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Ausgabe 3/2017

14 Berufspolitik

14 Berufspolitik Versorgungssteuerung Das alte System stößt an seine Grenzen Wird es die freie Arztwahl in zehn Jahren noch geben? Rund zwei Drittel der Besucher des Landeskongresses Gesundheit Baden- Württemberg zeigten sich davon überzeugt, wie die Abstimmung per Handy ergab. Dies war auch die vorherrschende Meinung auf dem Podium, wo Vertreter der Ärzteschaft und der Krankenkassen das Thema „Versorgungssteuerung“ diskutierten. Die Bedeutung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arzt und Patient wurde immer wieder unterstrichen – gleichzeitig war man sich aber weitgehend einig, dass das System ohne die Steuerung ärztlicher Inanspruchnahme an seine Grenzen stößt. Die deutlichsten Worte auf die Frage nach dem Fortbestand der freien Arztwahl fand Dr. Norbert Metke, Vorstandsvorsitzender der KVBW, der „gegen den Mainstream“ argumentierte: „Die freie Arztwahl kann es gar nicht geben. Das System steht finanziell und organisatorisch vor dem Kollaps.“ Heute behandle der deutsche Hausarzt pro Woche 250 Patienten und habe dafür jeweils neun Minuten Zeit. Und warum? „Weil jeder da hingehen kann, wo er will.“ Würde die freie Arztwahl in der heutigen Konstellation bis 2050 fortbestehen, lägen die Beiträge der gesetzlichen Krankenversicherung bei – unmöglichen – 40 Prozent. Steuerung. Die freie Arztwahl dürfe man nicht mit Beliebigkeit verwechseln, so Dr. Christopher Hermann. „Wir sind natürlich schon viel weiter in Baden-Württemberg“, erklärte der Vorstandsvorsitzende der AOK BW und verwies auf die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV), für die sich allein bei der AOK BW 1,5 Mil- lionen Versicherte entschieden hätten. Die wissenschaftliche Evaluation habe ergeben, dass es im Gegensatz zur Regelversorgung zu 40 Prozent weniger unkoordinierten Facharztkontakten komme. Man brauche eine freie Arztwahl, um den Arzt des Vertrauens zu finden. „Aber dann bin ich im System unterwegs und habe jemanden, der mich dort verantwortlich leitet“, so Hermann. „Und das ist der hochqualifizierte Hausarzt.“ Dass es zunächst darauf ankommt, einen Arzt des Vertrauens zu finden – diese Ansicht teilte auch Dr. Ulrich Clever, Präsident der LÄK BW. Je älter der Patient werde, desto wichtiger sei das Vertrauensverhältnis. Es habe sich gezeigt: Je mehr Erfahrung der Arzt mitbringe, desto weniger Diagnostik – und damit Kosten – veranlasse er, „weil er eben die Beratung so macht, dass sie auch angenommen wird“. Er sei „ein bisschen skeptisch“, dass dies in Zukunft Sache der Krankenkasse sei. „Des- Unisono. Hinsichtlich der Notwendigkeit einer Steuerung lagen die Teilnehmer der Podiumsdiskussion nicht weit auseinander. Von links: Detlef Piepenburg, Dr. Norbert Metke, Dr. Ulrich Clever, Siegfried Euerle, Moderatorin Hendrike Brenninkmeyer, Andreas Vogt, Dr. Gertrud Prinzing, Dr. Christopher Hermann und Winfried Plötze. Foto: Messe Stuttgart ZBW 3/2017 www.zahnaerzteblatt.de

Berufspolitik 15 wegen ist das Case Management aus meiner Sicht bei den Ärzten zu verorten, und zwar bei den Primärärzten, die diese Vertrauensstellung haben.“ Lotsen. Dr. Gertrud Prinzing, Vorständin bei der Bosch BKK, unterstrich die Notwendigkeit einer integrierten Versorgung, zu der medizinisch geschulte Mitarbeiter der Krankenkasse, die Patientenberater, wesentlich beitragen könnten. Diese hätten nicht den Anspruch, den Arzt zu ersetzen, sondern ihn zu unterstützen. Die Integration der verschiedenen Versorgungselemente in einen gemeinsamen Versorgungspfad führe zu einer besseren Versorgung und sei „am langen Ende“ auch wirtschaftlich. Auch Siegfried Euerle, Vertragsgebietsleiter der DAK- Gesundheit BW, brach eine Lanze für die Krankenkassen, die „Kümmerer“ im System. Für Patienten stünden Ansprechpartner bereit, die durch den Dschungel der Angebote führten. Nach Ansicht von Andreas Vogt, Leiter der TK-Landesvertretung BW, wird das Gesundheitssystem in zehn Jahren anders aussehen und digitale Angebote für Patienten bereithalten. Ausgehend von Symptomatik, Laborbefunden und Informationen, die über Video- und Chatsysteme übermittelt würden, könnten dem Patienten elektronisch Empfehlungen für die Wahl des für seine Erkrankung kompetentesten Arztes gegeben werden. Und diesen werde er auch wählen, „weil er die beste Behandlung haben möchte“. Wandel. Auch Winfried Plötze, Landesgeschäftsführer der Barmer BW, rechnet mit deutlichen Veränderungen der Versorgungslandschaft, insbesondere im ländlichen Raum. Selbst wenn der Anspruch auf freie Arztwahl bestehen bleibe, könne er wohl nicht überall eingelöst werden. Plötze plädierte für eine stärkere Vernetzung der Akteure und eine gemeinsame Anstrengung zur Bereinigung der Probleme. So sollte das Thema sektorübergreifende Versorgung offen diskutiert werden, „ohne dass wir gegenseitig versuchen, uns die Claims wegzunehmen oder die Versicherten zu instrumentalisieren“. Mit dem Sektorübergreifenden Landesausschuss sei man auf dem richtigen Weg, fand auch Detlef Piepenburg, Vorsitzender der baden-württembergischen Kranken hausgesellschaft. Es gelte, die Möglichkeiten weiterzuentwickeln: „Wir müssen alles nutzen bis hin zur Telemedizin, um ein optimales Versorgungsangebot zu stricken. Die Patienten werden es letztlich annehmen, wenn sie Vertrauen ins System haben.“ » schildhauer@meduco.de Anzeige www.zahnaerzteblatt.de ZBW 3/2017

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