38 Sonderthema Die Irin Mary Mallon verbachte 26 Jahre ihres Lebens in Quarantäne Mehr als 14 Tage Abb.: The New York American 1909 Während der aktuellen Coronazeiten bedeutet Quarantäne im Normalfall eine 14-tägige Auszeit. Zwei Wochen, die in der Regel in den eigenen vier Wänden gestaltet werden können und in dieser Relation Einschränkungen auf Zeit bedeuten. Dennoch beschwerte sich bereits eine Vielzahl von Menschen über diese Maßnahme zur Eindämmung der Pandemie und damit zum Schutz für die Gesellschaft. Die gebürtige Irin Mary Mallon verbrachte 26 Jahre ihres Lebens in Isolation. Eine Separation, während der es noch keine weltweite Vernetzung über soziale Medien gab, die eine Art Unterhaltung und Teilhabe am Weltgeschehen zumindest nur eingeschränkt möglich machen. Zeitungs-Illustration von 1909. Mary Mallon kochte in den schickeren Gegenden von Manhattan in den Häusern von sieben Familien und in jeder wurden Menschen krank. Bevor die Worte Lockdown und Pandemie zu unserem alltäglichen Wortschatz zählten, machten wir uns relativ wenig Gedanken darüber, was es bedeutet, in Quarantäne zu leben, eine Isolation zu organisieren und den Tanz mit einem todbringenden Virus zu meistern. Zwar gibt es keine offiziellen Zahlen und Angaben darüber, wie viele Menschen sich allein in der Bundesrepublik in den vergangenen Monaten in Quarantäne begeben mussten, aber betroffen war in der jüngsten Vergangenheit fast jede*r von den Beschränkungen. Und auch wenn unser Leben durch quarantänebegleitende Maßnahmen in mehrfacher Hinsicht geprägt wurde, so war die Zeit des Rückzugs doch begrenzt. Was jedoch bedeutet es für einen Menschen 26 Jahre isoliert zu leben, nicht arbeiten zu dürfen und keine gesellschaftlichen Kontakte zu pflegen, weil man Träger eines todbringenden Bakteriums ist? Hoffnung auf die Neue Welt. Mary Mallon wurde 1869 in Cookstown, County Tyrone einer nordirischen Stadt etwa 70 Kilometer westlich von Belfast, geboren. Sie verließ Irland bereits als Heranwachsende, um in der Neuen Welt ein Leben fern von Plagen wie Armut, Hunger und Seuchen aufzubauen. Ein Vorhaben, das zunächst gelang: Zwischen den Jahren 1900 und 1907 war die Auswanderin als Köchin für verschiedene wohlhabende Familien in und um New York City tätig. Den historischen Daten zufolge arbeitete Mary Mallon in den schickeren Gegenden von Manhattan. Während dieser Zeit kochte sie in den Häusern von sieben Familien – der letzten in der Park Avenue – und in jeder von ihnen wurden Menschen krank oder verstarben gar. Eine Verbindung der Krankheits- und Todesfälle zur Köchin im Haus war lange Zeit nicht naheliegend, was Mary Mallon die Möglichkeit gab, sich immer wieder an anderer Stelle als Köchin anstellen zu lassen. Krankheit der Armen. Typhus war damals bereits eine todbringende Krankheit, aber sie gehörte nicht in die Welt der Reichen und Schönen, sondern hatte ihre Heimat in den Slums. Als die Herrin der Kochtöpfe schließlich im Jahr 1906 von Charles Henry Warren angestellt worden war und dieser sie mit in sein Sommerhaus genommen hatte, wo am Ende sechs der insgesamt elf im Haus anwesenden Personen an Typhus erkrankt waren, beauftragte die Familie eines der Opfer den promovierten Hygieniker George Albert Soper, der sich auf die Suche nach den Ursachen für die Armenkrankheit im reichen Villenviertel begab – und fündig wurde. Gesunde Überträgerin. Die irische Köchin wurde festgenommen und in die Isolationsanlage auf North Brother Island im Fluss außerhalb von New York gebracht. Durchgeführte Labor-Tests ergaben schließlich, dass sie tatsächlich die erste bekannte gesunde Typhusüberträgerin Nordamerikas war. In den Jahren 1906/1907 waren etwa 3000 New Yorker mit dem Typus- Erreger Salmonella Typhi infiziert. ZBW 8-9/2020 www.zahnaerzteblatt.de
Sonderthema 39 Mehreren Berichten zufolge wird vermutet, dass die Irin Mallon Hauptgrund des Ausbruchs sein könnte. Die Immunisierung gegen Salmonella Typhi wurde erst 1911 entwickelt, und eine Antibiotikabehandlung war 1948 verfügbar. Die Isolation eines Bakterienträgers war damit oberstes Gebot der damaligen Stunde. Persönlicher Lockdown. Ihre Quarantäne verbrachte Mary Mallon zunächst abgeschottet von der Allgemeinheit, wogegen sie rechtliche Schritte plante, denn, so sagte sie wohl gegenüber ihrem Anwalt, „es scheint unglaublich, dass in einer christlichen Gemeinde eine wehrlose Frau auf diese Weise behandelt werden kann.“ Scheinbar hat nie jemand versucht, der Köchin die Bedeutung eines „Trägers“ zu erklären. Stattdessen wurde sie, so ist es zumindest in „The lessons of the Pandemic“, von G. A. Soper aus dem Jahr 1919 nachzulesen, erfolglos mit Hexamethylenamin, Abführmitteln, Urotropin und Bierhefe behandelt. Klage am Obersten Gerichtshof. Mit der Hilfe ihres Anwalts gelang es Mallon schließlich doch, gerichtlich gegen die Quarantänemaßnahmen vorzugehen. 1909 verklagte sie die New Yorker Gesundheitsbehörde und erreichte, dass ihr Fall vor dem Obersten Gerichtshof verhandelt wurde. Damit löste sie nicht nur eine Grundsatzdebatte darüber aus, wie weit staatliche Autoritäten gehen dürften, um ihre Verantwortung in einer Gesundheitskrise wahrzunehmen, sondern auch die Diskussion darüber, welches Gut höher wiege, das des individuellen Rechts auf Selbstbestimmung oder das gesundheitliche Wohl der Gesellschaft. Falsche Versprechung. Unter der Voraussetzung, sich nie wieder als Köchin zu betätigen, wurde sie dann doch aus der Quarantäne entlassen. Zunächst hielt sich die Virusträgerin an die Abmachung und verdingte sich als Wäscherin. Als es 1915 im New Yorker Sloane-Krankenhaus jedoch erneut zu einem Typhusausbruch kam, fand sich in der Mary Mallon in Quarantäne. Die Köchin verbrachte 26 Jahre ihres Lebens in Isolation. dortigen Küche eine alte Bekannte unter falschem Namen. Als Mary Brown hatte Mary Mallon dort die Kochkelle geschwungen. Sie kam erneut in Isolation, dieses Mal allerdings für den Rest ihres Lebens. Sie starb 23 Jahre später, im Jahr 1938 als fast Siebzigjährige an einer Lungenentzündung. Katastrophale Bilanz. Mindestens 47 Infektionen und fünf Todesfälle soll sie nachweislich verursacht haben. Letzten Endes ist es jedoch nahezu unmöglich mit Sicherheit zu sagen, für wie viele Todesfälle sie schlussendlich belastet werden konnte. Immer wieder wurde Mary Mallon mit den Worten zitiert, „Ich habe doch nie in meinem Leben Typhus gehabt, ich verstehe das nicht“. Kaum einer wusste damals etwas über gesunde Überträger. Auch hier zeigt die Historie eindrucksvolle Parallelen zur aktuellen Gegenwart, denn auch heute ist es nicht allen Menschen bewusst, dass nicht nur kranke Menschen Überträger sind, sondern auch gesunde Menschen eine Viruslast haben können und ein wesentlicher Prozentanteil der Übertragungen durch junge, gesunde, wenig belastete, wenig Symptome habende Menschen erfolgt, die keine Anzeichen einer Erkrankung zeigen. Umgang mit Quarantäne. In verschiedenen Studien wurde das Verhalten der Menschen, die sich in Deutschland seit Beginn der aktuellen Pandemie, in Quarantäne begeben haben, untersucht. Dabei wurden Daten erhoben, wann sie aufgestanden sind, wann sie sich duschten, wie viel Zeit sie im Internet verbrachten, wie oft sie die Yogamatte ausrollten und wie viele Teile die neu erworbenen Puzzles hatten, die sie sich zum Zeitvertreib besorgt hatten. Zahlen, die belegen, dass diesen Menschen eine Vielzahl an Beschäftigungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, sie sich jederzeit den Hörer für Telefonate in die ganze Welt schnappen, Pakete schnüren und verschicken oder aber online einkaufen gehen konnten. Mary Mallon hatte all‘ das nicht. Ihr Leben beschränkte sich 26 Jahre lang auf ein Rehazentrum, zum Ende ihres Lebens hin teilte sie sich zudem einen Schlafraum mit mehreren anderen kranken Frauen. Zwar erlangte sie durch die schlummernden Bakterien in ihrem Körper eine gewisse, wenngleich auch traurige Berühmtheit, da immer wieder Journalisten über die eigentümliche Geschichte der Irin berichteten – allerdings stets sorgsam darauf bedacht, nicht zu viel körperliche Nähe zuzulassen, damit keinem todbringenden Bakterium der Weg in den gesunden Körper möglich war. Freundschaften, eine Liebesbeziehung, ein Leben mit Alltäglichkeiten blieben ihr jedoch verwehrt – und das nicht nur 14 Tage lang. Cornelia Schwarz Abb.: The New York American 1923 www.zahnaerzteblatt.de ZBW 8-9/2020
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