34_IM BLICK ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de Im Gespräch mit dem Beauftragten für Nachhaltigkeit der LZK NACHHALTIGE ZAHNMEDIZIN – VON PRÄVENTION BIS KLIMASCHUTZ Globale Erwärmung und Umweltverschmutzung – das betrifft nicht nur die anderen irgendwo in der Ferne, betont PD Dr. Daniel Hellmann, Leiter der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe und Beauftragter für Umwelt und Nachhaltigkeit der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg. In den vergangenen Wochen unterstrich er in zahlreichen Interviews und Gesprächen immer wieder, dass die Zahnärzteschaft einen wertvollen Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten und mit gutem Beispiel vorangehen kann. Auch das ZBW interessierte sich für diese Details. ZBW: Dr. Hellmann, was bedeutet Nachhaltigkeit für Sie persönlich und wo sehen Sie Verbindungen zur Zahnmedizin? Die Nachhaltigkeit ist ein in den Medien und der Werbung sehr strapazierter Begriff geworden, und daher orientiere ich mich an der Agenda 2030 der UN. Dort sind 17 Nachhaltigkeitsziele formuliert, die als Fahrplan für ein gemeinsames und menschenwürdiges Leben innerhalb der Weltgemeinschaft verstanden werden können. Die Ziele Nr. 3 „Gesundheit und Wohlergehen“ und Nr. 13 „Maßnahmen zum Klimaschutz“ haben direkte Schnittstellen zur Zahnmedizin. Ebenso der in verschiedenen Zielen der Agenda beinhaltete Umwelt- und Naturschutz. Immer wieder hört und liest man davon, dass, Nachhaltigkeit und Umweltschutz gleichzeitig auch Gesundheitsschutz bedeuten – ist das wirklich so? Fotos: M. Lehr Klimaschutz. „Die in der Zahnmedizin etablierte Prophylaxe bedeutet auch Klimaschutz, da der Bedarf an komplexer Behandlung vermieden werden kann.“ Nun, die „Lancet Commission on pollution and health” stellte 2018 fest, dass die Umweltverschmutzung in den Jahren 2015/16 für circa neun Millionen vorzeitige Todesfälle verantwortlich gewesen sein soll – das wären dreimal mehr Todesfälle als durch AIDS, Tuberkulose und Malaria zusammen. Andere Autoren stellen sogar noch höhere Zahlen in den Raum – der tatsächliche Beweis erscheint allerdings schwierig. Mit Schadstoffen belastete Nahrungsmittel gelangen über nicht mehr nachvollziehbare Lieferketten auf die Tische zum Verzehr und Mikroplastik ist in der Nahrungskette allgegenwärtig. Und anstatt Wege zur Lösung solcher Probleme zu finden, wird eher über vertretbare Grenzwerte und Einfuhrkontrollen diskutiert. Die Folgen des vom Menschen gemachten Klimawandels wurden auch in Deutschland beeindruckend und vernichtend sichtbar. Medizinisch gesehen wird die Zunahme von Hitzeperioden unmittelbar negative Auswirkungen auf die Herzinfarktmorbidität und -mortalität und auf die Häufigkeit von Schlaganfällen und Akutmanifestationen von Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben. Die Verbreitung, die Menge und die Allergenität von Pollen werden sich erhöhen – die Zahl der Allergiker*innen wird ansteigen. Ich könnte die Liste weiter fortsetzen. Es ist eine Illusion, dass uns die Themen Klimawandel, Nachhaltigkeit und Umweltschutz in Deutschland nur peripher beträfen. Und wo findet sich der direkte Bezug zur Zahn- und Mundgesundheit? Einige Themen werden tatsächlich bereits bearbeitet. Durch steigende Tem-
ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de 35_IM BLICK peraturen verändert sich zum Beispiel die Modulation von Entzündungsprozessen und damit wahrscheinlich auch die Immunantwort auf einen dysbiotischen Biofilm, was in der Folge die Progredienz einer Parodontitis begünstigen könnte. Des Weiteren werden schon länger Veränderungen der Zahnhartsubstanzen durch den Einfluss von Plastikkomponenten und Mikroplastik diskutiert, was wiederum einen Risikofaktor für die Entstehung von Karies darstellen könnte. Trotz erster wissenschaftlicher Initiativen ist aber zu konstatieren, dass auf dem Gebiet der Zahnmedizin in jedem Fall Forschungsbedarf besteht. Wo sehen Sie Möglichkeiten zum Umwelt- und Klimaschutz in der täglichen Praxis? Inspiriert durch die „Checkliste Nachhaltigkeit“ und die bereitgestellten Videos der LZK Baden-Württemberg kann jedes Praxisteam bereits morgen starten. Beispiele für direkte und unkomplizierte Handlungsmöglichkeiten sind der Einsatz von Ökostrom bei gleichzeitiger Reduktion des Energieverbrauchs, die Reduktion von Abfall und seine korrekte Verwertung und Entsorgung oder eine angepasste Materialwirtschaft. Allerdings ist es so, dass gut 50 Prozent der Kohlenstoffemissionen rund um den Betrieb einer Zahnarztpraxis durch die Mobilität der Patient*innen und des Teams zum Erreichen der Praxis anfallen. Hier kann schon ein eventuell notwendiges Überdenken der persönlichen Gewohnheiten in Bezug auf die Mobilität helfen. Und es wird deutlich, dass die in der Zahnmedizin etablierte Prophylaxe auch Klimaschutz bedeutet, da der Bedarf an komplexer Behandlung vermieden werden kann. Ist diese aber dennoch notwendig, ist durch eine Bündelung von Terminen und den Einsatz moderner Behandlungstechniken wie z. B. digitaler Verfahren in der Prothetik oder der Single-Visit-Endodontie eine Möglichkeit zur Reduktion von Patientenkontakten, von Abfall und des Energieverbrauchs gegeben. Allerdings müssten die Kosten für die Schaffung der technischen Voraussetzungen und die Ausbildung in solchen modernen Verfahren über das Honorar an die Praxis zurückfließen. Und natürlich sind auch die Industrie und die Zulieferer gefordert, eine nachhaltige Entwicklung voranzutreiben. Doch alle diese Entwicklungen können nicht nur von der Basis ausgehen – es sind auch politisch Wertentscheidungen zu treffen. Die Karlsruher Konferenz, der Tag der ZFA 2022 stehen in diesem Jahr unter dem Thema „Nachhaltige Zahnmedizin – von Prävention bis Klimaschutz“ und gliedern sich in mehrere thematische Anteile? Was erwartet die Teilnehmer*innen im zahnmedizinischen Teil der Veranstaltung? Der Vormittag wird sich mit fachspezifischen Themen im Sinne des Ziels „Gesundheit und Wohlergehen“ auseinandersetzen, aber auch anteilig den Umwelt- und Klimaschutz tangieren. Ein Update zur Prävention wird uns Prof. Dr. Stefan Zimmer geben. PD Dr. Bartols wird über die Single-Visit-Endodontie berichten und den allgemeinen Bezug zur Nachhaltigkeit herstellen. Prof. Dr. Nicole Arweiler und Prof. Dr. Sven Rinke werden uns nachhaltige Behandlungskonzepte in der Parodontologie und Perioprothetik präsentieren. Beim Tag der ZFA klären Badegül Top, Veronica Leo und Kendra Bernhardt aus unserem Haus ihre ZFA- Kolleginnen darüber auf, was Fehlervermeidung im Alltag einer ZFA mit Nachhaltigkeit zu tun hat. Prof. Dr. Stefan Zimmer und Prof. Dr. Dirk Ziebolz widmen sich den Themen der Prävention und Nachsorge und der Physiotherapeut Matthias Thoni wird wertvolle Hinweise zur Ergonomie geben – es geht also auch um die Gesundheit und das Wohlergehen unserer Fachangestellten. Ich habe gesehen, dass die Veranstaltung am Nachmittag verschmilzt. Erläutern Sie uns diesen Hintergrund? Nachhaltigkeit ist eine Teamleistung. Daher erscheint es uns sinnvoll, dass auch das gesamte Praxisteam gemeinsam von der bekannten und renommierten Prof. Dr. Claudia Traidl-Hoffmann über die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf den Menschen und von Prof. Dr. Brett Duane aus Dublin über den Stand der Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin und die zu bewältigenden Aufgaben informiert wird. Die ebenfalls am Nachmittag vorgestellten ärztlichen Initiativen zum Klimaschutz, können den Teams Vorbild und Partner sein und Inspiration stiften. Am Ende des Tages wird klar werden, dass es unvermeidbare Emissionen unserer Tätigkeit gibt und wir stellen vor, wie diese kompensiert werden können. Entwicklungsprozess. „Wir werden im eigenen Haus eine nachhaltige Entwicklung im Sinne eines strukturierten Umweltmanagements vorantreiben und den Kolleg*innen in der Praxis zur Seite stehen.“ Wird denn auch der Karlsruher Vortrag das Thema Nachhaltigkeit behandeln? Sprecher des Karlsruher Vortrags 2022 wird Prof. Dr. Michael Braungart aus Hamburg sein. Er gehört zu den Begründern der „Cradle-to-Cradle“-Bewegung – dem Konzept eines nicht endenden Recycling-Kreislaufes. Er ist ein Visionär und Vordenker, und sein Vortrag wird uns aufrütteln und unsere Gedanken zum Thema für immer verändern – da bin ich mir sicher. Bleibt die Nachhaltigkeit in der Akademie auch nach der Konferenz ein Thema? Auf jeden Fall! Wir werden im eigenen Haus eine nachhaltige Entwicklung im Sinne eines strukturierten Umweltmanagements vorantreiben und Kolleg*innen und ihren Praxisteams in Seminaren und später dann auch in Form direkter Beratung vor Ort in der Praxis zur Seite stehen. Es gibt auf Dauer keine andere Alternative als sich mit dem Thema auseinanderzusetzen – je früher, desto besser. Es liegt auf der Hand, dass wir die Ziele zur Nachhaltigkeit nicht ad hoc und vollumfänglich in die Tat umsetzen können. Aber jeder erste kleine Schritt hilft und kann der Anfang eines fortwährenden Entwicklungsprozesses sein. Die Karlsruher Konferenz und der Karlsruher Vortrage 2022 sollen hierfür Inspiration stiften. Die Fragen stellte Cornelia Schwarz
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