8 Titelthema Bundesregierung will Pflegenotstand angehen Das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz und die Auswirkungen auf die Zahnmedizin Als im Sommer die drei Bundesminister Jens Spahn (Gesundheit), Franziska Giffey (Familie) und Hubertus Heil (Arbeit und Soziales) gemeinsam vor die Presse traten und eine „Konzertierte Aktion Pflege“ für mehr Wertschätzung, bessere Arbeitsbedingungen und gerechte Bezahlung verkündeten, waren die Reaktionen zumindest gemischt. Stellte die Ankündigung einerseits einen wohltuenden, sachorientierten Gegensatz zur ansonsten überaus konfliktgeprägten Performance der Bundesregierung dar, wurden andererseits doch auch schnell Zweifel laut, ob diese mediale Großoffensive wirklich halten könne, was sie verspricht. Mittlerweile sind jedoch erste konkrete gesetzliche Maßnahmen auf der Zielgeraden, etwa das von Gesundheitsminister Spahn aufgelegte Pflegepersonal- Stärkungsgesetz. Pflegenotstand. Die Zustände in deutschen Krankenhäusern und Altenpflegeeinrichtungen sind seit Monaten regelmäßig Teil der medialen Berichterstattung. Besonders große Aufmerksamkeit genoss der Schlagabtausch eines Pflege-Azubis mit Kanzlerin Merkel vor der letzten Bundestagswahl, der schonungslos die teils gravierenden Engpässe aufdeckte. Eklatanter Personalmangel, permanente Hetze bei der Arbeit, häufig unbezahlte Mehrarbeit und ein hoher Krankenstand. Viele Pflegekräfte arbeiten nur in Teilzeit, weil sie buchstäblich nicht mehr leisten können, oder haben den Beruf komplett gewechselt und fehlen nun für die Versorgung. Diese Personalnot geht dann unmittelbar zulasten der Pflegebedürftigen. Eine bessere Personalausstattung in Krankenhäusern wie in der Altenpflege wurde nicht erst seitdem vielfach eingefordert und fand schließlich Eingang in den Koalitionsvertrag von Union und SPD. Hier ist neben einem Sofortprogramm zur Verbesserung der Personalsituation von verbindlichen Personalbemessungsinstrumenten die Rede, außerdem soll es eine Ausbildungsoffensive, Weiterqualifizierung und eine bessere Gesundheitsvorsorge für die Beschäftigten geben. Pflegepersonal-Stärkungsgesetz. Ein erster Schritt in diese Richtung ist nun getan: Im August wurde vom Bundeskabinett der Entwurf des Pflegepersonal- Stärkungsgesetzes (PpSG) beschlossen, die erste Lesung im Bundestag fand Ende September statt. Mit dem hier enthaltenen „Sofortprogramm Pflege“ können ab Januar kommenden Jahres 13.000 Pflegekräfte in stationären Pflegeeinrichtungen neu eingestellt werden. Je nach Größe der Einrichtung gibt es bis zu zwei zusätzliche Stellen pro Heim. Zudem sollen Investitionen in die Digitalisierung von Pflegeheimen gezielt zu einer Entlastung der Fachkräfte beitragen. Hier werden neue Zuschussmöglichkeiten über die Pflegeversicherung geschaffen. Weitere Entlastung soll auch die verbesserte Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten und Zahnärzten bringen. Damit wird ein Bereich berührt, der in der öffentlichen Debatte häufig nur am Rande vorkommt: die zahnmedizinische Behandlung und Vorsorge in der Pflege. Flächendeckende Versorgung. Die Bedeutung einer regelmäßigen zahnmedizinischen Betreuung von Pflegebedürftigen auch für deren generellen Gesundheitszustand ist unumstritten. Das spiegelt sich auch in der Entwicklung der letzten Jahre wider. Für einen wesentlichen Fortschritt sorgen einerseits die seit Juli 2018 geltenden gesetzlichen Regelungen im Rahmen des § 22a SGB V. Damit können Pflegebedürftige wie Menschen mit Behinderungen zusätzliche zahnmedizinische Leistungen zur Verbesserung der individuellen Mundgesundheit in Anspruch nehmen. Diesen unbestreitbaren Verbesserungen müssen jedoch weitere Maßnahmen folgen. Insbesondere geht es darum, dass alle Menschen mit Behinderungen unabhängig ihrer finanziellen Situation von der zahnärztlichen Versorgung erreicht werden, denn diese Maßnahmen umfassen derzeit nur Menschen mit einem Pflegegrad sowie diejenigen, die Eingliederungshilfe beziehen. Dies betrifft von allen Menschen mit Behinderungen aber nur eine Minderheit. Es wird daher weiterhin eine große Herausforderung sein, den Kreis derer, die von einer regelmäßigen Vorsorge und Behandlung profitieren, auszuweiten. Kooperationsverträge. In diesem Zusammenhang ist auch festzuhalten, dass die Zahl der Kooperationsverträge zwischen Pflegeheimen und Zahnärzten kontinuierlich ansteigt. Bis Oktober 2018 wurden in Baden-Württemberg bereits 428 entsprechende Vereinbarungen unterschrieben. Damit hat sich deren Anzahl in wenigen Jahren zwar vervielfacht, dennoch wird dadurch bislang nur ein Viertel aller stationären Pflegeeinrichtungen abgedeckt. Viele Pflegeheime erfahren allerdings ZBW 11/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 9 trotzdem – ohne Kooperationsvertrag – regelmäßig eine zugehende Betreuung durch eine Vertragszahnärztin oder einen Vertragszahnarzt. Unabhängig davon bleibt perspektivisch eine lückenlose Versorgung in allen Einrichtungen das Ziel. In diesem Sinne sieht das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz eine weitergehende Verpflichtung stationärer Pflegeeinrichtungen zum Abschluss von Kooperationsverträgen mit geeigneten vertrags(zahn)ärztlichen Leistungserbringern nach SGB V § 119b vor. Die bestehende Verpflichtung der Pflegeheime wird verbindlicher ausgestaltet, indem die bisherige „Soll-Regelung“ durch eine „Muss-Regelung“ ersetzt wird. Weiterhin besagt der Gesetzentwurf, dass KVen wie KZVen bei Vorliegen eines Antrags einer Pflegeeinrichtung einen entsprechenden Vertrag innerhalb von drei Monaten vermitteln müssen. Die Pflegeeinrichtungen sind weiter dazu verpflichtet, eine verantwortliche Pflegefachkraft für die Zusammenarbeit zu benennen. Dazu kommt, dass die Evaluation der Kooperationsverträge künftig auch für den zahnärztlichen Bereich verpflichtend ist. Telemedizin. Zusätzlich wird zur Weiterentwicklung der zahnärztlichen Versorgung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen sowie zu einer verbesserten Kooperation von Zahnärzten und Pflegepersonal auch der Bereich der Telemedizin gestärkt. Demnach sollen im vertragszahnärztlichen Bereich Sprechstunden und Fallkonferenzen per Video ermöglicht werden. Der Bewertungsausschuss Zahnärzte soll auf Grundlage der Vereinbarung entsprechende Anpassungen im einheitlichen Bewertungsmaßstab für zahnärztliche Leistungen vornehmen. Fazit. Mit dem geplanten Gesetz geht die Bundesregierung nach Ansicht vieler Beobachter an verschiedene zentrale Probleme heran, wenngleich die konkrete Umsetzung und deren Auswirkungen – insbesondere in Bezug auf die Verpflichtung zu Kooperationsverträgen – noch schwer abzuschätzen sind. Die Verbesserungen im pflegerischen Alltag und die versprochene Aufwertung des Berufs müssen schnell sichtund spürbar werden. Nur so wird es möglich sein, junge Leute für dieses Berufsfeld zu begeistern, um künftig genügend Personal zur Verfügung zu haben, damit die versprochenen Verbesserungen auch in der einzelnen Einrichtung ankommen. Dies wiederum ist nötig, damit nicht zuletzt auch die Kooperation mit den Zahnärzten zum gewünschten Ergebnis führt und eine nachhaltige Verbesserung der Mundgesundheit der Betroffenen erreicht werden kann. Denn auch der regelmäßige Besuch eines Zahnarztes ersetzt nicht die tägliche Mund- und Zahnpflege, für die viele Pflegebedürftige auf die Unterstützung von entsprechend geschultem Personal angewiesen sind. » holger.simon-denoix@kzvbw.de Anzahl der Kooperationsverträge in Baden-Württemberg 450 400 350 300 250 200 150 100 50 0 Oktober 2014 Okt 15 Okt 16 Okt 17 Okt 18 Anzahl der Kooperationsverträge in Baden-Württemberg (Quelle: KZV BW 2018) Kooperationsverträge. Die Anzahl der Kooperationsverträge in Baden-Württemberg steigt stetig an. Quelle: KZV BW 2018 www.zahnaerzteblatt.de ZBW 11/2018
Namen und Nachrichten 59 Kleine U3-
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Zu guter Letzt 67 Karikatur: Mahler
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