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Umfangreichster Koalitionsvertrag aller Zeiten

Ausgabe 4/2018

14 Titelthema

14 Titelthema Basisdemokratie, wie die SPD sie pflegt, ist auch ein Zeichen von Verunsicherung Zweierlei Demokratie Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit. So steht es im Grundgesetz. Das ist stark übertrieben. Die Partei Mensch Umwelt Tierschutz etwa, eine von 42, die bei der Wahl im September um das Wählervertrauen warben, kam auf 0,8 Prozent der Stimmen, sie eroberte kein Mandat, ihr Einfluss ist auf die kleine Minderheit ihrer Anhänger beschränkt. Eine ebenso kleine Minderheit wird über die künftige Regierung in Deutschland entscheiden: jene 0,7 Prozent des Wahlvolks, die neben dem deutschen Pass auch ein SPD-Parteibuch besitzen. Schon an diesem Beispiel wird deutlich, dass Basisdemokratie eine zwiespältige Angelegenheit ist. Im Falle des Groko- Votums handelt es sich um ein demokratisches Paradox: Wer nicht bloß wahlberechtigt ist, sondern auch noch SPD-Mitglied, der darf zweimal abstimmen, wie es weitergeht im Land. Gewöhnliche Bürger wählen die Abgeordneten, Sozialdemokraten entscheiden auch über die Regierungspolitik. Natürlich ist es legitim, wenn eine Partei sich bei ihren Mitgliedern rückversichert, ob sie regieren oder lieber die Oppositionsbänke drücken soll. Das Bundesverfassungsgericht hat bisher keinen Grund erkannt, daran Anstoß zu nehmen – was aber überwiegend formale Gründe hat. Für Parteien, die so in ihren Grundfesten erschüttert sind wie die SPD, mag diese Art der Selbstvergewisserung naheliegen. Im besten Fall erwächst der Groko daraus eine breite Basis. Partizipation ist ein probates Mittel gegen Politikverdrossenheit. Aber müssen es gleich zwei Parteitage und obendrein noch eine Abstimmung sein? Basisdemokratie ist keine bessere Form der Demokratie, sondern oft nur eine Verlegenheitslösung. Die Rückversicherungsmanie, die in der deutschen Politik um sich greift, zeugt von Unsicherheit. Politische Führung erfordert Autorität und Vertrauen. Doch diese Ressourcen werden rar. Das Prinzip der Repräsentation, Fundament unserer Republik, leidet am wachsenden Misstrauen derer, die sich nicht angemessen vertreten fühlen. Indem sie ihre Basis abstimmen lässt, erkauft sich das verunsicherte Führungspersonal Legitimation. In einer parlamentarischen Demokratie spielen Parteien nur eine Nebenrolle. Sie wirken bei der politischen Willensbildung mit, mehr nicht. Souverän sind die Wähler, nicht die Parteimitglieder. Bei der SPD dürfen jetzt Leute über die Zukunft des Landes entscheiden, die nicht einmal ein Wahlrecht besitzen. An sie wird eine staatspolitische Entscheidung delegiert, die nur gewählten Foto: Imago/IPON Abgeordneten zusteht. Die vertreten das ganze Volk, nicht nur Interessen einzelner Parteien. Was ist, wenn die Regierung Dinge entscheiden muss, die im Koalitionsvertrag nicht vorgesehen sind? Will die SPD dann auch erst ihre Mitglieder befragen? Teilhabe ist ein löbliches Prinzip. Doch es kann die Regierungsfähigkeit hemmen. Das wiederum schadet dem Ansehen der Politik. Auch ein Übermaß an Demokratie kann die Demokratie gefährden. Armin Käfer Nachdruck mit freundlicher Genehmigung Stuttgarter Zeitung 19/2/2018 Anzeige Erste Hilfe. Selbsthilfe. Wer sich selbst ernähren kann, führt ein Leben in Würde. brot-fuer-die-welt.de/selbsthilfe ZBW 4/2018 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 15 Personaltableau der Großen Koalition Neue Führung im Gesundheitsministerium Das politische Personal ist berufen: Die Kanzlerin ist gewählt, knapper als erwartet, und wie die Minister durch den Bundespräsidenten vereidigt worden – mit Jens Spahn als neuem Gesundheitsminister, mit neuem Führungsteam und bewährter Mannschaft im Bundesgesundheitsministerium. Die Staatssekretäre sind ebenfalls vereidigt, insgesamt 65, wobei Baden-Württemberg sechs Posten erhalten hat. Es gibt keinen Bundesminister aus dem Südwesten, dafür aber mit Annette Widmann-Mauz (Tübingen) die Staatsministerin für Migration, Flüchtlinge und Integration. Zur gesundheitspolitischen Sprecherin der Union wurde Karin Maag MdB gewählt (Wahlkreis Stuttgart II). Im Bundesgesundheitsministerium geht man die Aufgaben mit einer neuen Führung an: Jens Spahn als Bundesgesundheitsminister, Sabine Weiss (CDU, Wahlkreis Wesel I) und Thomas Gebhart (CDU, Wahlkreis Südpfalz) als parlamentarische Staatssekretäre. Ansonsten wird das Team Gröhe zum Team Spahn, das Handelsblatt schreibt: „Tatsächlich vertraut sich Spahn im neuen Amt ganz der alten Mannschaft seines Vorgängers Hermann Gröhe an. Allen voran Lutz Stroppe (61), Gröhes hoch loyalem beamteten Staatssekretär.“ Bei einer Amtsübergabe zwischen Vertretern der gleichen Partei sei das auch nicht ungewöhnlich. Nach der Vereidigung twitterte Spahn, dass er sich auf die Zusammenarbeit „mit dem ganzen Team im BMG-Bund“ freue. Baden-Württemberg. Sechs parlamentarische Staatssekretäre in der schwarz-roten Bundesregierung kommen aus dem Südwesten: Thomas Bareiß (CDU, Wahlkreis Zollernalb-Sigmaringen) ist Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Steffen Bilger (CDU, Wahlkreis Ludwigsburg) ist Staatssekretär im Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur, Hans-Joachim Fuchtel (CDU, Wahlkreis Calw) ist Staatssekretär im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft, Norbert Barthle (CDU, Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd) ist Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaftliche Neuer Chef. Jens Spahn, der neue Bundesgesundheitsminister, hat bereits in den ersten Tagen nach Amtsantritt polarisiert. Zusammenarbeit und Entwicklung, Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD, Wahlkreis Waldshut; über Landesliste in den Bundestag eingezogen) ist Staatssekretärin im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, Christian Lange (SPD, Wahlkreis Backnang-Schwäbisch Gmünd; Landesliste) ist Staatssekretär im Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz. „Parlamentarische Staatssekretäre vertreten ihr Haus gegenüber dem Bundestag, gehören aber dem Kabinett nicht an“, erläutern die „Badischen Neuesten Nachrichten“. Schlüsselposition. Baden- Württemberg ist auch in der Ge- Foto: Maximilian König sundheitspolitik in einer Schlüsselposition vertreten: Die Abgeordnete Karin Maag, seit 2009 mit einem Direktmandat im Bundestag vertreten, ist in der neuen Legislatur gesundheitspolitische Sprecherin der Union. Der CDU-Abgeordnete Erwin Rüddel (Rheinland- Pfalz) war zum Vorsitzenden des Gesundheitsausschusses gewählt worden. Dem Gesundheitsausschuss gehören aus Baden-Württemberg an: Michael Hennrich (CDU, Wahlkreis Nürtingen), Lothar Riebsamen (CDU; Wahlkreis Bodensee), Heike Baehrens (SPD; Wahlkreis Göppingen) und Hilde Mattheis (SPD; Wahlkreis Ulm). In ihrer Pressemitteilung von Anfang Februar betonte Karin Maag, der Koalitionsvertrag sei „ein starkes Signal für bessere Pflege und gute medizinische Versorgung“. Unabhängig vom Einkommen und Wohnort würden sich die Bürger „auch künftig auf eine gute, flächendeckende medizinische und pflegerische Versorgung verlassen können“. Dafür habe man sich eingesetzt, „ohne dabei unser bewährtes Krankenversicherungssystem aufzugeben“. Maag weiter: „Das hätte keinen Gewinn für die Patientinnen und Patienten gebracht, aber unser Gesundheitswesen für Jahre gelähmt.“ Kommission. Nachdem man sich in den Koalitionsverhandlungen nicht über die Ausrichtung des Krankenversicherungssystems einigen konnte, wird eine wissenschaftliche Kommission eingesetzt, die „Vorschläge für ein modernes Vergütungssystem“ erarbeiten soll. Auf Ergebnisse muss man nun bis Ende 2019 warten. Was dann daraus wird, fasste man im Koalitionsvertrag in folgende Worte: „Ob diese Vorschläge umgesetzt werden, wird danach entschieden“ – also ab 2020. » guido.reiter@kzvbw.de www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2018

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