24_TITELTHEMA ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de Das ZBW-Gespräch mit Rachel Dror HASS BRINGT NICHTS Ihre Botschaft ist die der Toleranz. Am Ende ihrer Führungen in der Stuttgarter Synagoge entlässt sie ihre Zuhörer*innen mit der Aufforderung nicht wegzusehen, wenn sie Unrecht bemerken. Sie wehrt sich gegen die Einteilung in Täter und Opfer. Der Blick ins Herz eines Menschen ist ihr Gradmesser, nicht dessen Nationalität oder Religion. Rachel Dror hat kein einfaches Leben gewählt, aber ihre Wahrheiten sind es: Einfach, klar und unmissverständlich. Liebe Frau Dror, was nennen Sie Glück? Im Laufe meines Lebens hat sich das Verständnis für Glück verändert. Ich habe das Glück immer gesucht und auch gefunden, auch wenn die Umstände widrig waren. Es kommt darauf an, was man aus dem Leben macht. Und ich hatte immer ein glückliches Leben. Ihre Familie starb durch die Hände der Nationalsozialisten. Welche Gefühle begleiten Sie, wenn Sie an den letzten Moment im Leben Ihrer Eltern denken, der Ihnen von einer Bekannten geschildert wurde, die ihnen auf einer Straße in Palästina begegnete? Eltern. Rachel Dror wuchs in einer traditionell-jüdischen Familie auf. Rachels Vater war Offizier im Ersten Weltkrieg, der für das Deutsche Reich gekämpft hat. Im Versteck in Italien wurden die Eltern vom deutschen Militär aufgespürt, nach Auschwitz deportiert und dort umgebracht. Besonders bewegend: Der Vater war offenbar freiwillig mit seiner großen Liebe in den Tod gegangen, nachdem der KZ-Arzt Josef Mengele nur sie direkt nach der Ankunft als unbrauchbar fürs Arbeiten eingestuft hatte. Damals wollte ich einfach nur weg aus dieser Straße, von dieser Frau. Ich hatte zunächst das Gefühl, gar nichts zu empfinden. Die Frau erzählte, dass meine Eltern nach der Ankunft in Auschwitz, nachdem sie monatelang durch Europa geflüchtet waren, um dann doch gefangen genommen zu werden, an der Rampe voneinander getrennt werden sollten. Mein Vater soll sich dann dagegen entschieden haben und ging mit meiner Mutter in die Gaskammer. Ich bin froh, dass die beiden in diesem Moment zusammen waren. Ich glaube, das ist das einzige Gefühl, das ich dazu habe. Woher nehmen Sie die Kraft offen zu sein für junge Deutsche, denen sie erklären, dass es eine jüdische Mutter braucht, um selbst jüdisch zu sein? Weil es so ist. Es braucht eine jüdische Mutter und ich hatte sie. Es ist wichtig über die verschiedenen Religionen Bescheid zu wissen und das Judentum ist die älteste Religion. Es ist wichtig für alle Menschen, gewisse Dinge zu wissen. Es spielt keine Rolle, ob sie deutsch sind oder eine andere Nationalität haben. Ihre Botschaft ist die der Toleranz – warum rufen Sie nicht dazu auf, die Faust zu ballen und begangenes Unrecht zu rächen? Weil es mich vergiften würde. Ich spüre keinen Hass, habe kein Interesse, dass etwas vergolten wird. Mir wird immer wieder gesagt, ich würde die Vergangenheit verdrängen. Vielleicht ist das so. Aber mir geht es besser damit und niemand hat etwas davon, Vergangenes zu rächen. Das bringt nur weiteres Leid, weiteren Hass. Wofür frage ich Sie? Können Sie uns beschreiben, mit welchen Gefühlen Sie Deutschland im Jahr 1939 verlassen haben? Ich war froh, gehen zu können. Und ich schaute nicht zurück. Mein Bruder war in England, meine Eltern konnten nicht gehen. Ich freute mich auf das Neue. Das war aufregend. In Deutschland waren wir nur noch Dreck. Ich wollte an einen Ort, der mir wieder Würde geben würde, mich als Menschen anerkennt. Die Trennung von meinem Vater tat mir weh. Er stand mir sehr nahe und Sie sehen (Rahel Dror zeigt mir die oben abgebildeten Fotos), ich sehe ihm sehr ähnlich. Er war ein großartiger Mann. Aber ich zeigte meine Gefühle nicht. Wenn ich Ihre Zeitzeugnisse studiere, begegne ich einer äußerst beherrschten und sehr tiefgehenden Frau. Wie betrachten Sie sich selbst?
ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de Mir war immer egal, was andere Menschen von mir halten. Ich lebte und lebe mein Leben so, wie ich es für richtig hielt und halte. Ich sage auch immer, was ich denke, auch wenn ich damit vielleicht mal angeeckt bin. Aber ist es nicht wichtig, gerade durchs Leben zu laufen? Eva Mozes Kor war in Auschwitz, Sie verlor dort ihre Familie und wurde für Zwillingsversuche missbraucht. 2015 hat sie einem ehemaligen SS-Mann die Hand gereicht, ihn sogar umarmt. Er stand wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 300.000 Fällen vor Gericht. Eine Reaktion, die Sie nachvollziehen können? 25_TITELTHEMA » Dinge sind vorbei und wir können sie nicht ändern. Mein ganzes Leben habe ich nur in die Herzen der Menschen geschaut, nicht auf ihre Nationalität oder Religion.« Rachel Dror Hass bringt nichts. Dinge sind vorbei und wir können sie nicht ändern. Mein ganzes Leben habe ich nur in die Herzen der Menschen geschaut, nicht auf ihre Nationalität oder Religion. Viele Menschen haben sich im Nationalsozialismus schuldig gemacht, auf ganz unterschiedliche Weise. Aber wer bin ich, das ich richte? Muss nicht jeder auch mit seiner eigenen Geschichte leben? Ich glaube es war 2009 als Sie auf einem Friedhof in Berlin erstmalig das Grab eines Angehörigen, Ihres Großonkels, besuchen konnten. Was machte diesen Moment besonders? Was hat er in Ihnen bewirkt? Wissen Sie, ich hatte nie einen Ort, zu dem ich gehen konnte, um Familienbande zu spüren. Einen Ort, an dem ich Verbundenheit zu Vorfahren erleben hätte können. Es gibt kein Grab meiner Eltern. Das macht etwas aus einem. Einen Stein berühren zu können, der zum Grab eines Verwandten gehört, war für mich besonders. Nur wenige Menschen können ihren 100. Geburtstag feiern. Nun ist es sogar der 101. Gibt es einen besonderen Wunsch? Nein, ich habe alles erlebt, was ich wollte. Und ich freue mich jeden Tag auf das, was kommt. Ich erwarte nichts und erlebe, dass dennoch etwas geschieht. Wer kommt, der kommt. Und wenn niemand kommt, dann schaue ich, was im Fernsehen läuft. Cornelia Schwarz INFO Fotos: C. Schwarz Aussöhnung. Rachel Dror hat sich immer für Dialog und Verständigung eingesetzt. Noch immer blitzen ihre Augen und ihr Wille ist stark. „Ich sage, was ich denke, auch wenn das nicht immer gefällt“, sagte sie, „so war ich und so werde ich bleiben“. Rachel Dror wurde als Rahel Zipora Lewin 1921 in Königsberg geboren. Sie wuchs in einer traditionell-jüdischen Familie auf. Ihr Vater war Offizier im Ersten Weltkrieg und Träger des Eisernen Kreuzes I. und II. Klasse. Bis 1934 besuchte sie das Lyzeum, aus dem sie schließlich als Jüdin ausgeschlossen wurde. 1936 schloss sie sich einer zionistischen Jugendgruppe an, verließ Königsberg und gingnach Hamburg, wo sie in der Hachschara auf ihre Auswanderung nach Palästina vorbereitet wurde. Im April 1939 wanderte sie nach Palästina aus. Ihre Eltern konnten nicht fliehen und wurden in Auschwitz ermordet. 1957 kehrte sie aus gesundheitlichen Gründen nach Deutschland zurück. Rachel Dror war zwei Mal verheiratet und hat Kinder, Enkel und Urenkel. Rachel Dror lebt seit Ihrer Rückkehr nach Deutschland in Baden-Württemberg und arbeitete jahrelang für die Stärkung des gegenseitigen Verständnisses und eine Gesellschaft, die von Offenheit und Dialogfähigkeit gekennzeichnet ist. Für dieses Engagement wurde sie mit dem Verdienstordens des Landes Baden-Württemberg ausgezeichnet.
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