32 Wissenschaft Abbildung: Centers for Disease Control and Prevention Clostridium botulinum. in den Räumen hegen und pflegen. In einem gesunden Mikrobiom sorgt das Kollektiv dann dafür, dass sich die unerwünschten Keime nicht zu stark vermehren. Zumal die bisherige Vernichtungsstrategie – egal an welcher Stelle – eine weitere Nebenwirkung hat: Sie beraubt das Immunsystem seiner Sparringspartner, mit denen es regelmäßig die eigene Fitness trainiert. Dem mangelnden Kontakt mit zumeist harmlosen Keimen wird inzwischen unter anderem zugeschrieben, dass Asthma und Allergien in den westlichen Gesellschaften immer häufiger auftreten. Jack Gilbert geht sogar noch einen Schritt weiter, er versucht in einer Klinik in San Diego gezielt gesunde Raum-Mikrobiome zu züchten. Er hat sich für seine Studie ein weit verbreitetes Staubbakterium namens Bacillus subtilis ausgesucht, das er nun in Krankenhauszimmern verteilt. „Überall zu finden, völlig harmlos, macht nirgendwo Infektionen“, lautet seine Charakterbeschreibung des Versuchsobjekts. Es soll sich in den Räumen breitmachen und gefährlichere Konkurrenten verdrängen. Vor fünf Jahren haben Kollegen aus Italien und Belgien bereits in drei Kliniken demonstriert, dass sich die Zahl der gefährlichen Mikroben um bis zu 89 Prozent reduzieren lässt, wenn man Putzmittel verwendet, die Bacillus subtilis und zwei verwandte Keime enthalten. Infektionsraten. Die große Frage ist nur, spiegelt sich das auch in niedrigeren Infektionsraten wider? Genau das will Gilbert nun herausfinden. Zwar weiß man von Frühgeborenen-Intensivstationen, dass sich das Mikrobiom im Raum irgendwann auch im Körper der Babys wiederfindet. Aber das heißt noch lange nicht, dass dasselbe auch für immunologisch wehrhaftere Erwachsene gilt. Am Berliner Robert-Koch-Institut sieht man solche Überlegungen kritisch. „Es gibt viele Bakterien, die im Allgemeinen für gesunde Menschen harmlos sind, welche jedoch unter bestimmten Bedingungen Infektionen verursachen können“, sagt Melanie Brunke vom Fachgebiet für Angewandte Infektions- und Krankenhaushygiene der Behörde. Selbst bei Gilberts Bakterien sei beispielsweise zu bedenken: Enge Verwandte, die ebenfalls zur Gattung Bacillus gehören, können bei Frühgeborenen eine Blutvergiftung verursachen. Auch für andere Patienten mit einem stark geschwächten Abwehrsystem – beispielsweise nach einer Chemotherapie oder Organtransplantation – kann ein Keim lebensgefährlich werden, der für andere unbedenklich ist. Zudem befürchtet man in Berlin, dass der Mensch sich überschätzt, wenn er meint, er könne bakteriellen Gemeinschaften seinen Willen aufzwingen: Auch bei Bacillus subtilis sei zum Beispiel nicht auszuschließen, dass er von anderen Keimen Gene übernehme und dann ganz neue Eigenschaften zeigte. Gerade weil es so schwer ist, die guten von den schlechten Mikroben zu unterscheiden, lautet die RKI-Devise weiterhin, dass in unmittelbarer Nähe des Patienten möglichst Keimfreiheit zu herrschen habe. Bakterien im Krankenzimmer. Aber wenn das so selten gelingt wie die Studien zeigen, ist es dann nicht besser, Bakterien im Krankenzimmer zu haben, die nur selten gefährlich werden, als solche, die es immer sind? Vom Idealzustand ist die aktuelle Situation in deutschen Krankenhäusern ja mindestens genauso weit entfernt wie das Setting auf Gilberts Versuchsstation. Zudem liegen nicht in allen Zimmern immungeschwächte Patienten. Bevor man eine Revolution in der Hygiene erwägt, lautet das Gegenargument, soll Gilbert erst einmal entsprechende Beweise vorlegen. Abbildungen: Centers for Disease Control and Prevention Mycobacterium tuberculosis. Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus. ZBW 12/2019 www.zahnaerzteblatt.de
Wissenschaft 33 Acinetobacter. Schwarzlicht. Im Reinraum der Payload Hazardous Processing Facility im Kennedy Space Center der NASA verwendet ein Mitarbeiter des Goddard Space Flight Center Schwarzlicht um Verunreinigungen sichtbar zu machen, die mit bloßem Auge nicht zu erkennen sind. Dr. Norbert Struß, niedergelassener Zahnarzt in Freiburg und stellvertretender Präsident der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg, findet, all das könnte Anlass sein, auch in der Zahnmedizin neu nachzudenken. Schließlich werden auch hier von der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention des Robert Koch-Instituts nach jeder Behandlung Desinfektionen aller kontaminierten patientennahen Oberflächen und einmal pro Tag aller Arbeitsflächen empfohlen. Tatsächlich lässt sich auch in der Zahnarztpraxis nachweisen, dass sich die Bakterien des Patienten nach einer Behandlung auf allen Flächen im Zimmer finden. Dasselbe gilt für alle Instrumente, die offen auf diesen Flächen liegen, sagt Andreas Podbielski, Direktor des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Virologie und Hygiene des Universitätskrankenhauses Rostock. „Beim Absaugen, beim Spülen, beim Arbeiten mit Ultraschall oder Pulverstrahlgeräten werden am laufenden Meter bakterienhaltige Aerosole produziert“, sagt er – und die haben eine Reichweite von mehreren Metern. Selbst der empfindlichste Keim schaffe es auf diese Weise, mehr als zwanzig Minuten im hintersten Winkel zu überleben. Ob das Konsequenzen hat und sich Menschen auf diesem Weg infizieren, lässt sich laut Podbielski nicht wirklich beurteilen. Es gibt weder systematische Studien noch eine offizielle Erfassung der Zahl von Infektionen bei zahnärztlichem Personal oder ihren Patienten. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheit und Wohlfahrtspflege erkannte in diesem Bereich zwischen den Jahren 2000 und 2015 als Berufserkrankungen pro Jahr 8 bis 16 Hepatitis-B-Infektionen, 16 bis 24 Fälle von Hepatitis-C, zwei bis acht Tuberkuloseerkrankungen und 0 bis 1 HIV-Übertragungen an. Mehr steht an Datenmaterial in Deutschland nicht zur Verfügung. „Zudem ist von einer hohen Dunkelziffer auszugehen“, sagt der Mikrobiologe. Die Zahl von Infektionen bei den weniger exponierten Patienten dürfte noch deutlich darunter liegen. Inzwischen gibt es noch niedrigere Fallzahlen: 2019 wurden laut Podbielski nur noch drei Hepatitisfälle pro Jahr von der BGW bei Angehörigen des zahnärztlichen Personals gezählt – „was für mich ein Indiz dafür ist, dass sich das gegenwärtige Regelwerk bewährt und in den Praxen mehr Hygiene gelebt wird“, lautet seine Schlussfolgerung. Anders als Dr. Struß sieht er deshalb keinen Reformbedarf: „Die aktuellen Hygienevorschriften in Zahnarztpraxen sind lebbar, sie sind sehr plausibel begründet und sie erreichen, was sie sollen.“ Das bezieht sich auch auf den Umgang mit Instrumenten und medizinischen Geräten. Und in diesem Punkt dürften ihm selbst Gilbert und Berg zustimmen: Alles, was schützende Barrieren verletzt und auf diese Weise den Bakterien den Weg ins Innere des Körpers ebnet, muss minutiös gereinigt und sterilisiert werden, sagt zum Beispiel auch der Amerikaner – denn hier sei kein Erreger als unbedenklich anzusehen. Noch sind seine Visionen nur Gedankenspiele. Ob tatsächlich einmal weniger Desinfektion mehr Hygiene bedeuten könnte, wird die Fachwelt in vier Monaten wissen. Dann sollen die Ergebnisse von Jack Gilberts Krankenhaus-Studie mit Bacillus subtilis vorliegen. Michael Brendler Campylobacter. Abbildungen: Centers for Disease Control and Prevention Foto: NASA/Kim Shiflett www.zahnaerzteblatt.de ZBW 12/2019
Laden...
Laden...
Informationszentrum Zahn- und Mundgesundheit Baden-Württemberg (IZZ)
Haus: Heßbrühlstraße 7, 70565 Stuttgart
Post: Postfach 10 24 33, 70200 Stuttgart
Telefon: 0711 222 966 0
Fax: 0711 222 966 20
presse@izzbw.de
Eine Einrichtung der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung Baden-Württemberg
& der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg
© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz