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Soziales Engagement

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Ausgabe 11/12 2023

36_FORTBILDUNG

36_FORTBILDUNG ZBW_11-12/2023 www.zahnaerzteblatt.de Wurzelkaries bei älteren Patienten HERAUS- FORDERUNGEN BEI DER In den letzten Jahren ist die Kariesprävalenz in Deutschland, insbesondere bei Kindern und jungen Erwachsenen, deutlich zurückgegangen. Da es in jungen Jahren seltener zu Zahnverlusten aufgrund von Karies kommt, können immer mehr Patienten zunehmend viele Zähne bis zu einem hohen Alter erhalten. Die im Alter häufig vorhandenen freiliegenden Wurzeloberflächen der Zähne unterliegen dabei einem besonders hohen Risiko für die Entstehung von Karies. Die Prävalenz von Wurzelkaries bei Senioren hat deutlich zugenommen. Insbesondere die Behandlung dieser Kariesform bei pflegebedürftigen Senioren erfordert entsprechend angepasste Versorgungsstrategien, die einerseits effektiv sind und andererseits außerhalb der Zahnarztpraxis angewandt werden können. PROBLEM IM ALTER Durch effektive Präventionsmaßnahmen ist in den letzten Jahrzehnten in Deutschland ein deutlicher Kariesrückgang bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen zu verzeichnen 2 . Die Erfolge bei der Kariesprävention führen bei vielen Patienten dazu, dass in jüngeren Jahren deutlich weniger Zähne aufgrund von Karies extrahiert werden müssen. Die Konsequenz dieses positiven Trends ist, dass bei älteren Patienten eine zunehmende Anzahl eigener natürlicher Zähne vorhanden ist. Altersbedingte Veränderungen und Parodontitis führen aber häufig dazu, dass die Wurzeloberflächen bei den Zähnen dieser Patienten freiliegen. Da die Wurzeloberfläche eine Kariesprädilektionsstelle darstellt, ist insbesondere bei älteren Patienten Wurzelkaries häufig vorzufinden. Die zunehmende Prävalenz von Wurzelkaries bei Senioren führt dabei in Verbindung mit der wachsenden Zahl älterer Bevölkerungsgruppen als Folge des demografischen Wandels zu einem raschen Anstieg der Gesamtzahl behandlungsbedürftiger Wurzelkariesläsionen in Deutschland 7 . VERSORGUNG VON WURZELKARIES Zusätzlich zu der Herausforderung, insgesamt eine immer größer werdende Zahl an Wurzelkariesläsionen behandeln zu müssen, stellt auch die Behandlungsfähigkeit vieler älterer Patienten eine Herausforderung dar. So geht zunehmendes Alter oft mit dem Bedarf an Langzeitpflege und Mobilitätseinschränkungen – und damit oft verbunden mit Einschränkungen bei der Behandlung – einher. Im Zuge des demografischen Wandels ist dabei ebenfalls ein ungünstiger Trend zu beobachten: ein deutlicher Anstieg der Anzahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland. Waren es zur Jahrtausendwende noch rund zwei Millionen Pflegebedürftige, so ist diese Zahl bis 2021 auf rund fünf Millionen angestiegen (Quelle: Statistisches Bundesamt) (Abb. 1). Insgesamt ergibt sich daraus ein zunehmender Versorgungsbedarf von Wurzelkaries in älteren Bevölkerungsgruppen, von denen jedoch viele aufgrund von altersbedingten Einschränkungen nur begrenzt behandlungsfähig sind. Wurzelkaries wird demnach als ein bedeutendes Mundgesundheitsproblem der Zukunft angesehen 4 . Auf Zahnebene weist die Prävention und Behandlung von Wurzelkaries Unterschiede im Vergleich zur Therapie koronaler Karies auf. Diese werden besser verständlich, wenn man die Besonderheiten bei der Pathogenese von Wurzelkaries betrachtet. Allgemein wird Karies heute als ein dynamischer Prozess angesehen, bei dem die vermehrte Zufuhr von Kohlehydraten zu einer Verschiebung des Keimspektrums im Biofilm hin zu pathogenen säurebildenden und säuretoleranten Bakterien führt. Dieser nun kariogene Biofilm kann bei weiterer Kohlehydratzufuhr den pH-Wert auf der Zahnoberfläche so stark absenken, dass es zu einer zunächst reversiblen Demineralisation des Zahnhartgewebes kommt. Überwiegen Demineralisationsperioden über einen gewissen Zeitraum, entsteht eine irreversible Kariesläsion. Diese allgemeine Erklärung zur Kariesentstehung trifft insgesamt zwar auch für Wurzelkaries zu. Jedoch gibt es hier im Vergleich zur Kariesentstehung im Schmelz Unterschiede: Dentin hat eine deutlich höhere Säureanfälligkeit als der Zahnschmelz. So liegt der kritische pH-Wert für eine Demineralisation von Dentin bei ca. 6,2 bis 6,7 (Schmelz: ca. 5,2 bis 5,7). Hierdurch kommt

ZBW_11-12/2023 www.zahnaerzteblatt.de 37_FORTBILDUNG ENTWICKLUNG DER ANZAHL DER PFLEGEBEDÜRFTIGEN IN DEUTSCHLAND SEIT 1999 6000 Bild: Adobe Stock / oneinchpunch Foto: Adobe Stock/DenisProduction.com Anzahl Pflegebedürftiger in Tausend 1 5000 4000 3000 2000 1000 0 1999 2001 2003 2005 2007 2009 2011 2013 2015 2017 2019 2021 Statistik. In den letzten Jahren ist die Gesamtzahl pflegebedürftiger Menschen in Deutschland deutlich gewachsen. Die Mehrzahl der rund fünf Millionen Pflegebedürftigen wird durch Angehörige oder durch mobile Pflegedienste zu Hause versorgt. es bei einem kariogenen Säureangriff am Dentin zu länger andauernden Demineralisationsperioden mit entsprechend ausgeprägterem Substanzverlust. Bei Wurzelkaries wird der Zahnsubstanzverlust aber nicht nur durch Demineralisationsprozesse sondern auch durch enzymatischen Abbau organischer Bestandteile des Dentins verursacht. Dentin besteht zu etwa 30 Prozent aus organischem Material, hauptsächlich Kollagenfasern, die eine Matrix bilden, in die Mineralien eingebettet sind. Nach initialem Mineralverlust wird die Kollagenmatrix einem Abbau durch kollagenolytische Enzyme zugänglich, die überwiegend aus dem Dentin selbst entstammen und durch den bakteriellen Säureangriff aktiviert werden 9 . Im Gegensatz zu Demineralisierungsvorgängen im Schmelz ist der enzymatische Abbau irreversibel. Dadurch kommt es bei Wurzelkaries schon in frühen Stadien zu einem irreversiblen Zahnsubstanzverlust. Im Gegensatz zu koronalen Kariesläsionen, die eher in wenig zugänglichen Bereichen liegen, sind Wurzelkariesläsionen oft (aber nicht immer!) in Bereichen lokalisiert, die der Mundhygiene relativ gut zugänglich sind (Abb. 2). Wurzelkariesläsionen haben auch eher eine schüsselförmige Morphologie, was sie im Vergleich zu kariesbedingten Einbrüchen im Schmelz besser reinigungsfähig macht. Unter diesen Voraussetzungen besteht eine gute Chance, Wurzelkariesläsionen durch die Anwendung präventiver Maßnahmen zu inaktivieren (= arretieren) und damit in ihrer weiteren Ausbreitung zu stoppen. Diese Möglichkeit sollte insbesondere bei der Therapie von Wurzelkaries bei älteren Patienten, die nur eingeschränkt behandlungsfähig sind, genutzt werden. Entsprechende Empfehlungen zur Versorgung von Wurzelkaries werden im Folgenden aufgeführt. Versorgung zu Hause Vollstationäre Pflege Insgesamt VERSORGUNG VON WURZELKARIES Die Behandlung von Karies und deren Folgen stellt das Tagesgeschäft der meisten Zahnärzte dar. Der hierfür gewohnte Behandlungsansatz in der Zahnarztpraxis – das Legen einer Füllung – ist zwar auch zur Behandlung von Wurzelkaries möglich, aber nicht immer sinnvoll: Wurzeldentin ist im Vergleich zum Schmelz weniger gut für die adhäsive Befestigung von Restaurationsmaterialien geeignet. Auch die Trockenlegung ist in dieser Region oft problematisch. So haben Füllungen zur Versorgung von Wurzelkaries eine erhöhte Misserfolgsrate 1 . Darüber hinaus ist eine restaurative Therapie insbesondere bei eingeschränkt behandlungsfähigen Senioren nicht immer anwendbar. Aktuelle Versorgungskonzepte für Wurzelkaries zielen daher eher auf risikoadaptierte Präventionsmaßnahmen und non-invasive Behandlungsstrategien ab. EMPFEHLUNGEN ZUR PRÄVENTION Die Ansätze zur Wurzelkariesprävention unterscheiden sich nur wenig von den Maßnahmen, die zur Prävention von koronaler Karies empfohlen werden. So bilden auch hier verhaltenslenkende Maßnahmen wie die Reduzierung der Zuckerzufuhr, die Verbesserung der häuslichen Mundhygiene zur Beeinflussung des Biofilms und die Anwendung von Fluorid die Eckpfeiler der Kariesprävention. Während sich für Patienten mit Wurzelkariesrisiko die Empfehlungen zur Ernährung nicht von denen jüngerer Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko unterscheiden, gibt es bei der häuslichen Mundhygiene und Fluoridanwendung einige Aspekte, die bei Wurzelkaries beachtet werden sollten. Die generelle Empfehlung zweimal täglich mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta (1000 bis 1500 ppm F) die Zähne zu putzen, gilt auch für Patienten mit Wurzelkaries. Bei gut zugänglichen Wurzeloberflächen und moderatem Kariesrisiko ist diese Maßnahme zur Vorbeugung von Wurzelkaries ausreichend. Für einen besseren Effekt können Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko ersatzweise das zweimal tägliche Zähneputzen mit einer Zahnpasta mit erhöhtem Fluoridgehalt (5000 ppm F) durchführen 5 . Um der Entstehung schwer behandelbarer approximaler Wurzelkariesläsionen vorzubeugen, sollte eine gründliche Approximalraumhygiene unter Anwendung von Interdentalraumbürsten mit Fluoridzahnpasta durchgeführt werden 5 . Für Pa- Quelle: Statistisches Bundesamt (Destatis) 2023)/Grafik IZZ

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