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Zahnärztliche Versorgung

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8-9/2022

38_FORTBILDUNG

38_FORTBILDUNG ZBW_8-9/2022 www.zahnaerzteblatt.de Minimalinvasive parodontologische Behandlungskonzepte WIE VIEL CHIRURGIE BRAUCHEN WIR NOCH? Bis Anfang der 80er-Jahre dominierten resektive parodontalchirurgische Verfahren das therapeutische Vorgehen bei Parodontitispatienten. Mittlerweile haben sich insbesondere regenerative Verfahren etabliert; im letzten Jahrzehnt nahm die Invasivität weiter ab und führte zur Entwicklung der minimalinvasiven nichtchirurgischen Technik. Foto: AdobeStock/Aleksandra Gigowska In den letzten Jahren sorgte die parodontologische Forschung für zahlreiche Neuerungen im Bereich der therapeutischen Konzepte und Techniken, die in aktuellen Leitlinien zusammengefasst wurden. Diese geben Empfehlungen, die sich aus einer systematischen Recherche und Bewertung wissenschaftlicher Evidenz zu klinischen Fragestellungen ergeben. So auch die S3-Leitlinie „Treatment of Stage I–III Periodontitis“ („Die Behandlung von Parodontitis Stadium I bis III“) der European Federation of Periodontology (EFP), die klinische Schlüsselempfehlungen für alle Phasen der Parodontitistherapie enthält 1 . Seit Juli 2021 finden sich diese Erkenntnisse auch in der neuen PAR-Richtlinie wieder und bieten damit der Praktikerin oder dem Praktiker ein umfassendes und evidenzbasiertes Behandlungskonzept in der Patientenversorgung 2 . BEHANDLUNGSEMPFEHLUNGEN Heutzutage wird die Parodontitis auf Grundlage der neuen Klassifikation individuell nach Schweregrad, Komplexität, Ausdehnung und Progressionsrate sowie unter Berücksichtigung von Risikofaktoren beurteilt 3 . Die Behandlung einer Parodontitis Stadium I – III richtet sich dabei nach einem therapeutischen Stufenplan (Therapiestufe I – IV). In Therapiestufe I wird die adäquate Mundhygiene durch den Patienten sichergestellt und die Risikofaktoren (u. a. Tabakkonsum, Diabetes) überwacht. Diese erste Behandlungsstufe legt damit die erforderliche Basis für die Folgebehandlung und die Langzeitstabilität des Behandlungsergebnisses fest 1, 4, 5 . Die Therapiestufe II (ursachengerichtete Therapie) beinhaltet die mechanische subgingivale Instrumentierung aller pathologisch vertieften Taschen mittels Handinstrumenten (Küretten) und/oder Schall-/Ultraschallgeräten 1, 6–8 . Dabei werden subgingivale Konkremente entfernt und der dysbiotische Biofilm desintegriert, mit dem Ziel, eine biokompatible Wurzeloberfläche zu etablieren und die Entzündung aufzulösen 9–12 . Das klinische Behandlungsziel ist die Reduktion der Taschensondierungstiefen (TST) auf maximal 4 mm und Abwesenheit von Bluten auf Sondieren (BAS). Die Wirksamkeit der subgingivalen Instrumentierung als Teil der systematischen Parodontitistherapie ist gut dokumentiert und wurde in mehreren Übersichtsarbeiten und Studien zusammengefasst 8, 13–15 . Hierbei konnte gezeigt werden, dass tiefere Taschen (≥ 7 mm) im Schnitt eine höhere Verringerung der Taschensondierungstiefe (2,6 mm) nach 6 bzw. 8 Monaten aufwiesen, als moderate Stellen mit 4 bis 6 mm (1,5 mm). Darüber hinaus konnte ein mittlerer Anteil an geschlossenen Taschen von 74 Prozent und eine durchschnittliche BAS-Reduktion von 62 Prozent beobachtet werden 1, 6 . Somit kann die subgingivale Instrumentierung zweifelsohne als äußerst effektive, sichere und evidenzbasierte Therapie angesehen werden und bildet das Herzstück einer jeden systematischen Parodontitistherapie. FULL-MOUTH-PROTOKOLLE Kontinuierliche Bestrebungen zur Verbesserung des Therapie- Outcomes führten in den letzten Jahren zu verschiedenen neuen Ansätzen. Darunter fallen auch die Full-Mouth-Protokolle, bei denen die subgingivale Instrumentierung innerhalb von 24 Stunden abgeschlossen werden sollte. Der Vergleich zwischen dem traditionellen quadrantenweisen und dem Full-Mouth- Vorgehen konnte keine deutlichen Unterschiede zwischen den beiden Therapiemodalitäten zeigen 6, 16 . Somit kann die Auswahl des Behandlungsprotokolls, unter Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils der Patientin bzw. des Patienten, anhand der Präferenz der Patientin bzw. des Patienten sowie der Behandlerin bzw. des Behandlers erfolgen. Die Full-Mouth-Disinfection-Protokolle, die den adjuvanten Einsatz von Antiseptika beinhalten, wurden in der aktuellen Leitlinie nicht berücksichtigt. Weitere Optimierungen des Therapieergebnisses wurden durch Verwendung von neuartigen Instrumenten, Geräten und adjuvanten Therapiemaßnahmen angestrebt. So stehen der Behandlerin bzw. dem Behandler heutzutage eine Vielzahl an Ultraschallaufsätzen (Slimline-Aufsätze) und Modifikationen an Handinstrumenten (Mini- und Mikroküretten) zur Verfügung,

ZBW_8-9/2022 www.zahnaerzteblatt.de 39_FORTBILDUNG 1 Abbildung: Prof. Dr. Kasaj, Dr. Patyna Behandlungskonzepte. Entwicklung der Behandlungskonzepte bei tiefen parodontalen Taschen und Knochendefekten. Die klassische Zugangslappen-Operation (Access Flap) wurde dabei zunehmend durch minimalinvasive Lappentechniken abgelöst. die insbesondere in tiefen Taschen und schwer zu instrumentierenden Bereichen die Qualität und Effektivität der subgingivalen Instrumentierung steigern sollen. Weiterhin können Vergrößerungshilfen (Lupenbrille, OP-Mikroskop) durch eine hervorragende Detailerkennung von Vorteil sein. Aktuelle Arbeiten konnten zudem zeigen, dass sich durch den Einsatz eines dentalen Endoskops die klinischen Ergebnisse der subgingivalen Instrumentierung insbesondere in tiefen Taschen weiter verbessern lassen 17, 18 . ADJUVANTE THERAPIEMASSNAHMEN Weiterhin stehen der Behandlerin bzw. dem Behandler zahlreiche adjuvante Therapiemaßnahmen zu Verfügung. Grundsätzlich können die adjuvanten Therapiemaßnahmen in physikalisch/chemische Mittel, systemische Antibiotika, subgingival lokal applizierte antimikrobielle Mittel und immunmodulatorische Mittel eingeteilt werden. Zu den physikalisch/chemischen Mitteln zählen u.a. der Einsatz von Lasern, die antimikrobielle photodynamische Therapie (aPDT) und Antiseptika. Sowohl für den adjuvanten Einsatz von Lasern als auch für die adjuvante aPDT liegt nur unzureichende Evidenz vor, sodass deren Einsatz zusätzlich zur subgingivalen Instrumentierung nicht empfohlen wird (1) . Der adjuvante Einsatz von Antiseptika in Form von Chlorhexidin – Mundspüllösungen kann insbesondere bei eingeschränkter mechanischer Plaquekontrolle für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden 19 . Der adjuvante Einsatz von lokal appliziertem CHX mit Retard-Formulierung kann zwar laut aktueller S3- Leitlinie bei Parodontitispatienten zusätzlich zur subgingivalen Instrumentierung erwogen werden, allerdings ist der klinische Zusatznutzen als gering einzustufen 1 . Obgleich verschiedene klinische Studien eine Verbesserung der Resultate bei systemischer Antibiotikagabe als Ergänzung zur subgingivalen Instrumentierung gezeigt haben, sollten diese aufgrund der negativen Auswirkungen auf die Patientengesundheit und die öffentliche Gesundheit bei Parodontitispatienten nicht routinemäßig eingesetzt werden (20) . Der adjuvante Einsatz von Antibiotika sollte lediglich in bestimmten Gruppen von Patientinnen bzw. Patienten (z. B. generalisierte Parodontitis Stadium III/IV bei jungen Erwachsenen) erwogen werden. Das Mittel der Wahl bleibt dabei nach wie vor die einwöchige kombinierte Gabe von Amoxicillin (500 mg) und Metronidazol (400 mg) 2 . Der Einsatz von lokal verabreichten Antibiotika mit anhaltender Freisetzung kann laut aktueller S3-Leitlinie zusätzlich zur subgingivalen Instrumentierung erwogen werden (1, 2, 21, 22) . Hierbei sollten allerdings die Kosten in Relation zum zusätzlichen therapeutischen Nutzen berücksichtigt werden. Darüber hinaus ist lediglich ein Doxycyclin-Präparat (Ligosan ® ) für diese Indikation auf dem deutschen Markt erhältlich. Weitere Empfehlungen für den adjuvanten Einsatz von immunmodulatorischen Adjuvantien wie z. B. Statin-Gele, Probiotika, subantimikrobiell-dosiertes Doxycyclin, Bisphosphonate, nichtsteroidale antiinflammatorische Medikamente (NSAIDS), mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren oder Metformin werden nicht ausgesprochen 1 . Schlussendlich erscheint der therapeutische Zusatznutzen von Adjuvantien im Vergleich zur alleinigen subgingivalen Instrumentierung limitiert und oftmals ohne klinische Relevanz zu sein. Der Großteil der Fälle unter Patientinnen bzw. Patienten kann somit durch eine adäquat durchgeführte Therapiestufe I und II mit konsequenter UPT erfolgreich behandelt werden 6 . Die Notwendigkeit für ggf. weiterführende parodontalchirurgische Maßnahmen wird im Rahmen der Reevaluation drei bis sechs Monate nach erfolgter subgingivaler Instrumentierung beurteilt 1, 2 . Können hierbei die Endpunkte für die unterstützende Parodontitistherapie (UPT) nicht erreicht werden (TST > 4 mm mit BOP oder ≥ 6 mm), folgt die dritte Therapiestufe. Bei der Therapiestufe III können eine wiederholte subgingivale Instrumentierung mit oder ohne Adjuvantien oder unterschiedliche chirurgische Ansätze zum Einsatz kommen (1) . Das Ziel eines chirurgischen Eingriffs ist es dabei, bei tiefen parodontalen Taschen (TST ≥ 6mm) einen direkten Zugang zur Wurzeloberfläche zu erhalten. Darüber hinaus können komplexe Läsionen (z. B. Knochentaschen, Furkationsdefekte) regenerativ oder resektiv therapiert werden. Besteht die Indikation für einen parodontalchirurgischen Eingriff, so sollte stets eine spezifische in-

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