10 Titelthema Prävention bei Pflegebedürftigkeit und Behinderung Der baden-württembergische Goldstandard Was zukunftsweisende Konzeptionen im Bereich der Alters- und Behindertenzahnheilkunde anbelangt, kann man mit Fug und Recht vom „baden-württembergischen Goldstandard“ sprechen, befand LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert in seinem Grußwort. Und der Goldstandard in BW hat zwei Namen: Dr. Elmar Ludwig und Dr. Guido Elsäßer, die Referenten der Landeszahnärztekammer für Alters- und Behindertenzahnheilkunde. Gemeinsam mit der Vorstandsvorsitzenden der KZV BW, Dr. Ute Maier haben sich die beiden LZK-Referenten auf eine Tour de Ländle begeben, um über die neuen präventionsorientierten Leistungen nach § 22a SGB V zu informieren. Den Auftakt der Tour bildete die Veranstaltung am 22. Oktober im Zahnärztehaus Stuttgart. Referententrio. Das Referententrio der Tour de Ländle: Dr. Guido Elsäßer, Dr. Ute Maier und Dr. Elmar Ludwig. Persönliches Engagement der Referenten und Rückendeckung durch die Körperschaften ist das eine, aber auch die gesetzliche Entwicklung hat dazu beigetragen, dass Dr. Ute Maier von einer „Erfolgsgeschichte“ spricht, wenn es um die Prävention bei Pflegebedürftigkeit und Behinderung geht. In nur sechs Jahren hat das Thema Alters- und Behindertenzahnheilkunde aufgrund der demografischen Entwicklung Eingang in zahlreiche gesetzliche Regelungen gefunden: Versorgungsstrukturgesetz 2012, Pflegeneuausrichtungsgesetz 2013 Versorgungsstärkungsgesetz 2015. Seit 1. Juli 2018 sind präventionsorientierte Leistungen für alle Menschen mit Pflegegrad und für Menschen, die Eingliederungshilfe beziehen, mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechenbar – unabhängig vom Ort der Leistungserbringung und auch ohne Kooperationsvertrag. Sämtliche Positionen inklusive Zuschlagspositionen erläuterte Dr. Maier im Detail. Und sie konnte auf ein weiteres BW-Plus hinweisen: „In Baden-Württemberg sind die Leistungen unbudgetiert“. Einen interessanten Ausblick eröffnete die KZV-Vorsitzende mit der Erläuterung der Inhalte des neuen Pflegepersonal-Stärkungsgesetzes, das voraussichtlich zum 1. Januar 2019 in Kraft treten wird. Bundesgesundheitsminister Spahn setzt auch im zahnmedizinischen Bereich auf Digitalisierung – künftig soll es eine vertragszahnärztliche Videosprechstunde in Pflegeeinrichtungen geben. Außerdem werden die KZVen vom Gesetzgeber verpflichtet, innerhalb von drei Monaten Kooperationsverträge zu vermitteln, wenn Pflegeheime einen Antrag auf Vermittlung eines solchen Vertrags gestellt haben. „Die Crux ist, dass die KZV verpflichtet wird, aber Zahnärzte nicht Foto: Mader dazu verpflichtet werden können, Kooperationsverträge abzuschließen“. Alle Menschen sind behindert. Dr. Elsäßer definierte zunächst den Kreis der nunmehr Anspruchsberechtigten für die neuen Leistungspositionen. Grundlage für die Abrechnung der neuen Leistungen ist das Formblatt „Zahnärztliche Information, Pflegeanleitung und Empfehlungen für Versicherte und Pflege- oder Unterstützungspersonen“. „Für mich ist der Vordruck die Basis für die interdisziplinäre Zusammenarbeit“, so Dr. Elsäßer, „um ins Gespräch mit den Heilerziehungs- und Altenpflegern zu kommen“. Dr. Elsäßer erläuterte das Formblatt Zeile um Zeile, in dem an vielen Stellen mit Smileys zur Beurteilung des Zustandes der Zähne, der Schleimhaut oder des Zahnersatzes gearbeitet wird. Dr. Elsäßer verstand es in seinem Vortrag, auf den besonderen Bedarf dieser vulnerablen Patientenklientel aufmerksam zu machen, „dieser Patient kann weder schlucken noch essen, trotzdem nimmt er am Leben teil und hat ein Recht auf soziale Teilhabe und schöne und saubere Zähne“. Aber er vergaß auch nicht darauf hinzuweisen, dass sich der Aufwand für diese Patienten auch für die Praxen rechnen muss. Ein gutes Gefühl. „Wir schenken den Menschen Lebensqualität!“. Mit der gleichen Empathie und wie gewohnt engagiert, demonstrierte Dr. Elmar Ludwig die Settings zur Anwendung der neuen Leistungen: In der Pflegeeinrichtung, in der Häuslichkeit und in der Praxis. Anhand zahlreicher Bilder und aufbauend auf den persönlichen Erfahrungen versuchte er die Kolleginnen und Kollegen für die Alterszahnheilkunde zu gewinnen. „Es ist ein gutes Gefühl, wenn die Bewohner schmerzfrei und zufrieden sind“. Unbedingt zu beachten ist dabei die Aspirationsgefahr und rückengerechtes Arbeiten. » mader@lzk-bw.de ZBW 11/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 11 Kommentar Einsatz für eine bessere zahnmedizinische Versorgung Pflegebedürftiger Eine Nation von Pflegebedürftigen sind wir noch nicht – dennoch gibt es nur wenige gesellschaftliche Themen, die derzeit so vielen Veränderungen unterworfen sind und eine ähnliche Dynamik entfalten, wie die Pflege. Nicht nur die Zahl der Betroffenen nimmt stetig zu, diese haben zudem Anspruch auf immer umfangreichere Leistungen. All das schafft einen Bedarf an professioneller Pflege, der seit Jahren nicht mehr gedeckt werden kann. Entsprechend angespannt ist die Situation für Pflegepersonal wie auch Pflegebedürftige, „Pflegenotstand“ ist ein Schlüsselbegriff der politischen Debatte geworden. Wenn man dieser Situation wenigstens irgendetwas Gutes abgewinnen will, dann doch wohl die Tatsache, dass es endlich eine gesellschaftliche Debatte über den Stellenwert der Pflege gibt. Da geht es nicht um Zehntel-Prozentpunkte beim Pflegeversicherungsbeitrag und auch nicht um ein weiteres Sofortprogramm für Pflegestellen. Da geht es um die grundlegende Frage: Wollen wir, dass Menschen im hohen Alter oder Menschen mit Behinderung menschenwürdig betreut und gepflegt werden und sind wir als Gesellschaft auch zu den nötigen Weichenstellungen und Investitionen bereit? Aus Sicht der Zahnärzteschaft kann es dazu nur ein ganz klares und uneingeschränktes „Ja“ geben. Es ist kein Geheimnis: Die Mundgesundheit von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderung ist im Durchschnitt schlechter als die der übrigen Bevölkerung. Gründe dafür sind u. a. die (abnehmende) Fähigkeit zur eigenständigen Mundpflege, Schwierigkeiten, einen Zahnarzt aufsuchen zu können und bislang auch mangelnde Kenntnisse bei Pflegekräften oder Pflegepersonen in der Familie. Es ist indessen nicht nur der erklärte Wille, hier zu spürbaren Verbesserungen zu kommen, sondern längst gelebte Realität. Die Zahnärzteschaft zeigt seit Jahren ein hohes Engagement bei der aufsuchenden Betreuung Pflegebedürftiger, ob in stationärer oder ambulanter Pflege. Wir wollen unseren Beitrag leisten, dass eine menschenwürdige Pflege auch den Erhalt der Mundgesundheit mit einschließt. Das zeigt sich u. a. auch in der Entwicklung der Anzahl der Kooperationsverträge zwischen Pflegeeinrichtungen und Vertragszahnärzten, aber auch in der zunehmenden Anzahl an Kolleginnen und Kollegen, die das Thema Alterszahnheilkunde und die Betreuung von Menschen in Pflegeheimen aktiv angehen, auch ohne einen Kooperationsvertrag. Zwar sind wir zweifelsohne noch lange nicht am Ziel, die jetzt im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz angedachten Verbesserungen für Pflegekräfte sind jedoch ein guter Schritt in die richtige Richtung. Dieser Weg muss fortgesetzt werden, und dazu müssen alle Akteure an einem Strang ziehen. In dieser Situation verwundert es umso mehr, dass der Gesetzgeber eine Drei-Monats-Frist einführen will, innerhalb der nach Antragstellung durch ein Pflegeheim ein Betreuungszahnarzt als Kooperationspartner gefunden werden muss. Eine starre Frist dieser Art kann das Problem sicherlich nicht lösen. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, wenn die Selbstverwaltung vonseiten der Politik immer wieder wegen vermeintlich mangelnder Handlungsfähigkeit attackiert wird und gleichzeitig Verpflichtungen ins Gesetz geschrieben werden, für die es keinerlei Handhabe gibt. Wenn die Kassenzahnärztliche Vereinigung zukünftig Zahnärzte zwangsverpflichten muss, entsprechende Kooperationsverträge zu unterschreiben, ist das das falsche Signal. Zudem ist davon auszugehen, dass sich die Zahl der Anträge durch Pflegeheime wegen einer entsprechenden Muss-Bestimmung im Gesetz in kurzer Zeit stark erhöhen wird. Die zahnärztliche Versorgung steht durch verschiedene strukturelle und politische Entwicklungen bereits jetzt unter Druck. Die Erwartung, dass dann reihenweise unterbeschäftigte Zahnärzte aufspringen und einen Kooperationsvertrag nach dem anderen unterschreiben, ist da gelinde gesagt etwas weltfremd. Im Sinne einer weiteren Verbesserung der Versorgung von Pflegebedürftigen wäre es weit zielführender, gemeinsam die nötigen Rahmenbedingungen zu schaffen. Wenn die Politik eine konzertierte Aktion für die Pflege ausruft, sollte sie die maßgeblichen Akteure von zahnärztlicher Selbstverwaltung über die Krankenkassen bis zu den Pflegeträgern mit ins Boot holen, anstatt politische Ziele, die in der Sache völlig richtig sind, mit den falschen Mitteln wie der Ausübung von gesetzlichem Zwang auf dem Rücken der Selbstverwaltung und der Zahnärzte durchsetzen zu wollen. Dr. Ute Maier, Vorsitzende des Vorstands der KZV Baden-Württemberg www.zahnaerzteblatt.de ZBW 11/2018
Personalia 61 47. Tagung für Zahnm
Zu guter Letzt 67 Karikatur: Mahler
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