30 Berufspolitik Vertreterversammlung der KZV BW „Wir sind ordentlich durch die Krise gekommen“ Sindelfingen statt Donaueschingen. Maskenpflicht statt soziales Miteinander. Großer Zusammenhalt zwischen Vorstand und Mitgliedern der Vertreterversammlung bei konstruktiver Bewertung der Coronakrise und ihrer Folgen. was wir bis dahin für selbstverständlich gehalten haben: Dass Sie Ihre Arbeit machen dürfen. Dass Sie Ihre Patient*innen nicht alleine lassen,“ so Christoph Besters. Unter hohen Hygieneauflagen hat sich am 4. Juli 2020 die Vertreterversammlung (VV) der KZV BW in der Stadthalle Sindelfingen getroffen, um über die Folgen der Coronapandemie zu beraten. Bericht des VV-Vorsitzenden. Wie jede VV wurde auch diese mit einer Rede des VV-Vorsitzenden Dr. Dr. Alexander Raff eröffnet. Mit seinen Worten traf Dr. Raff den Nerv und die Gefühlslage des Auditoriums, sodass sich eine fast zweistündige Aussprache nach dieser Eröffnungsrede entwickelte. Dr. Raff thematisierte, „die Erkenntnis, dass wir Zahnärzt*innen – offensichtlich und nicht mehr deutlicher darstellbar – eine Berufsgruppe sind, die zwar geräuschlos systemimmanent funktionieren soll, aber im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen keine Unterstützung und keine Wertschätzung vonseiten der Politik verdient. Wir sind in deren Augen nicht systemrelevant.“ Er mahnte zudem, dass das Zurück zur Normalität zwar bedeute, dass diese VV physisch stattfinden könne. Jedoch: „Noch nicht normal – wie die diversen hautnah erfahrbaren Regelungen, aus denen sich die Distanzierungsgebote ergeben und die Hygieneerfordernisse resultieren, – aber immerhin schon wieder ‚nondigital‘.“ Er richtete einen Appell an die Anwesenden, dass auch nach Corona wieder das frühere Miteinander in der Standespolitik gelebt werden müsse. Dazu gehören für ihn physische Kreisversammlungen, vor allem aber auch die eingeübten bewährten Entscheidungsprozesse in der KZV. „Zurück zur Normalität bedeutet, dass in unseren Köpfen das Gegenüber als Mensch gesehen wird und nicht als potenzielle*r Virusträger*in, deren/ dessen Annäherung mein persönliches Funktionieren und meine Gesundheit gefährdet.“ Seine Ausführungen beendete er mit den Worten: „Jedenfalls sind wir für viele Patient*innen unmittelbar wichtiger als eine Großbank, für die der Begriff der Systemrelevanz einmal geprägt wurde.“ Bericht des Vorstands. Für den Vorstand hielten die beiden stellvertretenden Vorsitzenden das gesundheitspolitische Statement, da die KZV-Vorsitzende Dr. Ute Maier nicht an der VV teilnehmen konnte. Mit seinen Ausführungen legte Christoph Besters zunächst dar, „wie wir von der ersten Krisensitzung am Aschermittwoch bis heute das Unternehmen KZV gesteuert haben.“ Er bezeichnete das Virus in Anlehnung an ein Zitat der Kanzlerin als „eine Zumutung für die Demokratie“. Das gelte auch in der Standespolitik. Krisenzeiten seien notwendigerweise Zeiten der Exekutive. Das gelte für Regierungen, für Unternehmensführungen und natürlich gelte das auch für Vorstände von Körperschaften – egal ob LZK oder KZV. Entscheidend sei, so Besters, dass man als Vorstand in der unmittelbaren, auch ungeschützten Verantwortung stünde, handeln zu müssen – ohne Zeit des Abwägens oder des Innehaltens. „Wir alle haben das zum ersten Mal durchlebt und keine*r wusste, wie der Verlauf sein werde.“ Von der Politik sei keine Unterstützung zu erwarten gewesen, weder bei der Corona-Verordnung von Gründonnerstag als die Landesregierung zunächst ein „de-facto- Berufsverbot“ ausgesprochen hatte, noch bei der Maskenverordnung, geschweige denn dem angekündigten Rettungsschirm, der dann zu einer Liquiditätshilfe wurde. „Wir mussten kämpfen: die Zahnärzt*innen mit ihre*m Assistenzpersonal in den Praxen, wir auf Ebene der Politik und der Selbstverwaltung und zwar für etwas, Maßnahmen der KZV BW. Christoph Besters und Christian Finster stellten sodann die Maßnahmen dar, die der Vorstand ergriffen hatte, um in diesen Zeiten sicherzustellen, dass die Funktionalität der KZV, der Zahlungsfluss an die Zahnärzt*innen und die Aufrechterhaltung des Praxisbetriebes im Land gewährleistet werden. Sie legten dar, welche Kommunikationsmaßnahmen zur schnellen und sicheren Information der Zahnärzt*innen ergriffen wurden, welche Vielzahl von politischen Gesprächen stattgefunden haben, wie ein Sicherstellungsdienst im ganzen Land mit über 600 Praxen eingerichtet wurde sowie Schwerpunktpraxen und Klinikambulanzen für COVID- 19-Erkrankte. Schutzausrüstung und Desinfektionsmittel im Wert von über 600.000 Euro wurden für die Zahnarztpraxen besorgt und versandt, eine Beratungshotline wurde eingerichtet, die über 4000 Zahnärzt*innen während der Coronazeit beraten hat. Lehren und Ausblick. Christian Finster stellte in seinem Ausblick vor, welche Lehren für die Verwaltung aus den Zeiten des Lockdowns zu ziehen seien: Von den guten Erfahrungen beim Home office über Flexibilisierungen bei den Arbeitszeiten, von der Ausweitung der Onlineangebote für Zahnärzt*innen wie zum Beispiel bei Webinaren bis hin zur Schaffung einer App, in welcher alle digitalen Angebote gebündelt und nutzbar sein könnten. „Mit diesen Maßnahmen können wir die Erfahrungen nutzen, die wir in der Coronakrise gesammelt haben, um die KZV, vor allem die zahnärztliche Selbstverwaltung, zu stärken“, so Christian Finster. Nach einer intensiven Debatte, die breite Zustimmung zu den getroffenen Maßnahmen und dem schnellen und umsichtigen Agieren des Vorstands ZBW 8-9/2020 www.zahnaerzteblatt.de
Berufspolitik 31 signalisierte, verabschiedeten die Mitglieder der VV unter anderem folgende Anträge und Resolutionen. Resolution. Die VV zeigte sich enttäuscht über die COVID-19-Versorgungsstrukturen-Schutzverordnung und forderte die Politik auf, anzuerkennen, dass Vertragszahnärzt*innen systemrelevant und ein wichtiger Teil der Daseinsvorsorge seien. Zur Krisenbewältigung wären zumindest Zuschüsse und eine Lastenteilung zwischen Zahnärzteschaft und Kostenträgern notwendig gewesen. Durch die COVID-19-Versorgungsstrukturen- Schutzverordnung werden die massiven negativen Folgen der Pandemie für die Zahnarztpraxen zwar teilweise kurzfristig abgefedert, jedoch durch die Rückzahlungsverpflichtung in voller Höhe in die Folgejahre verlagert. Dies träfe in besonderem Maße junge Vertragszahnärzt*innen sowie Praxen in strukturschwachen Regionen, in denen hierdurch langfristig die Versorgungsstrukturen gefährdet werden. Anträge. Die VV forderte die Landesregierung auf, ihre finanzielle Unterstützung von Groß- und Kleinunternehmen im Produktionsund Dienstleistungsbereich auch auf Freiberufler*innen wie Zahnarztpraxen, welche die Versorgung im Land flächendeckend sicherstellen, auszuweiten. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, infolge einer bundesweiten oder regionalen Epidemie den erhöhten Aufklärungs-, Personal-, Organisations- und Materialaufwand in den zahnärztlichen Praxen mit einer zusätzlichen Zuschlagsposition je Behandlungssitzung auszugleichen. Die Pandemie hätte in Praxen zu einem massiv erhöhten Aufwand für die Patient*innen durch die Erhebung einer speziellen Anamnese, bezogen auf die epidemische Erkrankung sowie eine zeitaufwändige zusätzliche Beratung und Aufklärung geführt. Dies sei mit gestiegenem Personaleinsatz verbunden gewesen. Parallel dazu sei der Bedarf an Schutzmaterialien gestiegen, die nur zu massiv erhöhten Preisen zu beschaffen waren. Außerdem forderte die VV den Vorstand auf, die entstandenen Mehrkosten für die Maßnahmen zur systematischen Eindämmung der Pandemie und die zusätzlichen Mehrkosten von den Vertragspartnern rückwirkend einzufordern. Zudem wurden Beschlüsse gefasst zur Ausdehnung der Mehrkostenvereinbarung auf die gesamte Vertragszahnheilkunde. Des Weiteren wurde ein Antrag verabschiedet, der die KZBV auffordert Verhandlungen mit dem GKV-Spitzenverband über eine Anpassung der Pauschalenregelung für alle Kosten, die bei der datenschutzkonformen Anbindung an die TI entstehen, zu führen. Der Satzungsausschuss wurde beauftragt zu prüfen, wie in schriftlichen Abstimmungsverfahren die Möglichkeit zu geheimen und namentlichen Abstimmungen implementiert werden könne. Florian Wahl Die Forderung der Praxen nach einem finanziellen Ausgleich für die hohen Kosten der Umsetzung von Hygienevorschriften der letzten Wochen ist mehr als gerechtfertigt. Die unbürokratisch und schnell vereinbarte Pauschale pro Patientenbesuch in der GOZ löst erwartungsgemäß den Wunsch nach etwas Vergleichbarem für GKV-Patienten aus, obwohl damit die jährlichen durchschnittlichen Kosten von 95000 Euro pro Praxis für die Erfüllung der Hygienevorgaben nicht abgedeckt werden können, zumal dieser Zuschlag zeitlich befristet ist. Aber die Erwartungen an die Standespolitik sind hoch, bundesweit stehen die Verhandlungsführer in den Vorständen der KZVen unter Druck. Das zeigen die zahlreichen Anfragen aus den Praxen. Der Vorstand der KZV BW ist dem schon vor Wochen nachgekommen. Nur – Forderungen zu stellen ist das Eine, erfolgreich mit den GKV- Kassen zu verhandeln das Andere. Die Kassen haben keine Notwendigkeit zu einer Pauschale, ob befristet oder unbefristet, gesehen und verweisen auf die jährlichen Vertragsverhandlungen über die Kommentar Finanzieller Ausgleich Punkwerte, in denen auch die Hygienekosten zur Sprache kommen und „eingepreist“ werden sollen. Aber das kann erst in 2021 angegangen werden. Umso wichtiger sind dabei die Ergebnisse der ZÄPP- Umfrage und auch die Ergebnisse der Hygienekostenstudie des IDZ, in der die durchschnittlichen Kosten von 95000 Euro für die Praxen in unserem Bundesland nachgewiesen werden. Hier geht es um eine dauerhafte Berücksichtigung der Kosten durch entsprechende Anhebung des Punktwertes. Ein langfristiger Ausgleich von höheren Kosten ist auch das Ziel des Vorstandes der KZBV, der sich vehement gegen die Lösung einer Zuschlagsposition wehrt. Dies sei zu kurzfristig gedacht. Er denkt über eine Untergrenze des gesamten Ausgabevolumens nach, die im SBG V verankert werden soll, andere Forderungen würden die Verhandlungen behindern und seien kontraproduktiv. Über Erfolgsaussichten und Zeitfenster wurde nichts verlautbart. Ob man so den „Druck aus dem Kessel“ nehmen kann, ist zumindest fragwürdig. Die einstimmig verabschiedeten Anträge zur Einführung einer Zuschlagsposition in einem neueren Pandemiefall und rückwirkend für die bisher aufgelaufenen Kosten der letzten Monate sind ein klares Zeichen, dass die politisch Verantwortlichen in der Vertreterversammlung die Interessen der Praxen ernst nehmen und sich für eine kurzfristige Lösung einsetzen. Nun ist der Vorstand gefragt, bei Politikern auf Bundes- und Landesebene und den GKV-Kassen zu insistieren. Kein leichtes Unterfangen, wenn man die finanziellen Spielräume der Krankenkassen wie auch der Bundes- und Landesregierung auf Grund der Pandemie betrachtet. Aber es ist nur fair, unserem Berufsstand wenigstens auf dieser Ebene entgegenzukommen, wenn man es schon auf der „Schutzschirmebene“ nicht geschafft hat. Dr. Hans Hugo Wilms www.zahnaerzteblatt.de ZBW 8-9/2020
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