16 Berufspolitik Gemeinsame Gutachtertagung im Regierungsbezirk Tübingen Senioren- und Behindertenzahnmedizin Foto: Dr. Martin Braun Diese Tagung steht in guter Reihe, erstmalig tagten 2015 die Gutachter der Körperschaften des Bezirkes Tübingen gemeinsam und nun erlebten mehr als 42 Gutachter die zweite Neuauflage. Gutachterreferent Dr. Wolfram Widmaier und PD Dr. Martin Groten hatten die Teilnehmer zur Tagung nach Überlingen geladen und am Freitagnachmittag den Themenschwerpunkt „Senioren- und Behindertenzahnmedizin – alles anders?“ in zwei Referaten angeboten. Auch aus den anderen Bezirken war ein Vertreter des Gutachterwesens anwesend. Referenten. Die Referenten der Tagung Dr. Wolfram Widmaier (l.), Dr. Guido Elsäßer (2. v. l.), Dr. Elmar Ludwig (2. v. r.), PD Dr. Martin Groten (r.) sowie Dr. Wilfried Forschner, Vorsitzender der BZK Tübingen. Patienten mit Handicap. Dr. Guido Elsäßer, Referent für Behindertenzahnheilkunde der LZK Baden-Württemberg, stieg mit einem Zitat von Helmut Kohl aus dem Jahr 1998 in sein Referat ein: „Die Humanität einer Gesellschaft zeigt sich nicht zuletzt daran, wie sie mit den schwächsten Mitgliedern umgeht.“ Das Spannungsfeld zwischen Behinderung, Sondenernährung und Zahnbehandlung zeigt sich darin, dass Befunderhebung oft mit Abwehrverhalten korreliert ist. Kariologie und Chirurgie sowie Prothetik spielen eine Rolle für die Therapie. Es sind viele Schnittstellen zur Alterszahnmedizin vorhanden, jedoch sind die Konzepte anders ausgelegt, da alle Lebensphasen beschritten werden müssen. Die Gratwanderung zwischen Untertherapie und Übertherapie – Nachsorge und Pflegebedarf sind zu berücksichtigen. Ein ganzheitliches Konzept umfasst die Lebenssituation und den Unterstützungsbedarf, erfordert die Einbindung von unterstützenden Personen. § 22 a SGB V legt den Leistungsanspruch für Pflegebedürftigen (Pflegegrad) und Menschen mit Behinderungen (Eingliederungshilfe) in der Zahnheilkunde für Verhütungen von Zahnerkrankungen fest. Für Zahnersatz gilt § 55 Abs. 2 SGB V, somit die Härtefallregelung in der Leistungsbeschreibung. Die ZE-Richtlinie schreibt vor, dass nach anerkanntem Stand behandelt werden soll. Das Credo von Dr. Elsäßer: „Keine Kompromisse“. Dr. Elmar Ludwig, Referent für Alterszahnheilkunde der LZK Baden- Württemberg, begann sein Referat mit einem Blick in die Statistik: 2017 waren 3,4 Millionen Menschen in Deutschland pflegebedürftig, davon 24 Prozent in vollstationärer Pflege untergebracht. Gekennzeichnet ist dieser Personenkreis mit den geriatrischen großen „I“: Immobilität, Inkontinenz, Instabilität, Intellektueller Abbau, Iatrogenität und Isolation. Untersuchungen zeigen, dass die Kaueffizienz direkt vom Zahnstatus abhängig ist und dass Kauen und ZNS zusammenhängen. Wer gut kaut, hat geringere oder später eintretende kognitive Defizite. Daher ist die Prävention in der Zahnarztpraxis ein ganzheitlicher und effektiver Ansatz zur Begleitung alter Patienten und sorgt für mehr Lebensqualität. Gesund beginnt im Mund – Mundgesundheit und Pneumonie, Diabetes und kognitive Defizite zeigen diesen Ansatz bestens auf. 100 Prozent der Pflegebedürftigen benötigen Unterstützung bei der Mundhygiene. Für eine Entscheidungshilfe in Bezug auf die Frage ob und wie eine Behandlung erfolgen soll, stellte Dr. Ludwig das Konzept der Belastbarkeitsstufen nach Praxis Bleiel/Rheinbreitenbach vor: „Fit, gebrechlich, stationär“ – daran orientiert sich der Behandlungsumfang. Update. Ein Update mit „Aktuelles aus dem Gutachterwesen“ erfolgte am Samstag mit Kurzreferaten von PD Dr. Martin Groten und Dr. Wolfram Widmaier. Es wurde betont, dass das einvernehmliche Gutachterwesen in Baden-Württemberg fortgeführt wird und seit der Festschreibung im Mai 2019 kein Einfluss des MDK im Ablauf der KZV-Gutachten gegeben ist. Im Ausblick 2021 steht der digitale HKP im Raum. Prof. Dr. Thomas Ratajczak, Fachanwalt für Medizin- und Sozialrecht aus Sindelfingen, beleuchtete die juristische Seite. Insbesondere die juristische Wahrnehmung sachverständlicher Aussagen in zahnärztlichen Gutachten in der Medizinprodukte-Rechtsprechung wurde thematisiert. Die Langfassung des Beitrags sowie weitere Bildimpressionen finden Sie unter www.zahnaerzteblatt.de. Dr. Martin Braun ZBW 12/2019 www.zahnaerzteblatt.de
Berufspolitik 17 Gutachtertagung der KZV BW BD Stuttgart und der BZK Stuttgart Gemeinsam für Rechtssicherheit sorgen Foto: Kraufmann 120 Teilnehmer konnte Dr. Gerhard Cube in der Filharmonie in Filderstadt zur gemeinsamen Gutachtertagung der Kassenzahnärztlichen Vereinigung BD Stuttgart und der Bezirkszahnärztekammer Stuttgart begrüßen. 95 Gutachterinnen und Gutachter sowie zahlreiche Gäste, darunter auch Krankenkassenvertreter, hatten sich am 19. Oktober zur Fortbildung eingefunden. Gruppenbild mit Dame. Dr. Eberhard Montigel, Dr. Gerhard Cube, Dr. Ute Maier, ZA Peter Hill, Dr. Torsten Tomppert und Dr. Matthias Lange (v. l.). Nach Begrüßung durch Dr. Gerhard Cube, Gutachterreferent der BZK Stuttgart, folgten die Grußworte des LZK-Präsidenten Dr. Torsten Tomppert, der Vorsitzenden der KZV BW Dr. Ute Maier und des BZK-Vorsitzenden Dr. Eberhard Montigel. Dann ging es in media res, denn der erste Referent des Tages, Dr. Matthias Lange, Berlin, beleuchtete den für Gutachter so wichtigen Komplex des Bruxismus. Er ging der Frage nach, ob es sich bei Wach- und Schlafbruxismus um physiologische Prozesse oder um behandlungsbedürftige Erkrankungen handelt. Neue Leitlinie. In diesem Zusammenhang wies Dr. Lange auf eine neue S3-Leitlinie „Diagnostik und Behandlung von Bruxismus“ vom Mai 2019 hin, die darauf abzielt, dem Zahnarzt eine evidenzbasierte Handlungsanweisung zu geben. Bruxismus wird mit einer Prävalenz von ungefähr 20 Prozent in der Bevölkerung angegeben. Wurde in den Anfängen der Forschung von lokalen bzw. peripheren Faktoren (z. B. Okklusionsstörungen) als Auslöser ausgegangen, weisen aktuelle Studien auf ein vom Hirnstamm initiiertes, autonomes Geschehen hin. Kofaktoren. Signifikante Zusammenhänge sind für schlafbedingte Atmungsstörungen und Schnarchen nachgewiesen. Rauchen, Koffein, Alkoholabusus, Stress, Angst und bestimmte Medikamente sowie eine familiäre Vorbelastung sind weitere Risikofaktoren. Etwa 20 bis 30 Prozent der Patienten mit Schlafbruxismus berichten über morgens auftretende orofaziale Schmerzen. Wie der Referent ausführte, wird nach wie vor kontrovers diskutiert, ob Bruxismus prädisponierender Faktor einer CMD ist. Mithilfe eines Screenings können Anzeichen für Bruxismus aufgedeckt werden, wobei wichtige Hinweise vom Patienten und den Angehörigen kommen, dazu gehören Schmerzen in der Kaumuskulatur und Schwierigkeiten bei der Mundöffnung. Die klinische Untersuchung beginnt mit der Beurteilung der Kaumuskulatur und dem Zahnabnutzungsgrad. Da gegenwärtig keine Therapie zur Heilung von Bruxismus bekannt ist, zielt die Behandlung vor allem auf den Schutz der Zähne und der Restaurationen und die Linderung von Schmerzen ab. Fallbeispiel. Zu einer lebhaften Diskussion führte Dr. Cubes Vorstellung eines strittigen Falls, den er aus seinem reichen Fundus von fast 300 Gutachten ausgewählt hatte und bei dem es um eine Patientin ging, die zwei Jahre und acht Monate nach der definitiven Eingliederung von Kronen und Brücken an einer schmerzhaften CMD erkrankte. Störfelder. Nach dem Mittagessen referierte Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle, Heidelberg über „alternative und komplementäre Zahnmedizin zwischen Anspruch und Wirklichkeit“. Um Objektivität bemüht, wies er u. a. darauf hin, dass Verfahren wie Akupunktur bei bestimmten zahnärztlichen Interventionen (Vermeidung von Würgereiz, Angstabbau) durchaus positiv zu sehen sind. Allerdings existiere auch Missbrauchspotenzial. Prof. Staehle sieht beispielsweise in der Entfernung von intakten Restaurationen wegen befürchteter „Vergiftung“ ein großes Risiko für Patienten. Auch Extraktionen von erhaltungswürdigen Zähnen, die als „Störfeld“ betrachtet werden, erteilt er eine Absage. Prof. Staehle plädierte daher dafür, dass Kammern, Gesundheitspolitiker, Patientenorganisationen und Kostenträger im Blick auf Alternativ- und Komplementärmedizin Rechtssicherheit herstellen. Anschließend beantwortete ZA Peter Hill, Gutachterreferent der KZV BW BD Stuttgart, Fragen, die aus der Kollegenschaft an ihn herangetragen wurden. Zum Abschluss der rundum gelungenen und gelobten Tagung wies er noch auf die landesweite Gutachtertagung hin, die am 10.10.2020 in Filderstadt stattfinden wird. Die Langfassung des Beitrags finden Sie unter www. zahnaerzteblatt.de. D. Kallenberg www.zahnaerzteblatt.de ZBW 12/2019
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