14 Titelthema geleistet. Erinnern Sie sich, wie die Reaktionen im Land und auch über die Landesgrenzen hinaus waren? Dr. Hermann: Es gab Anfragen von diversen Zahnarztpraxen, die auch an diesem Vertrag teilnehmen wollten. Aus qualitativen Gründen müssen für eine Teilnahme ganz spezifische Anforderungen erfüllt sein. Eine Teilnahme kommt nur für Schwerpunktpraxen mit Anbindung an ganz bestimmte Heime für behinderte Menschen in Betracht. Zumindest Interesse an unserem Vorgehen wurde auch von anderen AOKs im Bundesgebiet gezeigt. Dr. Maier: Auf Bundesebene haben unsere Aktivitäten durchaus Anerkennung gefunden. Von Anfang an war klar, dass wir hier eine Vorreiterrolle spielen würden, was sich nun durch die aktuellen gesetzgeberischen Maßnahmen bestätigt. Wir können hier durchaus stolz sein, dass wir mehr als zehn Jahre vor der Politik bereits daran gearbeitet haben. Deutschland steht bei der Zahngesundheit weltweit auf einem der vordersten Plätze. Das ist maßgeblich auch den guten Prophylaxestrukturen zu verdanken. Welche konkreten Herausforderungen bestehen bei diesen speziellen Zielgruppen? Dr. Maier: Die Menschen werden hierzulande immer älter und haben länger ihre eigenen Zähne, was ja eine positive Entwicklung ist. Die Mundgesundheit ist aber gerade bei Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen im Durchschnitt schlechter als bei der übrigen Bevölkerung. Das liegt beispielsweise an der abnehmenden Fähigkeit zur eigenständigen Mundpflege oder an mobilitätsbedingten Schwierigkeiten einen Zahnarzt aufsuchen zu können. Oft fehlen auch die nötigen Kenntnisse bei Pflegekräften oder Pflegepersonen in der Familie. Dr. Hermann: Der Prophylaxeerfolg ist insbesondere der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe zuzuschreiben, mit der Kinder und Jugendliche in Kindergärten und Schulen erreicht werden. Im Bereich der Pflegeheime und der Heime für Menschen mit Behinderungen bestehen hier jedoch strukturelle Defizite, auf die der Gesetzgeber ab dem Jahr 2013 mit verschiedenen Maßnahmen bzw. zusätzlichen Leistungen reagiert hat. Die besondere Herausforderung bei dieser Zielgruppe ist, dass die zahnärztliche Betreuung mit einem deutlich erhöhten Aufwand verbunden ist und auch ganz besondere soziale Kompetenzen erfordert. Erschwerend kommt hinzu, dass das Pflegepersonal oft kaum Freiraum hat, bei der Mundhygiene gezielt mitzuwirken. Dass sich die Versorgung dieser Zielgruppen dennoch stetig verbessert, zeigt sich nicht zuletzt an den steigenden Zahlen an Kooperationsverträgen zwischen stationären Einrichtungen und Vertragszahnärztinnen und -zahnärzten. Was können Sie aus dem Behandlungsalltag im Rahmen solcher Kooperationen berichten? Dr. Maier: Die Versorgung wird in diesem Bereich spürbar besser, und zwar kontinuierlich. Jede Woche kommen weitere Kooperationsverträge hinzu. Diese Verträge definieren konkret die zahnärztliche Betreuung der Heimbewohner. Wie es im Alltag umgesetzt wird, hat die Pilotstudie von Dr. Frank Oberzaucher jüngst untersucht und erfreuliche Ergebnisse hinsichtlich einer besseren Mundgesundheit und mehr Lebensqualität gebracht. Allerdings gibt es auch konkrete Probleme, etwa dass dem Pflegepersonal nicht genug Zeit für die Mundpflege der Patienten zur Verfügung steht. Dr. Hermann: Durch die regelmäßige Vorsorge und Kontrolle ist bei den Heimbewohnern insgesamt eine Verbesserung der Mundgesundheit zu verzeichnen. Zu ergänzen ist aber noch, dass wir vor ein paar Jahren die Leistungen um eine Prothesenreinigung erweitert haben, da Prothesen Keimansammlungen Entzündungen und Folgeerkrankungen an anderer Stelle nach sich ziehen können. Am größten war der Erfolg dort, wo es tatsächlich gelungen ist, das Pflegepersonal in die Prophylaxemaßnahmen mit einzubinden. Dies ist leider auch deshalb nicht immer einfach, da das Personal häufig wechselt. Viele Zahnärztinnen und Zahnärzte arbeiten in der aufsuchenden Betreuung aber auch ohne Kooperationsvertrag. Wird dieser Einsatz ausreichend wahrgenommen und wertgeschätzt? Dr. Hermann: Sowohl die aufsuchende Behandlung in Pflegeheimen mit und auch ohne Kooperationsvertrag wird mittels besonderer Zuschlagspositionen vergütet. Damit soll der erhöhte Aufwand honoriert und zugleich Wertschätzung zum Ausdruck gebracht werden. In Baden-Württemberg haben wir gut 1.600 Pflegeheime und aktuell über 600 Kooperationsverträge nach § 119b SGB V. Hier besteht noch Luft nach oben. Gemeinsam mit der KZV BW setzen wir uns für eine noch größere Abdeckung ein. Der Vorteil des Kooperationsvertrages besteht darin, dass Zahnarzt und Heim ein auf das jeweilige Haus zugeschnittenes, ganz spezifisches Konzept entwickeln und praktizieren können. Dr. Maier: In der Tat engagieren sich viele Kolleginnen und Kollegen im Bereich der Alterszahnheilkunde und der Betreuung von Menschen in Pflegeheimen, ohne dass Sie einen Kooperationsvertrag unterschrieben haben. Aus Patientensicht ist das auch völlig in Ordnung, solange ZBW 11/2019 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 15 sie im Ergebnis gut betreut werden. Mir ist wichtig, dass sich Zahnärztinnen und Zahnärzte nicht unter Druck gesetzt fühlen und eine teilweise jahrelange erfolgreiche Betreuung und Prophylaxe vor Ort nicht aus rechtlichen Gründen in Frage gestellt wird. Angesichts der neueren gesetzlichen Bestimmungen ist aber davon auszugehen, dass die Betreuung in stationären Pflegeeinrichtungen künftig in immer größerem Umfang im Rahmen von Kooperationsverträgen geschehen wird. AOK und KZV Baden-Württemberg haben mit Ihrem gemeinsamen Engagement gezeigt, dass die Selbstverwaltung in der Lage ist, wirkliche Verbesserungen in der Versorgung erzielen zu können. Sie haben nicht darauf gewartet, dass von der Politik etwas kommt. Dennoch die Frage: Was wünschen Sie sich vonseiten der Politik? Dr. Hermann: Im Bereich der Behandlung von Pflegebedürftigen und Menschen mit Behinderungen hat ja nun auch die Politik den Handlungsbedarf erkannt und zuletzt die zusätzlichen Prophylaxemaßnahmen nach § 22a SGB V umgesetzt – wenn auch mit mehrjähriger Verzögerung. Dr. Maier: Auf die Notwendigkeit der zügigen Umsetzung haben wir zusammen 2017 ja auch mit einem Schreiben an den Gemeinsamen Bundesausschuss hingewiesen. Dr. Hermann: Ganz generell sehen wir in der aktuellen Gesundheitspolitik die Tendenz, dass Maßnahmen nach dem Gießkannenprinzip bundesweit verteilt werden ohne Rücksicht auf die regionalen Gegebenheiten. Das birgt die Gefahr, dass die Effizienz und Zielgenauigkeit hinter den Ausgaben zurückhängen. Ziel der AOK Baden-Württemberg ist es, wie wir es übrigens z. B. bei den Haus- und Facharztverträgen Bessere Versorgung. Ziel der AOK Baden-Württemberg ist es, gemeinsam mit den regionalen Partnern vor Ort passgenaue Maßnahmen für alle Beteiligten, die (Zahn-)Ärzte wie die Patientinnen und Patienten, umzusetzen. seit Jahren mit Erfolg praktizieren, gemeinsam mit unseren regionalen Partnern vor Ort passgenaue Maßnahmen für alle Beteiligten, die (Zahn-)Ärzte wie die Patientinnen und Patienten, umzusetzen. Dazu brauchen wir Gestaltungsspielräume für eigenverantwortliches, regionales Handeln anstatt laufend neuer Einheitsvorgaben für die gesamte GKV, die zwar viel Geld kosten, deren Nutzen und Zielgenauigkeit aber alles andere als sicher ist. Dr. Maier: Mit der Forderung nach regional zugeschnittenen Versorgungskonzepten rennt Dr. Hermann bei uns offene Türen ein. Da steht die KZV Baden-Württemberg fest an der Seite der AOK. Es zeigt sich ja gerade bei unserer jahrelangen Zusammenarbeit, dass die Selbstverwaltung nicht nur handlungsfähig ist, sondern häufig auch schneller und zielgenauer im Sinne der Patientinnen und Patienten agieren Foto: AOK Baden-Württemberg Wertschätzung. Die Behandlung von Menschen mit Behinderungen oder generell mit Pflegebedarf ist anspruchsvoller und kostet den Zahnarzt mehr Zeit. Das muss auch in der Vergütung dieser Leistungen berücksichtigt werden. kann. Aber wenn ich einen ganz konkreten Wunsch äußern soll, dann möchte ich auf die Wertschätzung bei der Betreuung von Menschen mit besonderem Behandlungsbedarf zurückkommen: Die Behandlung von Menschen mit Behinderungen oder generell mit Pflegebedarf ist eben anspruchsvoller und kostet den Zahnarzt mehr Zeit. Das muss auch in der Vergütung dieser Leistungen berücksichtigt werden. Außerdem sind bislang noch keine Kooperationsverträge von Wohneinrichtungen für Menschen mit Behinderungen mit Vertragszahnärzten wie im Bereich der stationären Pflege möglich. Das wäre ein wichtiger Schritt. Vielen Dank für das Gespräch! Die Fragen stellte Dr. Holger Simon-Denoix Foto: Stollberg www.zahnaerzteblatt.de ZBW 11/2019
Zu guter Letzt 67 Karikatur: Rürup
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