese Übernahmen werden häufig nicht als solche bekannt gemacht. Die ehemaligen Inhaber werden für mehrere Jahre als Angestellte unter Vertrag genommen, sodass die neue Inhaberstruktur gegenüber den Patientinnen und Patienten verschleiert wird. Regionale Verteilung. Im Vergleich zu den im Versorgungsbericht 2019 der KZV Baden-Württemberg veröffentlichten Zahlen ist ein erheblicher Anstieg um weitere 15 investorengetragene MVZ (sogenannte I-MVZ) in nur zehn Monaten zu verzeichnen. Mit wenigen Ausnahmen befinden sich diese I-MVZ in Großstädten oder deren unmittelbaren Einzugsgebieten sowie dem überdurchschnittlich stark versorgten Grenzgebiet zum Nachbarland Schweiz. Eine Konzentration auf finanzstarke Gebiete zur Erzielung großer Renditen ist somit deutlich sichtbar. Einfluss des TSVG. Die Zahlen aus dem Zulassungsbereich der KZV Baden-Württemberg zeigen, dass es nach Inkrafttreten des TSVG zunächst einen deutlichen Einbruch bei den MVZ-Zulassungen gab. Im letzten Quartal von 2019 gingen die Zahlen aber bereits wieder in die Höhe – vier von elf neu zugelassenen MVZ waren hier Übernahmen bzw. Neugründungen durch Investoren. Ausblick. Zu Beginn des Jahres 2020 haben die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung und die Bundeszahnärztekammer erneut mit Nachdruck auf die Problematik hingewiesen, dass Zahnärztinnen und Zahnärzte in I-MVZ unter Druck geraten können, im Sinne einer möglichst hohen Rendite bestimmte Leistungen zu erbringen, für die es keine zahnmedizinische Notwendigkeit gibt. Nach einer Auswertung für Zahnarztpraxen seitens der KZBV wurde 2018 in Medizinischen Versorgungszentren im Vergleich zu herkömmlichen Zahnarztpraxen pro Patient 25 Prozent mehr abgerechnet. In MVZ, hinter denen keine Zahnärzte als Inhaber, sondern internationale Finanzinvestoren stehen, wurden sogar 30 Prozent mehr pro Patient abgerechnet. Insofern bleibt das Thema auf der Tagesordnung. Auch das Bundesgesundheitsministerium will möglichen Zusammenhängen zwischen Trägerstrukturen und Versorgungsqualität auf den Grund gehen und hat angekündigt, zeitnah ein Gutachten zur Weiterentwicklung der rechtlichen Rahmenbedingungen für I-MVZ erstellen zu lassen. » holger.simon-denoix@kzvbw.de Gesamt MVZ-Zulassungen Baden-Württemberg Investorgeführte MVZ Baden-Württemberg 38 MVZ-Zulassungen I-MVZ-Zulassungen 24 12 22 10 Abbildung: IZZ, Zahlen: KZV BW 124 Zahnärztlich geführte MVZ Investorengeführte MVZ 9 Quartal 2/2018 Quartal 3/2018 Quartal 4/2018 15 8 6 Quartal 1/2019 Quartal 2/2019 Quartal 3/2019 11 Quartal 4/2019 3 Quartal 2/2018 1 Quartal 3/2018 4 Quartal 4/2018 Quartal 1/2019 Quartal 2/2019 2 Quartal 3/2019 4 Quartal 4/2019 ZBW 3/2020 www.zahnaerzteblatt.de

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