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Zahnmedizin im Nationalsozialismus

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Ausgabe 2-3/2022

12_TITELTHEMA

12_TITELTHEMA ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de AUFSTIEG Zahlreiche Mediziner*innen versprachen sich von Hitlers „Machtergreifung“ eine prominente Rolle bei der „Gesundheitserziehung“ und natürlich auch neue Karrierechancen, wenn man sich das Parteiabzeichen ans Revers heftete. „Wer Professor im Dritten Reich war, der konnte nicht schuldlos bleiben, auch der beste nicht, auch diejenigen nicht, die im Kampfe gegen das Regime ihr Leben bewusst einsetzten und verloren [...]. Wer das Dritte Reich als beamteter Professor überlebt hat, der hat vieles geschluckt, was einst als unerträglich galt und dabei geheuchelt.“ 7 Auch die sogenannten „Judenauktionen“, die hauptsächlich mit Beginn des Kriegs und den Massendeportationen ab 1941 stattfanden, ermöglichten es zahlreichen Deutschen, sich an den Besitztümern der Verfolgten zu bereichern. Die Enteignung der in die Vernichtungslager Deportierten wird als „Aktion 3“ bezeichnet. Hierbei nahm der NS-Staat schätzungsweise 778 Millionen Reichsmark ein. Neben Hausrat, Kleidung und Geschirr wurden auch Praxen und deren Einrichtungen versteigert. AKTION T4 Während des „Dritten Reichs“ beackerte die deutsche Medizin zahlreiche Felder. Eines davon war die Erbgesundheitsideologie, auch als „Aktion T4“ bezeichnet. Dabei wurden bis 1945 rund 200.000 Menschen mit geistig, seelisch und körperlichen Beeinträchtigungen ermordet. Ab 1936 versuchten die Nationalsozialisten, das Prüfungsfach Rassenhygiene einzuführen. Ein Vorhaben, das 1939 gelang und zum Pflichtfach an allen Universitäten wurde. Eine besondere Stellung kam der Zahnärzteschaft Zahnheilkunde. Zahnärztliche Behandlung an der k. u. k. Militär-Oberrealschule, (später Martinkaserne), Eisenstadt, 1912. hier im Bereich der Eugenik zu: Sie hatten alle Patienten*innen mit „Hasenscharte“ oder einer Kiefer- und Gaumenspalte zu melden. Die Sterilisation der Betroffenen wurde in diesen Fällen prinzipiell genehmigt. KRIEG Nach Kriegsbeginn bedeutete ein offen ausgesprochenes Nein oftmals den Tod. Dennoch gab es immer noch die Möglichkeit, nicht in die NSDAP einzutreten und nicht als „T4“-Gutachter zur Verfügung zu stehen. Gegen „T4“ waren sogar Proteste möglich, wie die Kanzelproteste des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen belegen. Durch seine „Predigten“ im Sommer Kennzeichnung. Kennkarte und Reisepässe von Juden wurden mit einer Verordnung vom 5. Oktober 1938 mit dem unübersehbaren „J“ gekennzeichnet. Quelle: Stadtarchiv Karlsruhe 1/AEST 1237/340 1941 erwirkte er zumindest einen augenscheinlichen Stopp der sog. „Euthanasie“. Noch stärker als zuvor sahen viele Menschen nicht auf die Ereignisse, konnten ein Hinsehen nicht ertragen oder identifizierten sich gar damit. Denn diese Identifikation bedeutete meistens auch ein entsprechendes Amt, Ansehen, Vorzüge. Dies wiederum gewährte Macht, Vorteile und befriedigte Eitelkeiten. RESÜMEE Am Ende bleibt die Frage, ob man Zahnarzt*ärztin in einem Konzentrationslager werden und an der Rampe von Auschwitz bei Selektionen über Leben und Tod von Menschen entscheiden musste, um das Hitler-Reich zu überleben? War man gezwungen, eine Praxis zu übernehmen, die ehemals von einer*einem Kollegen*in jüdischen Glaubens geführt worden war und das Inventar zu Schleuderpreisen zu erwerben? Musste man sich an Menschenversuchen beteiligen, Mund- und Kieferanomalien anzeigen, um sich und/oder die Seinen zu schützen und wie groß war für viele der wissenschaftliche Deckmantel, unter dem sie agierten? Wer kann von sich behaupten, dass er dem NS-Regime Paroli geboten hätte? Umso größer ist unsere gesellschaftliche Verantwortung – als Einzelperson, als wissenschaftliche Fachgesellschaft, als Berufsgruppe. Cornelia Schwarz Foto: Fortepan Adományozó/Donor: Péchy Lászl 7 Eduard Seidler: Die Medizinische Fakultät zwischen 1926 und 1948, 1991.

ZBW_2-3/2022 www.zahnaerzteblatt.de 13_TITELTHEMA Verfolgte Zahnärzte*innen im „Dritten Reich“ ÜBERLEBT, EMIGRIERT, ERMORDET Der Machtantritt der Nationalsozialisten im Jahr 1933 war in vielerlei Hinsicht folgenschwer. Für die freiberuflich tätigen Zahnärzte*innen, die aus verschiedenen Gründen nicht der damaligen Ideologie entsprachen, begann ein Martyrium auf vielen Ebenen. Dieses begann bereits 1933 mit der Verordnung vom 22. April, als jüdischen Zahnärzte*innen die Kassenzulassung entzogen und sie mit sofortiger Wirkung aus sämtlichen Fürsorgeverbänden ausgeschlossen wurden. Bedauerlicherweise stellten sich die zahnärztlichen Verbände nicht schützend vor ihre jüdischen Mitglieder, sondern forcierten teilweise sogar in vorauseilendem Gehorsam den Entzug der Kassenzulassung. Neben zahlreichen Repressalien, Ausgrenzungen und Entmenschlichungen in den Folgejahren, mussten die Betroffenen teilweise miterleben, wie ihre Reputation zerstört und sie in ihrer ärztlichen Kompetenz diffamiert wurden. Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs wurden, trotz ihres Einsatzes für Deutschland nur 15 Jahre zuvor, in Konzentrationslager deportiert, gefoltert und ermordet. Sie mussten teilweise zusehen, wie Kollegen*innen mit „arischem“ Hintergrund Einzug in ihre Praxen und Wohnungen hielten. Sie verloren ihr berufliches und privates Umfeld, ihr Einkommen, ihre Absicherung. Durften die Diffamierten zunächst noch an Fortbildungsveranstaltungen der Standesorganisationen teilnehmen, so saßen sie meist dennoch isoliert an einem Extratisch. 1 Mit der 4. Verordnung zum „Reichsbürgergesetz“ wurde den Ärzten*innen am 25. Juli 1938 ihre Approbation entzogen und sie wurden zu Krankenbehandlern*innen degradiert, wenn sie überhaupt noch als solche tätig sein durften. 2 DR. MORITZ GOLDMANN Das Ehepaar Klara und Moritz Goldmann hatte im Jahre 1914 seinen Wohnort nach Konstanz verlegt und dort in der Eichhornstrasse 20 ihr selbst erbautes Haus bezogen. Zuvor hatte der promovierte Zahnarzt (Jahrgang 1871), nach Beendigung seines Staatsexamens im Jahr 1893 für zwei Jahre eine Assistenzarztstelle in den USA angenommen und danach ab 1895 eine Praxis in Stuttgart unterhalten. 1907 heirateten die Goldmanns und bekamen eine Tochter. Danach trat die Familie zum katholischen Glauben über. Wie sich zeigen sollte, schützte diese Konversion die Familie nicht davor, später von den Nazis als „Volljuden“ 1 Josef Werner: Hakenkreuz und Judenstern. Das Schicksal der Karlsruher Juden im Dritten Reich, Veröffentlichungen des Karlsruher Stadtarchivs, Band 9, Herausgegeben von Heinz Schmitt, 1988. 2 Rebecca Schwoch: Jüdische Ärzte als Krankenbehandler in Berlin zwischen 1938 und 1945, 2018. 3 Alle biografischen Angaben über Dr. Moritz Goldmann und seine Frau Klara Goldmann sind, mit freundlicher Genehmigung, den Recherchen von Hans-Hermann Seiffert, Konstanz entnommen. Siehe auch: www.stolpersteine-konstanz.de. Deportation. Am 22. Oktober 1940 wurden auf Anweisung der Gauleiter alle jüdischen Bürger*innen von Baden und aus der Saarpfalz in das Gebiet der französischen Vichy-Regierung abgeschoben. Diese brachte mehr als 6.500 Männer, Frauen und Kinder in dem Internierungslager Gurs unter. Die Verhältnisse im Lager waren miserabel. Viele Deportierte starben an Entkräftung und Epidemien. Ehepaar. Moritz und Klara Goldmann im Jahr 1939 zusammen mit den Enkeln Ingeborg und Eberhard Schwarz. Foto: E. Schwarz Foto: Alice Resch-Synnestvedt, United States Holocaust Memorial Museum

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