Fortbildung 37 Zahnerhalt. Prof. Dr. Matthias Kern zeigte Alternativen für Zahnersatz ohne Implantate. CMD. PD Dr. Daniel Hellmann gab ein Update über die Forschung im Bereich der Funktionsstörungen des Kausystems. Häusliche Gewalt. Dr. Dr. Claus Grundmann gab Empfehlungen zur Dokumentation bei Kindesmisshandlungen. Fotos: Bamberger Studien hätten gezeigt, dass wissenschaftlich „keine Signifikanz für einen Zusammenhang zwischen einer Fehlstellung der Zähne und dem Auftreten einer CMD“ zu sehen sei. Okklusion als biomechanischer Risikofaktor sei „lediglich ein Kofaktor in der multifaktoriellen Ätiologie der CMD“. Auch eine physiologische Verbindung zwischen Kauorgan und Körperhaltung könne wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden. Vielmehr werde heute in der Wissenschaft der Einfluss von Schmerzen auf die motorische Kontrolle diskutiert. „Sie können die Bewegungsmuster unseres Körpers verändern und dadurch unser motorisches System modellieren.“ Wenn die Schmerzen längere Zeit anhalten, finde eine Sensibilisierung statt und die Durchlässigkeit für Reize aus der Peripherie werde höher. Eine „die Segmente überschreitende zentrale Sensibilisierung“ sei die Folge. In Bezug auf die Funktionsanalyse nach GKV-Standard empfahl Dr. Hellmann den Anamnesebogen bei der eingehenden Untersuchung um folgende Frage zu erweitern: „Hatten Sie im vergangenen Monat Schmerzen in der rechten Gesichtshälfte, in der linken oder in beiden?“ Wird die Frage vom Patienten verneint, sei keine weitere CMD-Untersuchung notwendig. Werde die Frage bejaht, sei die Abklärung der Schmerzursache zwingend erforderlich. Eine adäquate Befundung beinhalte Palpieren und die Untersuchung der Bewegungskapazität des Unterkiefers und der Kiefergelenke auf Geräusche, um so Rechtssicherheit herzustellen. Kindesmisshandlung. Häusliche Gewalt ist leider keine Seltenheit, wie Dr. Dr. Claus Grundmann, Moers, anhand von Zahlenmaterial zu Beginn seines Vortrags „Häusliche Gewalt – was können Zahnärztinnen und Zahnärzte erkennen und was können sie tun?“ aufzeigte. Gewalt gegen Kinder finde meistens im engeren Umfeld statt. Eltern oder Geschwister und in Patchworkfamilien häufig auch der neue Partner der Mutter, seien Personen, die Gewalt gegen Kinder ausübten. Schläge, Treten, Schütteln, Kneifen, Stichverletzungen, Ersticken, Würgen, Vergiften, Verbrennen und Verbrühen seien häufige Formen der Gewaltanwendung. Aber auch psychische Gewalt und sexueller Missbrauch nähmen laut Dr. Grundmann zu. Da Zahnärztinnen oder Zahnärzte in der Praxis häufiger auf Patienten treffen mit Verletzungen, die auf eine äußere Gewalteinwirkung hindeuten, sei hier eine Dokumentation wichtig. Anhand der „Hutkrempenlinie“ benannte er die misshandlungsverdächtigen Körperregionen im Bereich des Kopfes. Verletzungen oberhalb dieser Linie seien meist sturzbedingt, während Verletzungen unterhalb dieser Linie wie z. B. an den Schläfen oder im Bereich der Wangen oder Ohren auf Fremdeinwirkung hinwiesen. Er erläuterte die rechtlichen Aspekte in Bezug auf Schweigepflicht und Dokumentation und gab Empfehlungen für die Verwendung von Befundbögen zur forensischen Zahnmedizin, die über die Internetseiten der Kammer und KZV Nordrhein und Westfalen Lippe heruntergeladen werden können. Er empfahl eine genaue Dokumentation der extraoralen und intraoralen Befunde (Lockerungen, Verletzungen der Zunge, Wangenschleimhaut, Ober- oder Unterlippe) und welche Mitarbeiterin zum Zeitpunkt in der Praxis Dienst hatte, da diese Informationen vor Gericht wichtig seien. Wenn möglich sollten Übersichtsaufnahmen vom Körper und Detail aufnahmen der Verletzungen angefertigt werden. Eine Meldepflicht für Ärzte, Zahnärzte, Sozialpädagogen etc. beim Bekanntwerden von Misshandlungen gebe es in Deutschland nicht. Jedoch könne die in § 203 des Strafgesetzbuches verankerte Schweigepflicht durch § 34 außer Kraft gesetzt werden, wenn ein höheres Rechtsgut, Gefahr von sich oder einem anderen abzuwenden, dadurch gewahrt werde. Patienten mit Handicap. Prof. Dr. Andreas Schulte, Witten-Herdecke, ging der Frage nach, wie man Patienten mit Handicap erfolgreich behandelt. Er stellte besonders die Patienten in den Fokus, deren Mundgesundheit beeinträchtigt werde, weil ihre Behinderungen „potenziell negative Auswirkungen auf die Mundgesundheit und die zahnmedizinische Versorgung“ haben. Häufig sei in diesen Fällen eine eigenverantwortliche Mundhy- www.zahnaerzteblatt.de ZBW 11/2019
38 Fortbildung Patienten mit Handicap. Eine gute Mundgesundheit verbessert die Lebensqualität, so Prof. Dr. Andreas Schulte. Versorgung älterer Patienten. Dr. Elmar Ludwig stellte sein Praxiskonzept zur Versorgung älterer Patienten vor. Seltene Krankheiten. Wichtige Hinweise für die Diagnose von seltenen Erkrankungen gab OA Dr. Marcel Hanisch. giene nicht möglich, die Kommunikation mit dem Zahnarzt erschwert, es mangle an Kooperation bei der Behandlung oder der Zugang zur Zahnarztpraxis sei nicht oder nur schwer möglich. Prof. Schulte stellte sein Behandlungskonzept vor, bei dem Kommunikation und Vertrauen eine wichtige Rolle spielen. Er gab Tipps für die Kontaktaufnahme, den Kontakt mit Begleitpersonen, das Training der Eltern oder Betreuer und erläuterte die motorischen, koordinatorischen sowie kognitiven Herausforderungen beim Zähneputzen. Wichtig sei die Entwicklung eines individuellen Mundhygieneplans gemeinsam mit Patient und Betreuer. Im Verlauf von vier Sitzungen könne ein persönliches Vertrauensverhältnis zum Zahnarzt aufgebaut werden, das eine gute Basis für die weitere zahnärztliche Behandlung biete. Versorgung älterer Patienten. Die Versorgung älterer Patienten stand im Mittelpunkt des Vortrags von Dr. Elmar Ludwig, Ulm. Unter dem Titel „Alte Menschen gut versorgen – ein Konzept aus der Praxis für die Praxis“ ging er auf die aktuelle Situation in der Pflege ein und erläuterte die neue Ausgangssituation, bei der immer mehr Pflegebedürftige noch viele eigene Zähne haben und sich die Munderkrankungen in das höhere Lebensalter verschieben. Neue Herausforderungen seien u. a. Karies und Parodontitis. Eine entzündungsfreie Mundhöhle sei sehr wichtig, denn Bakterien aus der Mundhöhle könnten eine Lungenentzündung verursachen und dies sei der häufigste Faktor für eine Krankenhauseinweisung. Dr. Ludwig verwies auf den neuen Expertenstandard zur „Erhaltung und Förderung der Mundgesundheit in der Pflege“, der momentan entwickelt werde. 2020 solle dieser in einer Konsensuskonferenz verabschiedet und im Jahr 2022 implementiert werden. Dann sei er für alle Pflegekräfte in den Einrichtungen verbindlich. Darüber hinaus gab Dr. Ludwig wertvolle Tipps zur mobilen Behandlung, für den Umgang mit Polypharmazie, zur Abrechnung und erläuterte rechtliche Aspekte. Besonders wichtig seien Schulung und Fortbildung, betonte er, und zwar für das gesamte Praxisteam. Seltene Erkrankungen. Um seltene Krankheiten ging es im Vortrag von OA Dr. Marcel Hanisch, Münster, mit dem Titel „Seltene Erkrankungen mit Manifestation im Zahn-, Mund- und Kieferbereich: erkennen, zuordnen, Fehldiagnosen vermeiden“. In Deutschland seien ca. vier Millionen Menschen von einer seltenen Erkrankung betroffen und 15 Prozent dieser Fälle manifestierten sich im Zahn-, Mund- und Kieferbereich. Häufig gebe es innerhalb der Zahnmedizin wenig Kenntnisse zu seltenen Erkrankungen, was zu „Diagnose-Irrfahrten“ und Schwierigkeiten bei der Versorgung führe, unterstrich Dr. Hanisch. Für die systematische Literaturrecherche empfahl er die webbasierte Datenbank zur Erfassung orofazialer Manifestationen ROMSE (http://romse. org), auf der derzeit 541 seltene Erkrankungen mit orofazialen Manifestationen erfasst seien. Wenn der Zahnarzt die Erkrankungen erkennt und richtig zuordnet, könne er einen wichtigen Beitrag zur Diagnose leisten, was dem Patienten einen langen Leidensweg erspare. » gabi.billischek@izz-online.de Festvortrag Der besondere Vortrag widmete sich in diesem Jahr dem Umgang mit Krisen. Der Psychologe und Krisenmanager Dr. Stefan Junker, Oftersheim, zeigte auf, wie man angesichts der heutigen unruhigen Zeiten Krisen bewältigt. Er gab Tipps zum klaren Denken und Handeln, wenn die bisherigen Lösungsversuche nicht greifen und gab Anregungen was jeder Einzelne tun kann. ZBW 11/2019 www.zahnaerzteblatt.de
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