8 Titelthema Das ZBW-Gespräch mit Dr. Ute Maier und Dr. Torsten Tomppert Resümee der Landtagswahl Mit einem bundesweiten Rekordergebnis von 32,6 Prozent hatten die Grünen die Landtagswahl in Baden-Württemberg gewonnen. Und während wir dieses Interview aufzeichnen, stellen Grüne und CDU die Weichen dafür, wie sich die baden-württembergische Gesundheitslandschaft in den nächsten fünf Jahren weiterentwickeln soll. Welche Richtungsentscheidungen dabei für die Zahnärzteschaft besonders wichtig sind, haben Dr. Ute Maier, Vorstandsvorsitzende der KZV BW, und Dr. Torsten Tomppert, Präsident der LZK BW, im Gespräch festgehalten. Als Winfried Kretschmann 2011 zum ersten grünen Ministerpräsidenten in Baden-Württemberg gewählt wurde, stand Stuttgart 21 im Blickfeld und man hielt seine Wahl noch für einen Unfall in der Geschichte der baden-württembergischen Landespolitik. 2016 gelang ihm die Bestätigung trotz Flüchtlingskrise, 2020 trotz Corona. Ein Mann von der Schwäbischen Alb hat die Grünen im Ländle etabliert. Hätten Sie das für möglich gehalten? Foto: Franziska Kraufmann Dr. Torsten Tomppert: Winfried Kretschmann ist nicht nur ein „Mann von der Schwäbischen Alb“, sondern war seit 1970 überall im Land tätig, auch mehrere Jahre als Lehrer am Theodor-Heuss-Gymnasium in Esslingen, meiner Heimatstadt. Natürlich habe ich ihm die Wiederwahl zugetraut, denn er füllt die Rolle des Landesvaters sehr gut aus. Dagegen war die personelle Alternative der CDU nicht überzeugend. Dr. Ute Maier: Vor 2011 hätte es vermutlich niemand für möglich gehalten, dass gerade in Baden- Württemberg die Grünen die CDU als stärkste Kraft ablösen würden. Allerdings haben die Grünen mit Winfried Kretschmann einen Menschen als Ministerpräsidenten gefunden, der mit seiner Persönlichkeit und seinem Auftreten einem Wunsch an die Landesregierung. „Unter anderem, dass sie sich auf Bundesebene für die Erhöhung des GOZ-Punktwertes einsetzt sowie für die Verteidigung der Subsidiarität und die Stärkung der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen“, so Dr. Torsten Tomppert. weit verbreiteten Bedürfnis nach einem bestimmten Politikertypus entspricht. Man könnte auch sagen: Trotz seines grünen Parteibuchs erfüllt er ideal den Erwin- Teufel-Effekt des bodenständigen Landesvaters. Man nimmt ihm das, was er sagt, ab. Mit seiner Art kommt er authentisch rüber, man hat nicht, wie bei vielen anderen das Gefühl, dass er herumlaviert. Und selbst wenn seine Entscheidungen und Aussagen manchmal unbequem sind und es bei der Umsetzung der angedachten Strategien ruckelt, kreidet man ihm das nicht an. Hierbei stellt sich natürlich auch die Frage nach den Erwartungen in Bezug auf die neue Regierung, Hatten Sie mit dieser Koalition gerechnet? Dr. Ute Maier: Ja, habe ich durchaus. Es ist sicherlich einfacher mit einem Partner, den man kennt und der aufgrund des schlechten Wahlergebnisses eher zu Zugeständnissen bereit sein muss, die Arbeit fortzusetzen als mit zwei Partnern, bei denen doch sehr unterschiedliche Auffassungen zu verschiedenen Themen bestehen. Primär muss es jetzt darum gehen, dass die Impfkampagne richtig Fahrt aufnimmt, damit wir irgendwann mal wieder von „normalen“ Umständen ausgehen können. Denn unabhängig von Corona gibt es natürlich auch andere erhebliche Baustellen für die Landespolitik: die Digitalisierung, generell die Verbesserung der Infrastruktur, insbesondere auch im ländlichen Raum, die Modernisierung der Hochschulen. Und ich hoffe sehr, dass sich die neue Landesregierung für eine Entbürokratisierung des Gesundheitswesens einsetzt, sowohl im Ländle als auch auf Bundesebene. Durch immer mehr Reglementierungen verbessert man nicht die Versorgung. Es kostet unnötig zeitliche, personelle und finanzielle Ressourcen. Dr. Torsten Tomppert: Wie große Teile der Partei der Grünen hätte auch ich eher erwartet, dass es für die neue Legislaturperiode zu einer Ampelkoalition kommen würde. „Baden-Württemberg und Grün, Grün und Baden-Württemberg – ZBW 5-6/2021 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 9 das passt gut zusammen“ sagte Kretschmann in einer ersten Reaktion am Wahlabend – wie sehen Sie das? Dr. Torsten Tomppert: Persönlich bin ich der Meinung, dass „Grün“ in Baden-Württemberg deutlich dunkler ist als im Rest des Landes, eher Tannengrün. Entsprechend ist auch die Politik der Grünen im Land wertkonservativer als sie sich im Rest der Republik darstellt. Dr. Ute Maier: Viele Elemente, die die Grünen vertreten, wie z. B. Klima- und Umweltschutz passen sehr gut zum Flächenstaat Baden-Württemberg. Die Grünen haben sich aber auch von der Protestbewegung zu einer Partei der Mitte entwickelt, was man z. B. an den inzwischen liberalen wirtschaftspolitischen Forderungen sehen kann. Und wer hätte gedacht, dass ausgerechnet eine grüne Landesregierung gegen Fahrverbote vorgehen würde. Eine feste Bindung an Parteien wie früher, scheint es bei vielen Menschen aber auch nicht mehr zu geben. Heute macht sich vieles an Personen fest, weswegen sich Mehrheiten bei einem Personalwechsel auch leichter verschieben können. Insofern passt Ministerpräsident Kretschmann offensichtlich gut zu Baden-Württemberg. Die Grünen haben nun schon in zwei unterschiedlichen Koalitionen regiert. Welches Bündnis hat Ihrer Ansicht nach mehr erreicht: Grün-Rot oder Grün-Schwarz? Dr. Ute Maier: Angesichts der Ausnahmesituation der Pandemie sind diese zwei Legislaturperioden nur schwer zu vergleichen. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob eine Regierung in stabilen Zeiten mit einer guten Wirtschaftslage und positiven Haushaltszahlen wirklich agieren kann, oder ob wie jetzt alle Konzentration darauf gerichtet ist, auf eine beispiellose Krise weltweiten Ausmaßes zu reagieren. Im Übrigen hat das grünschwarze Bündnis ja auch nicht in jedem Punkt mit der Vorgängerregierung gebrochen: Ich halte es zum Beispiel für sehr sinnvoll, dass die kommunalen Gesundheitskonferenzen unter beiden Regierungen ausgebaut und weiterentwickelt wurden. Denn das ist genau der richtige Weg: Versorgung vor Ort steuern und alle Akteure einbinden. Sozialministerin für einen Tag. „Ich würde unter anderem eine Bundesratsinitiative starten, dass die Zahnärzt*innen als Freier Beruf und mit dem Grundsatz der Therapiefreiheit in Zukunft ohne Begrenzung der Ausgabenvolumina behandeln können“, so Dr. Ute Maier. Dr. Torsten Tomppert: In meiner Funktion als Präsident der Landeszahnärztekammer habe ich nur die grün-schwarze Koalition erlebt und kann deshalb auch nur diese beurteilen. Ich habe in den vergangenen Jahren besonders die offene Gesprächskultur schätzen gelernt. Das führt vor allem mit den Politikerinnen und Politikern der Grünen zu konstruktiven Gesprächen auf Augenhöhe. Das Gesundheitssystem ist eine politische Dauerbaustelle – und es steht vor großen Herausforderungen. Zentrale Fragen sind die Finanzierung des hohen Niveaus des Gesundheitswesens, die flächendeckende ärztliche Versorgung der Menschen, auch in den ländlichen Gebieten, der Fachkräftemangel und nicht zuletzt die Ausgestaltung und Sicherung der Pflege angesichts des demografischen Wandels. Welche konkreten Zielsetzungen zur Gesundheits- und Pflegepolitik in Baden-Württemberg wünschen Sie sich von der neuen Regierung? Foto: Benedikt Schweizer Dr. Ute Maier: Vielleicht sollten wir nochmal das Positionspapier der KZV BW zur Landtagswahl ins Staatsministerium schicken (lacht). Aber im Ernst: Sie haben die Stichworte genannt. Es muss darum gehen, dauerhaft eine gute und wohnortnahe medizinische Versorgung zu gewährleisten, und zwar im engen Dialog mit der Selbstverwaltung und der kommunalen Ebene und ohne ständige Gängelung durch Verwaltungskram. Der Beruf Ärzt*in/Zahnärzt*in muss wieder attraktiver werden. Dazu gehört, dass die Rahmenbedingungen so sein müssen, dass eine Niederlassung ein erstrebenswertes Ziel und kein Schreckensszenario ist. Ganz wichtig ist sicher auch eine Stärkung der Pflegestrukturen und der Assistenzberufe. Viele Pflegekräfte und Assistenzberufe sind längst am Limit, die Pandemie hat die Situation noch angespannter gemacht. Dr. Torsten Tomppert: Bei so vielen Fragen auf einmal erlauben Sie mir, in mehreren Anläufen zu antworten. Erstens: Das deutsche Gesundheitssystem hat in der Krise seine Stärken gezeigt – auch unter Beteiligung unserer Berufsgruppe. Aber die Gestaltung der Finanzierung obliegt der Bundespolitik – ich möchte mich lieber auf die Themen der Zahnärzteschaft im Land beschränken. www.zahnaerzteblatt.de ZBW 5-6/2021
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