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Zahnmedizin im Nationalsozialismus

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Ausgabe 2-3/2022

14_TITELTHEMA

14_TITELTHEMA ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de eingestuft zu werden – mit allen Konsequenzen hinsichtlich Entrechtung, Verfolgung und Verschleppung. Die Zahnarztpraxis in Konstanz betrieb Moritz Goldmann anfangs in der Schottenstrasse 17, ab 1932 in der Bahnhofstrasse 1. Im Anschluss an die Reichspogromnacht vom 9. November 1938 wurde Moritz Goldmann in das Konzentrationslager Dachau gebracht und damit in die sogenannte „Schutzhaft“ genommen. Seine Einlieferung wurde unter der Häftlingsnummer 23254 auf den 12. November datiert. Er wurde dort bis zum 28. Dezember 1938 festgehalten. Noch von Dachau aus vollzog Goldmann die Schenkung seiner Immobilie an seinen nicht-jüdischen Schwiegersohn und umging damit nicht nur die Zwangsenteignung seines Besitzes, sondern zudem auch seinen erzwungenen Auszug daraus. Zumindest zunächst: Am 22. Oktober 1940 wurden die Goldmanns von der Gestapo abgeholt und zum Bahnhof Petershausen gebracht. Die Praxis wurde versiegelt, die Einrichtung von einem Transporteur abgeholt und später versteigert. Allerdings hatte das Ehepaar ein Quäntchen Glück, denn ihr Transport, zu dem insgesamt 110 Menschen aus Konstanz zusammengetrieben worden waren, ging nicht nach Auschwitz, sondern ins französische Lager Gurs. Die Situation im Barackenlager Gurs war desaströs, Zeitzeugen bezeichneten es als „Vorhölle von Auschwitz“. Allerdings war es kein Vernichtungslager und es gab auch keine Folterungen. Die Deportierten mussten auf dem Boden schlafen und wenn Regen einsetzte, soll es der schlammige Boden teilweise unmöglich gemacht haben, sich fortzubewegen. Im Schnitt starben acht Menschen am Tag. Es waren per se keine schweren Krankheiten, an denen die Inhaftierten litten. Jedoch brachten Blasenentzündungen, Bronchitis und unversorgte Schnittwunden, die ohne ärztliche Versorgung oftmals zu Blutvergiftungen führten, und die Gabe von Medikamenten, den Tod. 3 Foto: Generallandesarchiv Karlsruhe/330 Nr. 796 Dr. Moritz Mansbach DR. MORITZ MANSBACH Auch der Zahnarzt Dr. Moritz Mansbach (Jahrgang 1866) wurde mit seiner Frau Hermine am 22. Oktober 1940 von der Gestapo aus ihrer Wohnung in Karlsruhe abgeholt. Zwei Stunden wurden ihnen damals zugestanden, um das Wichtigste zusammenzupacken – insgesamt nicht mehr als 100 Kilogramm – bevor sie ihre Wohnung in der Ritterstraße 6 verlassen mussten. Drei Tage lang war das Ehepaar unterwegs, bevor es im Internierungslager Gurs in Südfrankreich angekommen war. Wie die Goldmanns wurden auch die Mansbachs im Lager in getrennten Bereichen untergebracht. In einer Postkarte vom 11. November 1940 teilte Dr. Mansbach seinem Sohn Erwin mit, dass er und Hermine „unter der erzwungenen Trennung leiden“. Beide Ehepaare wurden aufgrund ihres Alters von der Deportation nach Auschwitz verschont. Doch während die Goldmanns 1945 nach Konstanz zurückkehren konnten, verstarb Hermine Mansbach 1942 nach der Verlegung der Eheleute ins Camp de Noé. Dr. Moritz Mansbach blieb allein zurück. Er überlebte das „Dritte Reich“ und konnte schließlich nach Israel ausreisen, wo er ab 1950 sein Wiedergutmachungsverfahren anstrebte. Aufgrund des im Jahre 1942 von der Reichsbank beschlagnahmten Bankkontos Mansbachs, auf welchem sich zu dem Zeitpunkt Einlagen von ungefähr 13.800 Reichsmark befanden, wegen der beschlagnahmten Wohnungsbzw. Praxiseinrichtung sowie der durch die Deportation nicht mehr durchführbaren Arbeit als Zahnarzt wurde ihm eine Entschädigung von 20.500 Deutschen Mark zugesprochen. Nach einem Bescheid vom 16. Juli 1956 erhielt er zudem, als Ausgleich für die verlorenen Praxiserlöse, eine monatliche Rente von monatlich 429 DM zugesprochen. Dr. Mansbach starb 1956 in Tel Aviv im Alter von 90 Jahren. 4 GERETTET DANK BÜRGSCHAFT Dank seiner Verbindungen ins neutrale Ausland gelang es Moritz Goldmann für sich und seine Frau, eine krankheitsbedingte „Beurlaubung“ aus dem Lager Gurs zu erreichen. Hierbei unterstütze ihn ein früherer Kommilitone aus Zürich, der die Bürgschaft für eine Unterbringung in einem Privatquartier für die beiden übernahm. 1941 verließen Moritz und Klara Goldmann das Lager Gurs und zogen in ein Altenheim nach Idron. Im August 1942 wurden die Bewohner in Idron durch eine Razzia der Vichy-Polizei überrascht. Nun sollten auch sie in die Vernichtungslager im Osten deportiert werden. Doch die Goldmanns hatten erneut Glück, da sie schon über 60 Jahre alt waren, wurden sie von der Deportation ausgeschlossen. Andere Bewohner*innen Idrons hatten nicht so viel Glück und wurden nach Auschwitz gebracht und dort vergast. 1945 konnten die Goldmanns von Idron aus in ihr Haus in der Konstanzer Eichhornstrasse zurückkehren. Wie fast alle überlebenden NS-Verfolgten beantragten auch Moritz und Klara Goldmann, Anfang der 50er-Jahre, beim „Badischen Landesamt für Wiedergutmachung“ in Freiburg, Entschädigung für „Verlust an Eigentum und Vermögen“ sowie auch für „Schäden im beruflichen und wirtschaftlichen Fortkommen“. Die Verfahren zogen sich sehr lange hin. Am Ende erhielten sie jedoch noch zu Lebzeiten genügend finanzielle Gutmachung, um den Erben jenes Kommilitonen, der damals die finanzielle Bürgschaft gestellt hatte, die den Goldmanns das Überleben gesichert hatte, 6 685 Schweizer Franken zurückzubezahlen. DR. ERNST REICHENBERGER Ein ebenfalls sehr tragisches Schicksal hatte Dr. Ernst Reichenberger, der als „bester Zahnarzt Stuttgarts“ galt. In Karlsruhe wurde er als Isidor Reichenberger geboren, schloss siebzehnjährig das Gymnasium ab, studierte in Freiburg und Heidelberg Zahnmedizin und erlangte bereits 1899 als 20-Jähriger seine Approbation. Assistenzarztjahre in Berlin, München und Stuttgart folgten, bevor sich Reichenberger 1903 in Bad Cannstatt niederließ. Um Assimilation bemüht, legte er den jüdisch klingenden Vornamen Isidor ab und nannte sich fortan Ernst. Er war zudem Träger des Ehrenkreuzes für Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs. Auch Dr. Reichenberger wurde nach der Reichspogromnacht im November 1938 als „Schutzhäftling“ nach Dachau verschleppt. Sein Wohnhaus befand sich in der König-Karl-Straße 24, nur 200 Meter entfernt von der damals brennenden Synagoge. Aus dem Kon- 4 Landesarchiv Baden-Württemberg, Generallandesarchiv Kalrsruhe, Findbuch Polizeipräsidium.

ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de 15_TITELTHEMA Dr. Ernst Reichenberger zentrationslager freigelassen, erhielt Reichenberger noch im Dezember den Bescheid über die sogenannte Judenvermögensabgabe. Mit dieser „Sühneleistung der Juden deutscher Staatsangehörigkeit“ ließ sich das Deutsche Reich sein, als „Reichskristallnacht“ beschönigtes Verbrechen, bezahlen. Im Februar 1939 wurde Dr. Ernst „Israel“ Reichenberger vom Reichsminister des Innern widerruflich erlaubt, als Krankenbehandler zu arbeiten. Dieser Erlaubnis folgten jedoch einschneidende Einschränkungen: Auf zwei eng beschriebenen Seiten wurde ihm von der Kassenzahnärztlichen Vereinigung vorgeschrieben, ein Schild an seinem Haus in der König-Karl-Straße 24 anzubringen, das den Zusatz‚ „Zugelassen zur Behandlung jüdischer Zahnkranker“ mit aufzuführen hatte. In der linken oberen Ecke war zudem „eine zitronengelbe, kreisförmige Fläche mit einem Durchmesser von 5 cm anzubringen, in der der blaue Davidstern mit einer Dreieckshöhe von 3½ cm erscheint“. Um das Haus seiner Familie zu erhalten, übertrug er es im August 1939 auf seinen „arischen” Schwiegersohn. Er selbst durfte nur noch Wochen dort wohnen, da die „Regelung der Mietverhältnisse mit den Juden“ in Stuttgart bestimmte, dass Juden in „arischem Hausbesitz” sich spätestens bis 1. Dezember 1939 „in jüdischem Hausbesitz einzumieten” hatten. Wie es um seine Praxis stand, geht aus einem undatierten Lebenslauf hervor, der vermutlich seinem Einwanderungsantrag vom Sommer 1939 beigefügt Foto: Familienarchiv Dorschel war: „As I am only allowed to treat jewish patients, whose number owing to emigration is decreasing from day to day, my practice will soon cease to exist“. Im Dezember war es so weit, wie aus einer handschriftlichen Mitteilung Ernst Reichenbergers an das Finanzamt hervorgeht. Dementsprechend sank sein Einkommen rapide. Musste er 1940 noch RM 5.580,— Einkommenssteuer entrichten, sah in den folgenden Jahren selbst das Finanzamt keine Handhabe mehr, ihm etwas abzupressen. Die Bescheide von 1941 und 1942 weisen kein besteuerbares Einkommen mehr aus. Um sich über Wasser zu halten, verdingte Reichenberger sich bei seinem früheren Zahntechniker für monatlich 140 Reichsmark als Hilfsarbeiter. 5 Am 1. März 1943 wurde der Zahnarzt als letzter Cannstatter Jude ins jüdische Gemeindehaus befohlen und von dort nach Auschwitz deportiert. Ob er die Reise überstanden hat, ob er beim Empfang an der Rampe niedergeknüppelt wurde oder in der Gaskammer endete, weiß niemand. Das Amtsgericht Bad Cannstatt hat im November 1946 sein Todesdatum auf den 9. Mai 1945 festgelegt. 5 DR. ADOLF UND ELSBETH HEINSHEIMER. Aufgrund seiner beruflichen Stellung und seines Könnens gehörte Dr. Adolf Heinsheimer der gehobenen jüdischen Gesellschaft Karlsruhes an. Es ist davon auszugehen , dass sich Dr. Heinsheimer und Dr. Mansbach persönlich kannten und freundschaftlich verbunden waren, da beide Mitglieder der B‘nai B‘Brith- Loge Karlsruhe waren, in der sich die besser gestellten jüdischen Männer der Stadt zum Austausch trafen. 6 Im Gegensatz zu den Mansbachs gelang es der Familie Heinsheimer jedoch, Deutschland zu verlassen. Ende 1938 wurde Dr. Heinsheimer gezwungen, seine Praxis in der Kaiserstrasse 189 zu schließen. (Monika Dech, Gedenkbuch für die Karlsruher Juden) Dem vorausgegangen waren zahllose Repressalien und Gängelungen. Auch Tochter Elsbeth war diesen ausgesetzt. Wie ihr Vater wollte sie Zahnärztin werden, war dafür in Heidelberg eingeschrieben und wurde dort als rassisch Unerwünschte zwangsexmatrikuliert. Sie wanderte bereits 1935 in die USA aus und machte 1937 ihren Abschluss an der School of Dental Medicine der University of Pennsylvania. Damit war sie eine von insgesamt nur zwei Frauen in einer Abschlussklasse von mehr als hundert Absolventen. Mehr als 50 Jahre lang arbeitete sie als Zahnärztin in New York und wurde für ihre hervorragende Arbeit auf diesem Gebiet anerkannt. Dank der frühen Entscheidung Elsbeth Heinsheimers, Deutschland zu verlassen, gelang es ihr, auch ihre Eltern nach Amerika zu Dr. Adolf Heinsheimer holen und die entsprechende Bürgschaft für sie zu vorzuhalten. 7 Cornelia Schwarz INFO Diese Biografien stehen stellvertretend für insgesamt 92 Zahnärzte*innen, die während des „Dritten Reichs“ in Baden und Württemberg aufgrund ihrer Zugehörigkeit zum jüdischen Glauben, einer anderen Partei oder ihrer sexuellen Neigung aus der Gesellschaft und dem Berufsleben ausgeschlossen, verfolgt und ermordet wurden. Die Liste mit allen Namen und persönlichen Daten wurde uns von Dr. Matthis Krischel, wissenschaftlicher Mitarbeiter, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin, Medizinische Fakultät, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf zur Verfügung gestellt. Foto: Stadtarchiv Karlsruhe 1/AEST 1237/496 5 Alle biografischen Angaben über Dr. Ernst Reichenberger sind, mit freundlicher Genehmigung, den Recherchen von Rainer Redies, Stuttgart Bad-Cannstatt entnommen. Siehe auch: www.stolpersteine-cannstatt.de. 6 Alemannia Judaica, Arbeitsgemeinschaft für die Erforschung der Geschichte der Juden im süddeutschen und angrenzenden Raum. Siehe auch: www.alemannia-judaica.de. 7 The New York Times, Ausgabe 7. August 2009.

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