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Wählen – Verantwortung wahrnehmen

Ausgabe 2/2016

108 Fortbildung Von der

108 Fortbildung Von der Zahn- zur Mundmedizin Die Zukunft der Prophylaxe Die Bedeutung der Prävention in der Zahnmedizin wird zunehmen. Vor allem auch aufgrund ihrer positiven Auswirkungen auf die Allgemeingesundheit. Schon heute wird der Zahnarzt mehr und mehr zum Mund-Arzt. Prognosen sind schwierig vor allem wenn sie die Zukunft betreffen. Dies gilt selbstverständlich auch für die Zahnmedizin. Dennoch: grundlegende Trends für das nächste Jahrzehnt sind bereits heute absehbar. Der Berufsstand wird mittelfristig ganz entscheidend von folgenden Faktoren geprägt sein: der demografischen Entwicklung (die Menschen werden älter werden), dem enormen Kostendruck im Gesundheitswesen, dem Mangel an qualifizierten Fachkräften und der Feminisierung des Berufsstandes. Fachlich scheint ebenfalls die grundlegende Richtung vorgegeben: Durch effektive präventive Strategien für alle Altersgruppen lässt sich ein Großteil der Hart- und Weichgewebserkrankungen der Mundhöhle vermeiden. Abweichungen vom „Gesunden“ werden durch neue Diagnoseverfahren frühzeitiger als bisher erkannt. Therapeutische Eingriffe erfolgen in einem Stadium, das eine weitgehende Restitutio ad integrum ermöglicht und mit Materialien/Strategien, die die Rezidivrate minimieren. Eine verstärkte „Digitalisierung der Zahnmedizin“ ist zu erwarten. Außerdem entwickelt sich der Zahnarzt zum Mund-Arzt weiter. Der Stellenwert der Prävention wird in jedem Fall wachsen. Wichtige Grundlagen. Zahnmedizinische Prophylaxe „von der Wiege bis zur Bahre“ ist sinnvoll und funktioniert: Karies, Gingivitis und Parodontitis, die häufigsten Krankheiten der Mundhöhle, sind vermeidbar. Das ist keine Theorie, sondern seit Jahrzehnten erfahrene Realität. Die zentrale Strategie hat sich aufgrund erwiesener Wirksamkeit in den vergangenen 25 Jahren nicht geändert. Die regelmäßige mechanische Entfernung von Zahnbelägen durch häusliche und professionelle Maßnahmen (das mechanische Biofilmmanagement) steht nach wie vor im Mittelpunkt der Maßnahmen zur Gesunderhaltung der Zähne und des Zahnhalteapparates. Der Volksmund hat dies allgemeinverständlich formuliert im Satz: „Ein sauberer Zahn bleibt gesund.“ Das verstehen nicht nur Kinder, das verstehen sogar Erwachsene. Ist eigentlich ganz einfach. Wo liegt dann das Problem? Wieso gibt es nach wie vor Löcher in den Zähnen (Karies), wieso gibt es Zahnfleischbluten und wackelnde Zähne (Gingivitis/Parodontitis)? Das Problem. Es gibt nichts Gutes, außer man tut es. Auch diese Erkenntnis ist einfach. Die Bildung der Beläge geschieht lebenslang also müssen die Maßnahmen zur Belagentfernung ebenfalls lebenslang erfolgen. Und dazu bedarf es lebenslanger Motivation. Biofilm. Die Entfernung des oralen Biofilms steht nach wie vor im Zentrum der präventiven Maßnahmen (Abb. 1). Und was gelegentlich vergessen wird nicht nur die Regelmäßigkeit, sondern auch die Qualität der Belagentfernung ist von Bedeutung. Ein „sauberer Zahn“ bedeutet: 100 Prozent sauber. Und beim „Säubern der Zähne“ (Hartgewebe) und des umgebenden Zahnfleisches (Weichgewebe) gelten grundsätzlich die gleichen Regeln, wie sie auch für die Reinigung anderer harter oder weicher Oberflächen (Auto, Teller, Kleid, Hose) selbstverständlich vorausgesetzt werden: Nutzen stiften (säubern) ohne Schaden anzurichten (die Oberfläche zu beschädigen). Vereinfacht ausgedrückt: Der Belag muss weg aber schonend. Dieses Ziel ist trotz intensiver Instruktion durch geschulte Prophylaxeassistentinnen oder Dentalhygienikerinnen und Zuhilfenahme der modernsten Hilfsmittel im Rahmen häuslicher Maßnahmen allein selbst bei bestem Willen nur für die wenigsten Menschen umzusetzen zusätzliche professionelle Hilfe zur Vor- oder Nachsorge von Erkrankungen ist erforderlich. Gute Nachricht. Diese Erkenntnisse sind nicht neu. Geändert haben sich in den vergangen Jahren allerdings sowohl die Motivation der Bürger als auch die praktischen Möglichkeiten, mit denen Prophylaxe im Alltag des Einzelnen unabhängig von seinen individuellen Erkrankungsrisiken umgesetzt werden kann. Verantwortlich ist das vermehrte Angebot gruppenund individualprophylaktischer Maßnahmen durch entsprechend qualifiziertes Personal, sowohl im pädagogischen als auch im fachlichen Bereich. Durch die ZBW 2/2016 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 109 Gruppenprophylaxe wurde innerhalb einer Generation eine neue soziale Norm eingeführt. „Eine Person in Deutschland putzt sich täglich mindestens einmal die Zähne!“ Die Frage „Warum Prophylaxe?“ stellt sich nicht mehr. Insbesondere Menschen unter 30, aber nicht nur sie, haben die Vorteile der Prophylaxe am eigenen Leib erfahren und registriert, dass die Folgen zahnärztlicher Prophylaxe deutlich über die Gesunderhaltung der Mundhöhle hinausgehen und ganzheitliche Aspekte wie Ästhetik, Attraktivität, Selbstsicherheit, Allgemeingesundheit, Lebensfreude und Lebensqualität positiv beeinflussen. Individualprophylaxe. Erfolgreiche Individualprophylaxe baut auf diesem Grundkonsens auf. Sie beantwortet basierend auf der Diagnose des individuellen Erkrankungsrisikos die Fragen nach dem „Wie und womit Prophylaxe?“. Und hier haben sich in den vergangenen Jahren enorme Entwicklungen vollzogen, sowohl was die Qualifikation der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, die Strukturen und Organisationen der Zahnarztpraxen (eigene Prophylaxezimmer mit separater Terminvergabe), die Hilfsmittel zur häuslichen Prophylaxe (Zahnbürsten, Zahnpasten …) als auch zur professionellen Prävention (Handinstrumente, Schallund Ultraschallgeräte, Pulverstrahlgeräte …) betrifft. Das Ergebnis kann sich sehen lassen! Bei etwa 90 Prozent aller Personen führt die Prophylaxe zu einer deutlichen Verbesserung der Zahngesundheit und der Lebensqualität, eine Entwicklung, auf die wir durchaus stolz sein können. Herausforderungen. Grund zur Euphorie gibt es dennoch nicht. Gleichzeitig formuliert diese Zahl indirekt die Herausforderung für die Zukunft: Programme, Konzepte, Strategien zu entwickeln, mit denen auch die restlichen zehn Prozent erreicht werden können in allen Altersgruppen. Hier gibt es eine Reihe interessanter Ansätze, insbesondere zur Motivation und Remotivation, zum Beispiel zielgruppengerechte Gesundheitsapps. Gleichzeitig muss dafür Sorge getragen werden, dass die Generation der jungen Eltern, die die Vorteile der Prophylaxe erfahren hat, dies nicht als selbstverständlich ansieht und damit das Problembewusstsein für die täglichen Prophylaxeroutinen nicht nur bei sich selbst sondern auch den Kindern verliert. Schließlich muss es gelingen, die Erfolge der Prävention in den ersten Lebensjahrzehnten auch in die höheren Altersgruppen zu transportieren. Wir sind also noch lange nicht am Ziel, aber auf einem guten Weg. Handlungsbedarf. Angesichts unterschiedlicher individueller Erkrankungsrisiken ist zur Umsetzung präventiver Maßnahmen ein kombiniertes Vorgehen sinnvoll. a) Maßnahmen der Kollektiv- und Gruppenprophylaxe zur Etablierung eines Mundgesundheitsbewusstseins bzw. einer sozialen Norm: „Die Durchführung von Mundhygienemaßnahmen in allen Altersgruppen ist eine Selbstverständlichkeit“. Qualifikation. Für die Aufstiegsfortbildung am ZFZ Stuttgart stehen eine moderne Infrastruktur und qualifizierte Ausbilder zur Verfügung (Abb 2.). Durch geeignete Information über die Massenmedien sowie Zahngesundheitserziehung in Kindertagesstätten, Kindergärten, Schulen … werden sowohl die grundsätzliche Frage nach dem „Warum Mundhygiene?“ beantwortet als auch die Eltern, Kinder und Betreuer (von der Kindertagesstätte bis zum Seniorenheim) zur regelmäßigen Durchführung von Mundhygienemaßnahmen motiviert. b) Maßnahmen der Individualprophylaxe in der Zahnarztpraxis. Sie klären das „Wie“ und „Womit“, Fragestellungen, die nur individuell und im Laufe des Lebens immer wieder unterschiedlich beantwortet werden. c) Aus-, Fort- und Weiterbildung der Zahnärztinnen und Zahnärzte, der Mitarbeiter in den Zahnarztpraxen sowie der Gesundheitserzieher müssen angepasst werden, um die Möglichkeiten der Prävention flächendeckend umsetzen zu können. Prophylaxe funktioniert bereits heute. Realistisches Ziel bis 2020 ist eine Optimierung bestehender Strukturen und Prozesse in den relevanten Bereichen (von der Zahngesundheitserziehung in den Kindertagesstätten über die Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Zahnarztpraxen bis hin zu einer entsprechend attraktiven Gestaltung der Gebührenordnung), um die bestehenden fachlichen Möglichkeiten möglichst effizient auszunutzen. Prof. Dr. Johannes Einwag Prof. Dr. J. Einwag Direktor des Zahnmedizinischen Fortbildungzentrums Stuttgart, Vorsitzender der Gesellschaft für Präventive Zahnheilkunde Fotos ZFZ Stuttgart www.zahnaerzteblatt.de ZBW 2/2016

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