8 Titelthema Stimmungsbild Dentalbranche Traditionelle Fachdental nicht zu ersetzen Die Fachdental Südwest in Stuttgart ist die wichtigste Fachmesse für Zahnmedizin in Südwestdeutschland. Die Mischung aus Information, Kontaktpflege und Fortbildung lockt jedes Jahr Zahnärzt*innen, Zahntechniker*innen und Zahnmedizinisches Fachpersonal auf die Dentalmesse. 2020 ist alles anders: Die Coronapandemie führte zu drastischen Einbrüchen beim Patientenaufkommen, finanziellen Einbußen und Kurzarbeit in den Zahnarztpraxen. Dies wirkte sich auf die gesamte Dentalbranche aus – Handel und Hersteller*innen sind ebenso betroffen wie Labore und Zahntechnik. Die wirtschaftliche Bedeutung der Zahnmedizin und der Dentalbranche für das Land Baden-Württemberg wird häufig unterschätzt. Als langjährige Partnerin der Messe Stuttgart für die Fachdental Südwest hat die Landeszahnärztekammer deshalb angeregt, ein Stimmungsbild der Dentalbranche im Land zu zeichnen. In Zusammenarbeit mit der Messe Stuttgart haben wir Jochen Linneweh, Geschäftsführer von dental bauer GmbH & Co. KG als Vertreter für den Dentalhandel, Christoph Baumgardt, Geschäftsführer der Zahntechniker-Innung Württemberg (ZIW), ebenfalls Partnerin der Messe Stuttgart für die Fachdental Südwest, Stefan Kaltenbach von orangedental GmbH & Co. KG in Biberach als Vertreter für die Dentalhersteller und LZK- Präsident Dr. Torsten Tomppert um ihre Einschätzungen zur aktuellen Lage gebeten. Kann die Fachdental Südwest wichtiger Wirtschaftsmotor und Plattform für den Austausch und für Inspiration nach der Krise sein? ZBW: Die Coronapandemie hat auch die Dentalbranche stark erschüttert. Wo liegen bei Ihnen die brennendsten Probleme und warum sind diese so schwerwiegend? Jochen Linneweh: Mir ist kaum eine Branche bekannt, die bislang von der Coronapandemie unversehrt blieb. Es handelt sich Foto: Frank Kleinbach um einen regelrecht grenzübergreifenden Flächenbrand. Jeder Betrieb, ob groß oder klein, erleidet Schaden, wenn die Nachfrage nach seinen Leistungen im zweistelligen Prozentbereich von jetzt auf nachher rückläufig ist. Nur selten bestehen Optionen, um die laufenden Fixkosten im erforderlichen Maß zu reduzieren. Eine Live vor Ort. „Telefon- und Videokonferenzen können den Gedankenaustausch vor Ort nicht ersetzen – deshalb freue ich mich, die Fachdental Südwest im Oktober persönlich im Rahmen der vorgeschriebenen Schutzmaßnahmen live zu erleben“, sagt Dr. Torsten Tomppert. der wenigen verbleibenden Maßnahmen ist die Kurzarbeit, um die Substanz von Betrieben zu erhalten. Durch die Pandemie werden leider zwangsläufig Firmen und Mitarbeiter*innen zu unverschuldeten Betroffenen. Die seitens der Regierung sehr früh in Aussicht gestellten „unbürokratischen wirtschaftlichen Schutzschirme“ dienten nach heutiger Erfahrung zur publikumswirksamen Beruhigung des Volkes. Denn letztlich handelt es sich um recht begrenzte Förderprogramme oder im größeren Maß um nichts anderes als um zurückzuführende verzinste Kredite, denen vor ihrer Bewilligung das ausschlaggebende Mitspracherecht von Banken zugrunde liegt. Christoph Baumgardt: Das größte Problem für unsere Mitgliedsbetriebe ist der zum Teil wirklich massive Auftragsrückgang. Wenn Patient*innen ihre Zahnersatzversorgung verschieben oder ganz absagen, dann verdienen die Dentallabore kein Geld. Die Kosten laufen aber weiter. Um in dieser schon vorher von großem Mangel an zahntechnischen Fachkräften geprägten Zeit keine Mitarbeiter*innen zu verlieren, wurden viele Zahntechniker*innen in Kurzarbeit geschickt. Trotzdem musste für die Patient*innen, die Versorgungsbedarf hatten, z. B. Reparaturen, der Service sichergestellt werden. Die Zahntechniker*innen erwiesen sich dabei wieder einmal als äußerst flexibel und serviceorientiert. Stefan Kaltenbach: Die größten Probleme resultieren daraus, dass die Zahnärzteschaft sicherlich noch deutlich unter der Auslastung von 2019 wirtschaften muss. Hinter den Hygieneproduktanbieter*innen und den Materialanbieter*innen kommen sicher die Investitionsgüteranbieter*innen, zu denen wir ja mit orangedental gehören, beim Kaufverhalten der Zahnärzteschaft an letzter Stelle. Wenn ich aber die Situation in Deutschland mit Ländern wie zum Beispiel den ZBW 8-9/2020 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 9 Foto: dental bauer Aufbruch. „Die einflussreichen Meinungsbildner sind zwingend aufgerufen, mit schnellen praktikablen Maßnahmen für positive Aufbruchsstimmung zu sorgen, statt mit der Androhung einer zweiten Welle für erneute Depression“, findet Jochen Linneweh. Foto: dental bauer USA und England vergleiche, sind wir in Deutschland hervorragend aufgestellt. Insbesondere zahlen sich hierbei die sehr hohen Hygien estandards in unseren Praxen aus. Insbesondere Zahnärzt*innen sind gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, stehen aber auch wirtschaftlich und innerbetrieblich vor großen Unsicherheiten. Welche weiteren Auswirkungen spüren Sie durch die Krise? Dr. Torsten Tomppert: Die Auswirkungen der Coronakrise sind hoch. Jetzt liegen deutschlandweit repräsentative Daten aus dem GOZ-Analyse-Panel der Bundeszahnärztekammer (BZÄK) vor: Im Bundesdurchschnitt schätzen die Praxen den Rückgang des Arbeitsaufkommens zwischen Anfang Februar und Anfang April auf mehr als 50 Prozent. Kurzarbeit musste im Bundesdurchschnitt von über zwei Dritteln der Praxen in Anspruch genommen werden. Probleme gab es auch mit fehlenden FFP2-Schutzmasken für die Zahnärzt*innen und ihr Praxispersonal. Leider erreichten die von offizieller Seite versprochenen Lieferungen von Schutzausrüstungen nur wenige Zahnarztpraxen, sodass die zahnärztlichen Körperschaften in Eigenregie umfangreiche Schutzausrüstung ordern mussten, was mit hohen Kosten verbunden ist. Jetzt hat sich die Lage allerdings entspannt. Für die zahnmedizinische Notfallversorgung von nachgewiesenen COVID-19-Erkrankten bzw. in Quarantäne befindlichen Patient*- innen wurde landesweit ein Netz von 20 Schwerpunktpraxen organisiert und eingerichtet, das von sogenannten Coronaambulanzen, wie zum Beispiel den Universitätskliniken Freiburg und Tübingen oder dem Katharinenhospital Stuttgart und dem Städtischen Klinikum Karlsruhe ergänzt wird. Zudem wurde zur Beratung eine Telefonhotline geschaltet. Stefan Kaltenbach: Da inzwischen die allermeisten Praxen über alle notwendigen Schutzmaterialien verfügen, sind die gesundheitlichen Risiken der Zahnärzt*innen und ihren Belegschaften sehr begrenzt. Mir persönlich sind nur zwei Infektionsfälle bekannt. Aus meiner Sicht ist besonders wichtig, dass man Patient*innen über die jeweils getroffenen Hygienemaßnahmen proaktiv und glaubwürdig informiert. Jochen Linneweh: Zahnärzt*- innen samt Mitarbeiter*innen in Praxen zählen unbestritten zur Risikogruppe. Die Situation unter Corona stellt eine große Herausforderung dar, doch ist allgemein bekannt, dass gerade in Zahnarztpraxen mit sehr hoher Eigendisziplin in Sachen Hygiene gearbeitet wird. Aus dieser Sicht könnte man umso mehr die leichtfertige Haltung von Bundes- und Landesregierungen in den letzten Monaten als irritierend bezeichnen. Denn, unterlegt durch Hygiene-Argumente, wollten diese per Verordnung Praxisschließungen bewirken, die zwangsläufig die Existenz dieser Praxen ins Risiko gestellt hätten. Die Zahnarztpraxis ist heute in den meisten Fällen, den modernen Behandlungstrends folgend, ein hochtechnifizierter Betrieb. Ihre Betreiber*innen sind Mediziner*innen und Unternehmer*innen zugleich und damit allen negativen wirtschaftlichen Begleiterscheinungen der Pandemie ausgesetzt. Die hieraus resultierenden unternehmerischen Herausforderungen in den Praxisbetrieben unserer Kund*innen sind mit denen in unserem Unternehmen generell vergleichbar, d. h. die Auswirkungen sind im Grundsatz identisch. Christoph Baumgardt: Auch bei den Zahntechniker*innen gibt es Unsicherheit, wie es weitergehen wird. Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung trifft die Zahntechniker*innen genauso. Steht den Verbraucher*innen weniger Geld zur Verfügung, z. B. wegen www.zahnaerzteblatt.de ZBW 8-9/2020
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