18_BERUFSPOLITIK ZBW_11-12/2023 www.zahnaerzteblatt.de Regionalkonferenz mit Gesundheitsminister Manne Lucha NEUE WEGE IN DER PRIMÄRVERSORGUNG „Für eine zukunftsfähige Gesundheitsversorgung“ – so lautete nicht nur das Motto, sondern auch der programmatische Anspruch mehrerer Regionalkonferenzen, die auf Einladung der Kommunalen Beratungsstelle Gesundheitsversorgung beim Landkreistag Baden-Württemberg im Oktober 2023 stattfanden. Entsprechend der Wichtigkeit dieses Themas für die Landespolitik und die Kommunen, war das Podium prominent besetzt: Sozialminister Manne Lucha war als Keynote-Speaker zum Thema „Neue Wege in der Primärversorgung“ am 4. Oktober in Ehingen (Alb-Donau-Kreis) geladen. Das ZBW war für Sie vor Ort. Sektorenübergreifend. Landrat Heiner Scheffold macht als Vorstandsvorsitzender der badenwürttembergischen Krankenhausgesellschaft deutlich, welches Potenzial ein Abbau der strikten Sektorengrenzen für die Versorgung hat.“ Der demografische Wandel, neue gesellschaftliche und soziale Entwicklungen und nicht zuletzt die sich verändernden Berufsbilder in den Heilberufen – diese und weitere Faktoren bedingen und beeinflussen die derzeitige Transformation des Gesundheitswesens in Baden-Württemberg. Denn nicht nur die Gesellschaft wird immer älter und hat einen steigenden Anteil an Pflegebedürftigen. Auch der ärztliche Berufstand steht vor einem Generationswechsel, im Zuge dessen viele Praxisstandorte bedroht sein dürften: Für viele Praxen finden sich keine Nachfolger*innen und junge Mediziner*innen setzen vermehrt auf Teilzeitarbeit in Anstellung. Auf Ebene der Kommunen ist das Thema der zukünftigen wohnortnahen ambulanten Versorgung deswegen längst mit hoher Priorität auf der Agenda. Fotos: Anne Hattler, Landkreistag BW AUSTAUSCH UND DIALOG Auf Einladung der Kommunalen Beratungsstelle Gesundheitsversorgung beim Landkreistag diskutierten Anfang Oktober zahlreiche Vertreter*innen von Kommunen, Krankenkassen, ärztlichen und zahnärztlichen Berufsverbänden sowie weitere Akteur*innen des Gesundheitswesens mögliche Wege und Maßnahmen, um die dezentrale Primärversorgung langfristig zu erhalten. Neben Gesundheitsminister Manne Lucha traten als Keynote-Speaker*innen der gastgebende Landrat Heiner Scheffold – gleichzeitig Vorstandsvorsitzender der badenwürttembergischen Krankenhausgesellschaft – sowie Dr. Doris Reinhardt, stellvertretende Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KVBW), auf. So wurde bereits mit der Tagesordnung der Regionalkonferenz deutlich gemacht, welchen Stellenwert die sektorenübergreifende Versorgung in der Frage der künftigen Versorgungslandschaft einnimmt. Prof. Dr. Alexis von Komorowski, Hauptgeschäftsführer des Landkreistags Baden-Württemberg, begrüßte Minister Lucha als „Überzeugungstäter beim Thema sektorenübergreifende Primärversorgung“. Dieser habe das Thema als amtierender Vorsitzender der Gesundheitsministerkonferenz (GMK) ganz weit oben auf der politischen Agenda platziert. Der Minister verwies seinerseits auf die Schwierigkeiten, beim Thema „sektorenübergreifende Versorgung“ endlich substanziell voranzukommen und diagnostizierte dabei eine „German Illness“: „Wir wissen immer saumäßig gut, wie etwas nicht geht.“ Beantwortet werden müsse jedoch, was die Bedingungen des Gelingens seien. SEKTORENÜBERGREIFEND Sektorengrenzen führten grundsätzlich zu einem gewissen Maß an Über- und Unterversorgung, mithin zu Fehlversorgung. Wenn es gelänge, diese Grenzen durchlässiger zu machen, ließen sich Effizienzgewinne generieren, so der Tenor. Dies sei im besten Sinne eine Versorgungssteuerung, denn für Doppelstrukturen sei nicht genug Personal vorhanden. Im Übrigen sei es mit Blick auf nachfolgende Generationen von (Zahn-) Ärzt*innen niemandem zu verdenken, dass viele nicht mehr Tag und Nacht arbeiten wollten, sondern sich gleicherma-
ZBW_11-12/2023 www.zahnaerzteblatt.de 19_BERUFSPOLITIK Neue Wege. Das Thema „Sektorenübergreifende Primärversorgung‟ steht für Gesundheitsminister Manne Lucha weit oben auf der politischen Agenda. » Level 1i werden wir die Krankenhäuser in Baden-Württemberg nicht nennen, das ist so sexy wie ein Betonpfosten.« Manne Lucha, Minister für Soziales, Gesundheit und Integration ßen Zeit für Familie, Freizeit und kulturelle Teilhabe wünschen. „Work-Life-Balance hat nichts Lifestylemäßiges, das sind Bedürfnisse, die berechtigt sind“, so Minister Lucha. PRÄVENTION Einigkeit bestand darüber, dass man die derzeitigen Probleme allein durch Effizienzgewinne jedoch nicht lösen könne. Daher müsse auch der Bereich von Prävention und Gesundheitsförderung weiter gestärkt und insbesondere die Primärversorgung in diese Richtung weiterentwickelt werden. PRIMÄRVERSORGUNGSZENTREN Mehrfach wurde betont, dass zur langfristigen Sicherstellung der wohnortnahen Versorgung neue Versorgungsformen nötig wären, um die wegbrechende stationäre und die schwieriger werdende ambulante Versorgung zu ersetzen. Im Zentrum stehen dabei die sogenannten „Level 1i-Krankenhäuser“, die in der zwischen Bund und Ländern abgestimmten Krankenhausreform vorgesehen sind. Diese „Level 1i-Krankenhäuser“ verbinden stationäre Leistungen der interdisziplinären Grundversorgung wohnortnah mit ambulanten fach- und hausärztlichen Leistungen. Deren Einrichtung könne der Beginn einer echten sektorenübergreifenden Versorgung sein, wo es bisher nur Modellprojekte gebe. Lucha betonte, dass nicht der Ort der Leistungserbringung entscheidend sei, sondern die Leistung selbst. Insofern gehe es nicht nur um Wohnortnähe, sondern auch um Qualität und Strukturfragen. Dazu gehörten sinnvolle digitale Anwendungen, die zu einer echten Erleichterung und Verbesserung im Behandlungsalltag führen würden. Die Zukunft der Versorgung sei „digital vor ambulant, vor stationär“. So würde es die Telemedizin auch Primärversorgungszentren ermöglichen, sich die Expertise von Maximalversorgern ins Haus zu holen. Bei der Umsetzung dieser Einrichtungen sei ein abgestimmtes Handeln entscheidend. Die Perspektive müsse lauten: „Was braucht der Patient?“ Und nicht: „Was brauchen wir?“ Es dürfe keine Konkurrenz aufgebaut werden, deswegen müsse die niedergelassene Ärzteschaft in den Umsetzungsprozess eingebunden werden und ihre Kompetenz in diese Zentren eingebracht werden. REGIONALE LÖSUNGEN Große Einigkeit bestand auch in der Frage der Regionalität. Im Sinne einer dezentralen Gesundheitsversorgung gebe es nicht die eine Lösung, sondern es bedürfe individueller regionaler Lösungen, die sich an den Gegebenheiten der regionalen Strukturen orientierten. Gleichzeitig sei die ärztliche Versorgung Teil der Daseinsvorsorge. Dementsprechend sollten die Einflussmöglichkeiten der Kommunen im Sinne einer integrierten Versorgungsplanung gestärkt werden, da diese die Bedarfe vor Ort am besten kennen. Dass dies jedoch nicht die Rolle der Selbstverwaltung infrage stelle, wurde von allen Teilnehmenden bestätigt. Die Akteur*innen bekannten sich weiterhin zur maßgeblichen Verantwortung der Ärzt*innen und Zahnärzt*innen bzw. deren Standesvertretung für die Versorgungssteuerung. Als Träger des Sicherstellungsauftrags obliege es unzweifelhaft den KVen und KZVen, die Versorgung vor Ort zu organisieren, weil dort das entsprechende Know-how sei. Gleichzeitig jedoch sei eine aktive Rolle der kommunalen Ebene dezidiert gewünscht. Die Kommunen könnten mit dem Wissen, was vor Ort gebraucht werde, Transparenz schaffen und Bedarfe formulieren. Die Rolle der Kommunen sei somit die des „Beobachters, Anschiebers, aber nicht des Versorgers“. PERSPEKTIVE ZAHNMEDIZIN Dass die ambulante zahnärztliche Versorgung derzeit noch keine herausgehobene Rolle in den Diskussionen um die zukünftige kommunale Primärversorgung spielt, ist zunächst einmal Ausweis der landesweit stabilen Versorgungslage. Wie die KZV BW in ihrem Versorgungsbericht 2023 darlegt, gibt es landesweit keinen Stadt- oder Landkreis, der akut von Unterversorgung bedroht ist. Umso wichtiger ist es jedoch, vorausschauend zu agieren und rechtzeitig über die Perspektiven für bedarfsgerechte Versorgungsangebote mit kurzen Wegen und gegebenenfalls auch über neue Versorgungsformen zu diskutieren. Überdies ist gerade der zahnärztliche Bereich mit seinen enormen Präventionserfolgen ein gutes Beispiel für den Wert einer starken Prävention. Umso absurder erscheint vor diesem Hintergrund der Ansatz, Kosten zu sparen, indem Vorsorge budgetiert wird, wie dies mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz beschlossen wurde. Von einer engmaschigen Prävention profitieren nicht nur die Patient*innen im individuellen Fall. Dies ist darüber hinaus ein wichtiger Beitrag, um Ressourcen im System zu sparen und auf diese Weise den Druck zu lindern, dem die ambulante Versorgung ausgesetzt ist. Dr. Holger Simon-Denoix INFO Auf der Webseite www.gesundheitskompassbw.de werden Best-Practice- Beispiele für innovative Versorgungsprojekte aus ganz Baden-Württemberg dargestellt.
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