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Verantwortung – in der Politik wie im Gesundheitswesen

Ausgabe 12/2019

36 Fortbildung Fotos:

36 Fortbildung Fotos: Dr. S. Etzold Abb. 3a Abb. 3b Petechien. Diese Jugendliche weist intensive Petechien (punktförmige Einblutungen) der Gesichtshaut, periorbital sowie der Unterlidbindehaut als Folge einer komprimierenden Gewalteinwirkung gegen den Hals (Würgen) auf. Halsbeschwerden (Schmerzen, Globusgefühl, Heiserkeit) sollten bei Angabe einer Halskompression grundsätzlich abgefragt und ggf. eine HNOärztliche Untersuchung angeschlossen werden (Abb. 3a und 3b). Sexueller Missbrauch. Dies beinhaltet ein ganzes Spektrum an möglichen Grenzüberschreitungen: u. a. Berührungen, Küssen, genitale Manipulation, Darbieten von Pornografie bis zum vollendeten Geschlechtsverkehr. Missbrauch geschieht überwiegend im familiären und sozialen Nahraum oft unter Ausnutzung eines Vertrauensverhältnisses und einer Machtposition durch den Täter/in (Dunkelfeld!). Abhängig von Art und Umfang eines sexuellen Missbrauchs können körperliche Befunde resultieren. Oftmals weisen betroffene Kinder oder Jugendliche jedoch keine (bzw. keine eindeutigen) körperlichen Befunde sondern Normalbefunde auf. Das Erkennen ist für Außenstehende also auch in der Zahnarztpraxis daher meist sehr schwer. Oft ist es nur im längeren Verlauf mit regelmäßigem Kontakt zum betroffenen Kind oder Jugendlichen möglich, etwa bei Verhaltensänderungen (s. Abschnitt seelische Misshandlung), einem Leistungsabfall oder körperlichen Beschwerden oder aber wenn das Kind bzw. der/die Jugendliche von sich aus richtungsweisende Äußerungen macht. Zudem treten die einzelnen Formen oft nicht isoliert auf, es können also mehrere Formen nebeneinander bzw. fließende Übergänge zwischen den einzelnen Formen der Kindeswohlgefährdung bestehen. Ein sexueller Missbrauch etwa bedeutet auch immer eine seelische Misshandlung. Woran erkenne ich Kindeswohlgefährdung? Ein wichtiges Anzeichen für eine Kindeswohlgefährdung sind neben Art und Lokalisation sichtbarer Verletzungen Diskrepanzen zwischen der „Unfall“-Anamnese, also der Entstehungsgeschichte und dem Befund. Bei Unfällen entstehen meist stumpfe Traumata durch Stürze, Gegenrennen oder Anprallen an stumpfe Gegenstände. Dabei sind meist Hämatome, aber auch Abschürfungen und Quetsch-Risswunden (umgangssprachlich „Platzwunde“) zu beobachten. Bei Misshandlungen entstehen meist auch durch stumpfe Einwirkungen bedingte Verletzungen, v. a. durch Schläge, Tritte oder auch durch ein „fallen lassen“ des Kindes (s. Abschnitt Körperliche Gewalt). Dies kann mitunter zu hinweisgebenden Verletzungen an typischerweise betroffenen Körperpartien wie beispielsweise Wangen, Ohrregion oder üblicherweise bekleideten Körperpartien (Rumpf, Gesäß) führen (s. Tab. 1). Unter Umständen können zusätzlich Abwehrverletzungen, besonders an Händen und Unterarmen (Streckseiten der Arme), aber auch den Beinen, vorliegen. Das Vorhandensein von Petechien (punktförmige, flohstichartige Blutungen) im Bereich des Kopfes, hier vor allem der Lid- und Lidbindehaut der Augen (Abb. 3a und 3b) sowie der Mundschleimhaut, stellt einen weiteren relevanten Befund dar, der Hinweis auf eine komprimierende Gewalteinwirkung Fotos: Dr. S. Etzold Abb. 4a Abb. 4b Bissverletzungen. In diesem Fall seien die Bissverletzungen am Rücken des Kindes durch ein anderes Kind zustande gekommen. Die Größe und (charakteristische) Form der Verletzungen deutet auf Bisse durch ein kindliches Gebiss (Milchzähne) hin (4a). Demgegenüber deutet die Bissverletzung an der rechten Wange eines Säuglings anhand ihrer Größe auf die Verursachung durch menschliche Kiefer mit Permanentgebiss hin, d. h. älteres Kind/Jugendlicher bzw. Erwachsener (4b). ZBW 12/2019 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 37 Fotos: Dr. S. Etzold Abb. 5a Abb. 5b Akzidentelle Verbrühungen durch heiße Flüssigkeit. Diese thermisch bedingten Verletzungen im Gesicht und auf der Rumpfvorderseite (Abb. 5a) sowie auf der Schulterrückseite rechts (Abb. 5b) sind durch eine akzidentelle Verbrühung mit heißer Flüssigkeit (Übergießen mit heißem Wasser) entstanden. gegen den Hals (Strangulation durch Würgen oder Drosseln) sein kann und daher immer klärungsbedürftig ist. Neben grundsätzlich möglicher und abzuklärender nicht traumatischer Ursachen petechialer Blutungen, etwa massives Erbrechen oder Husten, sollte daher immer eine gründliche Inspektion der Halshaut auf eventuell bestehende Verletzungen (Unterblutungen, Abschürfungen, Würgemale, Strangulationsmarke) erfolgen. Unfall? Die Schlüsselfrage, die hier gestellt werden muss lautet: „Passt die Anamnese zum Befund und zur Situation?“ Im folgenden werden stoß- und sturztypische Lokalisationen von Verletzungen im Vergleich zu misshandlungstypischen Lokalisationen vorgestellt. Die Beurteilung von Art, Größe und Lokalisation der Verletzungen (Abb. 7), deren Form und ggf. Gruppierung, sowie deren Alter (frische oder alte Verletzungen einzeitige vs. mehrzeitige Entstehung) hilft Diskrepanzen der Anamnese und des Befundes aufzudecken. Unterschiedlich alte Verletzungen nebeneinander weisen auf eine mehrzeitige Entstehung hin und ist daher fallabhängig klärungsbedürftig. Oftmals sind bei Unfällen die Angaben präziser und plausibel während bei Anzeichen für Gewalt/Vernachlässigung die Erklärungen unpräzise und unter Umständen wechselhaft sind. Auch eine verspätete ärztliche Vorstellung (ggf. zahnärztliche Vorstellung bei Frontzahntrauma) des Kindes nach erlittenem Trauma ist dahingehend verdächtig. Ferner sollte bei einem angegebenen Unfallmechanismus immer auch das Alter des Kindes bzw. dessen Entwicklungsstand mitbetrachtet werden, vor dem Hintergrund, ob der angegebene Mechanismus überhaupt nachvollziehbar erscheint. Wichtig ist zudem wie die Anamnese (wie Unfallhergang) zur Lokalisation und Art der Verletzung passt und ob ein geschilderter Unfallmechanismus plausibel ist! Logischerweise überschneiden sich auch einzelne Regionen. In Abgrenzung zu körperlichen Befunden durch Gewalteinwirkung können auch andere körperliche Befunde, z. B. durch Krankheiten oder anlagebedingte Hautveränderungen, vorliegen. So kann ein sogenannter Storchenbiss (Abb. 8) mitunter mit einem Hämatom verwechselt werden oder sogenannte Striae (Dehnungsstreifen, Abb. 9) als Verletzungsfolgen von Schlägen mit einem schmalen, länglichen Gegenstand oder auch Vernarbungen infolge scharfer Gewalt (Schnittverletzungen) fehlinterpretiert werden. Erkrankungen mit Symptomen an der Haut wie u. a. Neurodermitis, Herpes, Staphylodermie oder Krätze (Abb. 10), können ebenfalls Schwierigkeiten bei der Abgrenzung zu bspw. thermisch bedingten Verletzun- Abb. 6a Abb. 6b Verbrennungen. Misshandlungsbedingte Verbrennung der linken Handinnenfläche und an den Fingern der linken Hand streckseitig bei einem Kleinkind durch Aufdrücken der Hand auf eine heiße Oberfläche (Herdplatte). Ein deutlicher Hinweis darauf ist die flächenhafte Einbeziehung der Handinnenfläche einschließlich der Hohlhand und der Finger/Fingerbeeren (Abb. 6a). Die an den Fingerstreckseiten lokalisierten Verbrennungen sind durch (kindliche) Fingerbeugung bei weiterbestehendem Kontakt zur heißen Oberfläche bedingt (Abb. 6b). Fotos: Dr. S. Etzold www.zahnaerzteblatt.de ZBW 12/2019

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