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Zahnmedizin im Nationalsozialismus

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Ausgabe 2-3/2022

38_SOZIALES ENGAGEMENT

38_SOZIALES ENGAGEMENT ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de Interview zur Flutkatastrophe im Ahrtal GÖPPINGER ZAHNÄRZTE HELFEN IM KATASTROPHENGEBIET Flutschäden. Aufräumarbeiten und Wiederaufbau im Ahrtal werden noch lange andauern. Foto: H. Schneider Am 14. und 15. Juli 2021 wurden mehrere Regionen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen von einer verheerenden Flutkatastrophe betroffen. Im Ahr- und Erfttal wurden 450 Gebäude mitgerissen, mehr als 3.700 Häuser wurden mehr oder weniger stark beschädigt. 134 Menschen starben, mindestens 17.000 verloren ihr Hab und Gut oder erlitten erhebliche Schäden. Zahnärztin Heike Schneider und Zahnarzt Dr. Michael Schuhbeck aus Göppingen waren seitdem mehrfach zu Hilfseinsätzen im Katastrophengebiet. Im ZBW-Interview berichtet Heike Schneider von ihren Erfahrungen. ZBW: Wie kam es zu dem Entschluss, bei den Aufräumarbeiten und dem Wiederaufbau zu helfen? Vor einigen Jahren haben wir ein verlängertes Wochenende im Ahrtal verbracht und waren von der wunderschönen Region sehr angetan. Die schrecklichen Bilder von den Zerstörungen durch die Flut weckten sofort den Wunsch in uns, dort mit anzupacken. Unser Frühjahrsurlaub war coronabedingt ausgefallen. Da wir mit unserem Wohnmobil auf keinerlei Unterkunft angewiesen und handwerklich versiert sind, war es eine logische Konsequenz hinzufahren. Wir sind dann aber bewusst erst im Oktober aufgebrochen, da wir davon ausgingen, dass die Menge der Helfenden nachlassen würde. Gab es einen organisatorischen Rahmen, in dem Sie Ihre Arbeitskraft eingebracht haben? Nachdem wir uns intensiv informiert hatten, entschieden wir, uns der Dachzeltnomaden-Hilfsorganisation anzuschließen. Das ist eine Internetcommunity, die die Begeisterung fürs Campen in Autodach-Zelten teilt. Das alljährliche Treffen wurde von der Flutnachricht überschattet und einige haben spontan den Entschluss gefasst, hinzufahren und zu helfen. Die Organisation ist zu einer tragenden Säule der Hilfe geworden und nach wie vor jeden Tag im Katastrophengebiet im Einsatz. Wie ist Ihr Hilfseinsatz konkret abgelaufen? Anfang Oktober haben wir unser Wohnmobil mit allem möglichen Werkzeug bestückt und sind nach Rupperath gefahren. Das ist ein Ort oberhalb der stark geschädigten Orte Schuld und Insul im Ahrtal. Hier befindet sich das Basiscamp der Dachzeltnomaden. Willkommen ist dort jede bzw. jeder, ob mit Dachzelt oder ohne. In einem alten

ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de 39_SOZIALES ENGAGEMENT Schulgebäude, das vom Dorfgemeinschaftsverein unterhalten wird und den Helfenden zur Verfügung gestellt wurde, gibt es Sanitäreinrichtungen, Küche, Werkzeug- und Materiallager etc. Ich ließ mich dem Küchenteam zuteilen, mein Mann fuhr auf die Baustellen. Das Küchenteam hält nicht nur die Helfer des Camps mit gutem Essen bei Laune, sondern versorgt täglich auch noch den Ort Insul mit warmen Mahlzeiten. An starken Tagen sind das 280 Essen. Ein Campteam wartet und repariert die Geräte, kümmert sich um Lagerlogistik, Material und Sicherheitsausrüstung sowie um Matratzenlager, Mannschaftszelte und Wohnwagen, in denen Helfer ohne eigene Unterkunft nächtigen können. Das Camp wird durch Geld- und Sachspenden von Privatleuten und Firmen unterhalten. Seit die Dachzeltnomanden als gemeinnützige GmbH anerkannt sind, kommt auch finanzielle Unterstützung von „Deutschland hilft“. Von den Geldspenden werden Material, Werkzeug, Sprit für die Fahrzeuge und Generatoren, Bautrockner, Schutzausrüstung und Lebensmittel gekauft. Was war mit Blick auf den Wiederaufbau vorrangig zu tun? Die Helfenden haben hauptsächlich Putz von den Wänden gestemmt sowie Dämmungen und Estriche entfernt. Im betroffenen Bereich, das sind häufig Keller, Erdgeschoss und sogar das erste Obergeschoss bis über die Fenster, müssen die Häuser in den Rohbauzustand zurückversetzt werden, damit Wände und Böden trocknen können. Häufig müssen Leichtbauwände vollständig demontiert werden, da sich das Material zu einer weichen Masse aufgelöst hat. Der Schlamm sitzt in allen möglichen und unmöglichen Fugen und Ritzen. Auch in den Hohlprofilen der Fensterrahmen, weshalb diese nicht weiterverwendbar sind. Der Schlamm ist ein hervorragender Nährboden für Schimmel, der inzwischen sehr häufig anzutreffen ist. Bei vielen Häusern stellt sich erst jetzt heraus, dass sie abgerissen werden müssen. Auch heizöldurchtränkte Kellerwände sind nicht mehr sanierbar und stellen das Aus für die Häuser dar. Inzwischen sind die Dachzeltnomaden auch mit dem Rückbau von Häusern befasst, das bedeutet sukzessiver Abriss. Hier werden die Materialien gleich beim Abbau getrennt, sodass verwertbares Material wie z. B. Metalle an Entsorgungsfirmen verkauft werden kann und die Flutopfer so wenigstens ein bisschen Geld bekommen. Nicht wassergeschädigte Teile wie Dachbalken oder Natursteine können zwischengelagert und wiederverwendet werden. Welchen Eindruck haben Sie, nachdem nun über ein halbes Jahr seit der Flut vergangen ist? Es ist erschreckend, wie viel immer noch zu tun ist. Viele Betroffene haben nach wie vor keine Heizung, da man, um eine Heizungsanlage zu installieren, einen intakten Fußboden braucht oder zumindest einen funktionierenden Gasanschluss. So wohnen viele Menschen in Rohbauhäusern oder Flutruinen. Andere sind bei Verwandten, Freunden oder in Ferienwohnungen untergekommen und kommen tagsüber oder am Wochenende her, um ihre Häuser zu sanieren. Wieder andere hausen in Garagen oder Wohnwagen auf ihren Grundstücken. Die Flutopfer sind weiterhin dringend auf freiwillige Helfenden angewiesen, da aufgrund des Handwerkermangels noch nicht mal, selbst wenn man eine hatte, eine Versicherung nützlich ist. Vielfach wurde erst Monate später von Gutachtern das Ausmaß der Schäden festgestellt, sodass die Betroffenen erst dann mit der Restaurierung beginnen durften. Eine weitere Hürde war, dass oft noch nicht feststand, wo in Zukunft überhaupt noch Häuser stehen dürfen und wo der Hochwasserschutz Vorrang hat. Die öffentliche Hand arbeitet mit Hochdruck an der Infrastruktur, ist aber für Privatleute nicht zuständig. In den Medien ist es dennoch ziemlich ruhig um dieses Thema geworden. Das merkt man auch, wenn man vor Ort ist. Leider machen die meisten anderen Hilfsorganisationen Winterpause, da es sich nicht lohnt, für wenige Helfenden die größeren Strukturen zu betreiben. Nach wie vor wird jede Hand gebraucht. Es ist essentiell, dass weiterhin trockengelegt wird. Beim Wiederaufbau ist es hilfreich, wenn ein ausgebildeter Handwerker Unterstützung durch Ungelernte hat, an die er weniger anspruchsvolle Arbeiten delegieren kann. Um die Infrastruktur der Camps aufrechtzuerhalten, werden Leute z. B. in den Küchen gebraucht. Neben den materiellen Schäden haben Sie auch hautnah von persönlichen Tragödien erfahren. Sehr berührt hat mich z. B. die Geschichte einer jungen Familie, die seit einem Jahr in ihrem neuen Haus wohnte und das unsere „Bauarbeiter“ leider in den Rohbauzustand zurückversetzen mussten. Der junge Vater hat es gerade noch durch die ansteigenden Wassermassen nach Hause geschafft. So konnte er dann seiner hochschwangeren Frau und dem kleinen Töchterchen vom ersten Stock, der volllief, auf das Dach der angebauten Garage helfen. Als auch dieses immer mehr unter Wasser stand, musste die Familie bei strömendem Regen auf das Hausdach klettern. Die Flut machte dann glücklicherweise an der Dachrinne halt. Am nächsten Morgen wurden sie dann vom Dach geborgen. Wäre er nicht rechtzeitig zu Hause gewesen, wären Mutter und Tochter höchstwahrscheinlich nicht mehr am Leben. Die psychologische Betreuung der Flutopfer ist enorm wichtig. Die Geschichten, die wir erzählt bekommen, sind erschütternd. Die Besitzer der Häuser sind teilweise so traumatisiert, dass sie keine Kraft mehr haben etwas anzupacken. Haus und Garten sind zerstört, Hab und Gut von der Flut weggespült oder unbrauchbar geworden. Viele haben ihre Lebensgrundlage, z. B. ihre Werkstatt oder ihr Restaurant verloren. Wie soll jemand, der womöglich auf seinem Hausdach die Flutnacht überstanden hat und gerade noch mit dem Leben davongekommen ist, jemand der womöglich Angehörige oder Freunde verloren hat, wissen, wo er anfangen soll? Wie lautet Ihr Appell an das Land und unsere Gesellschaft? Die Hilfsbereitschaft, die wir erlebt haben ist großartig. Viele haben ihren Sommerurlaub als Helfer in den Flutgebieten verbracht und fahren nach wie vor so oft sie können dort hin. Aber wir brauchen dauerhaft Menschen, die ehrenamtlich bei Feuerwehr, DRK, THW usw. mitmachen. Und einen Staat, der nicht vor lauter Bürokratie absolut unflexibel ist. Das Interview führte Dr. Holger Simon-Denoix INFO Mehr über die Dachzeltnomaden und deren Einsatz erfahren Sie unter https://dachzeltnomaden.com/ dachzeltnomadenhilfsaktion/

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