32_BERUFSPOLITIK ZBW_8-9/2022 www.zahnaerzteblatt.de Kammer Konversation „DATENSCHUTZ IST KEIN EIGENZWECK“ In der Reihe Kammer Konversation lud LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert den Landtagsabgeordneten Peter Seimer von Bündnis 90/Die Grünen zum Online-Gespräch ein. Der digitalpolitische Sprecher der größten Regierungspartei im baden-württembergischen Landtag setzt große Hoffnungen auf das geplante Reallabor der Landesregierung, das die Auswertung echter Daten ermöglichen soll. Der ehemalige Steuerfahnder betont, dass Datenschutz nie Selbstzweck sein dürfe, sondern den Schutz der Person hinter den Daten garantieren müsse. Foto: LZK BW/Richter Onlineaustausch. Der Digitalbeauftragte von Bündnis 90/Die Grünen, Peter Seimer MdL, und LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert tauschen sich im Online-Gespräch über Chancen und Risiken der Digitalisierung aus. Dr. Torsten Tomppert: Vielen Dank, Herr Seimer, dass Sie sich Zeit für unsere Kammer Konversation nehmen. Im Gesundheitswesen wird die Digitalisierung oft als Allheilmittel dargestellt. Wie ist Ihre Meinung dazu? Peter Seimer: Digitalisierung kann natürlich nicht alles, aber sie kann viel und zwar vor allem qualitativ. In erster Linie sehe ich sie deshalb unterstützend. Gerade in der Arbeit am Patienten ist es wichtig, dass es auch noch einen Menschen gibt, der Ergebnisse einordnet. Deshalb glaube ich nicht, dass Künstliche Intelligenz die Ärztin oder den Arzt ersetzen wird. Dabei möchte ich auch den ethischen Aspekt aufgreifen. Wenn es um lebenswichtige Entscheidungen geht, möchte man diese eher mit einem Menschen besprechen, der in seinem Fach über Erfahrungen und einen Wertekompass verfügt – nicht mit einer Maschine, die ausrechnet, was in Zukunft möglich ist. Digitalisierung und Künstliche Intelligenz werden unterstützen und können hier einiges leisten, aber niemals den Menschen ersetzen. Vor Kurzem hat die Landesregierung den Aufbau eines „Reallabors Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen“ beschlossen. Was ist geplant und welche Hoffnungen sind damit verbunden? Große Hoffnungen! Ich freue mich sehr über die Einrichtung des Reallabors. Wir gewinnen damit reale Daten in einer Qualität, die für Forschung, Entwicklung und Behandlung einen großen Fortschritt darstellen. Ich verspreche mir viel davon, weil wir Daten verknüpfen oder nur den Einzelfall
ZBW_8-9/2022 www.zahnaerzteblatt.de 33_BERUFSPOLITIK betrachten können, zugleich aber zu jedem einzelnen Datensatz auch das Gesamte anschauen können. Wir bekommen einen riesigen Wissensvorsprung, weil wir nicht mehr auf klinische Studien zurückgreifen müssen. Diese gehen oft von optimalen Bedingungen aus, aber es spielt doch auch eine Rolle, wie sich der Mensch im echten Leben verhält. Alle Ärzte haben das Ziel, die Menschen in ihrem Fachbereich gesund zu machen und gesund zu erhalten. Dafür sind reale Daten das A und O. Mit dem Reallabor können wir deshalb in Zukunft einen enormen Mehrwert für Patientinnen und Patienten schaffen. Da kommt man natürlich auch ins Grübeln. Gerade zum Datenschutz im Gesundheitsbereich gibt es große Befürchtungen, auch wenn viele Menschen in anderen Bereichen sehr großzügig mit ihren Daten umgehen. Ja, bei Gesundheitsdaten geht es um äußerst sensible Daten, vor allem, wenn sie personalisiert sind. Deshalb ist hier der Datenschutz extrem wichtig. Dabei ist Datenschutz kein Eigenzweck, sondern soll potenziellem Missbrauch vorbeugen. Als früherer Strafverfolger habe ich eine Vorstellung davon, was man mit persönlichen Daten anstellen kann, weshalb ich einen exzellenten Datenschutz für notwendig halte! Wichtig ist aber auch der politische Aspekt: Es gibt beispielsweise Überlegungen, Menschen, die gesund leben, Anspruch auf niedrigere Beiträge für die Krankenversicherung einzuräumen. Ansatzweise ist das bereits umgesetzt, allerdings darf man in einer freiheitlichen Demokratie niemandem vorschreiben, wie er oder sie zu leben hat. Auch das sollte bedacht werden, wenn es um Datenschutz geht. Bei der Digitalisierung sollte man die Beteiligten immer mitnehmen. In Baden-Württemberg sind wir da manchmal weiter als anderswo. So hatten wir bereits 2019 eine Testphase zum elektronischen Rezept. Als digitalpolitischer Sprecher meiner Partei befürworte ich fast jeden digitalen Fortschritt. Allerdings muss man auch den Mehrwert für alle Beteiligten sehen. Beim elek tronischen Rezept sind es beispielsweise die Praxis, der Patient und die Apotheke. Wir kennen alle das Klischee von der ärztlichen Handschrift, die Hieroglyphen ähnelt, was zu Verwechslungen führen kann. Da hilft ein elektronisches Rezept sicherlich. Nun bin ich als Politiker viel unterwegs, treffe viele Menschen und bekomme viele Themen aus meinem Wahlkreis auf den Tisch. Aber mir hat noch nie jemand gesagt, dass man jetzt endlich ein elektronisches Rezept brauche. Verstehen Sie mich richtig: Ich denke, dass das elektronische Rezept Sinn macht, aber das Bedürfnis danach ist noch nicht da. Ich stimme Ihnen zu: Man muss bei der Digitalisierung die Menschen mitnehmen. Wenn man aber sieht, dass es noch kein großes Bedürfnis gibt, muss man das Bedürfnis wecken – wenn es sinnvoll und möglich ist – oder man macht Digitalisierung an den Beteiligten vorbei. Einen Mehrwert zu schaffen ist vor allem im B2C-Bereich wichtig, wo ich mit Privatpersonen zu tun habe. Viel wichtiger als im B2B-Bereich, wo es um Unternehmensstrukturen geht, die man verbessern und weiterentwickeln möchte, um vorne dabei zu sein. Bei Privatpersonen ist deshalb Usability das Schlagwort schlechthin. Ich finde, man müsste auch die Gesundheitskompetenz von Patientinnen und Patienten fördern. Die Zahnärzteschaft legt gerade neue Podcasts zu verschiedenen Themen auf, um die Öffentlichkeit besser zu informieren. Man sollte auch etwas tun, damit die Patientin bzw. der Patient mit eigenen Daten souverän umgehen kann. Sie sprechen da einen wichtigen Punkt an: Datenschutz kann auch hinderlich sein, im Gesundheitsbereich sogar mit dramatischen Folgen. Wir haben vom Gesetzgeber den Auftrag, präventiv zu handeln. Dabei müssen wir immer überlegen, vor wem wir die Daten schützen wollen. Denn es macht einen Unterschied, ob ich die Daten vor rein kommerziellen Nutzern wie Amazon oder Google schütze. Oder ob ich sie vor jemandem schütze, der mir Gutes tun möchte, also zum Beispiel vor meinem Arzt. Wenn Sie als Zahnarzt sagen: „Ich möchte die Daten sehen, die der Kollege Internist erfasst hat“, dann haben Sie einen guten Grund dafür. Und ich glaube nicht, dass Sie die Daten weiterverkaufen oder in verwerflicher Absicht nutzen. Beim Datenschutz geht es deshalb nicht eigentlich um den Schutz von Daten, sondern um den Schutz der Person hinter den Daten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass dieser Aspekt, vor allem in der Szene der Datenschützer, nicht immer richtig gesehen wird. Lassen Sie uns noch zur Videosprechstunde kommen. Hier gibt es interessante Einsatzbereiche, zum Beispiel bei Ärztemangel im ländlichen Raum oder in der Pflege, sei es im Heim oder zu Hause. Wie sehen Sie die Digitalisierung im Zusammenhang mit der drohenden Unterversorgung im ländlichen Raum? In vielerlei Hinsicht ist die Digitalisierung für den ländlichen Raum ein zweischneidiges Schwert. Denn sie trägt dazu bei, dass sich Infrastrukturen zurückbilden, wenn Präsenz weniger wichtig wird. Und je weniger frequentiert ein Raum ist, desto eher werden Standorte geschlossen. Dagegen ist der Ballungsraum ein „Vollsortimenter“, in dem alle Dienstleistungen vor Ort bereitgestellt werden. Auf der anderen Seite kann Digitalisierung für den ländlichen Raum natürlich auch ein Gewinn sein, wenn man Dienstleistungen und andere Angebote konsumieren kann, ohne dass die Infrastruktur in Präsenz vorhanden sein muss. Für das Sterben von Infrastrukturen gibt es viele Gründe und Landflucht gab es auch schon vor der Digitalisierung. Deshalb sehe ich hier mehr die Chancen: Mit Digitalisierung kann man einiges auffangen, aber natürlich nicht alles. Doch ist das eine hoch relevante Frage, denn niemand möchte beispielsweise eine Dreiviertelstunde zum Haus- oder Zahnarzt fahren. Hier kann die Digitalisierung entlasten, aber ersetzen nicht. Und da schließt sich der Kreis zum Beginn unseres Gesprächs. Für das ich mich ganz herzlich bei Ihnen bedanke!
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