34 Fortbildung Spezielle Aspekte bei Patient*innen mit antikoagulativer Therapie Wichtiges für den Praxisalltag Direkte orale Antikoagulantien sind gerinnungshemmende und antithrombotische Wirkstoffe, deren Effekt auf der direkten Hemmung der Blutgerinnungsfaktoren beruht. Mehr als zwei Millionen Menschen nehmen hierzulande täglich direkte orale Antikoagulantien ein und die Vielzahl an Medikamenten, die im Einsatz ist, bleibt im Praxisalltag nicht immer überschaubar. Dieser Artikel soll einen kurzen Überblick über die Behandlung von Patient*innen mit antikoagulativer Therapie bieten. Jede Zahnärztin und jeder Zahnarzt kennt das Problem: Ein kleiner geplanter Eingriff wird aufgrund von Blutungen zu einem echten Zeitfresser. Meist sind es diffuse Blutungen, zum Beispiel nach Zahnextraktionen oder aus kleinen Weichgewebsverletzungen, die einem das Leben schwer machen, selten nur sind es größere Blutungen aus angeschnittenen oder verletzten Gefäßen. Und sie wollen einfach nicht sistieren. In manchen Fällen liegt es z. B. nach Zahnextraktionen an verbliebenem Granulationsgewebe in der Alveole. In seltenen Fällen liegen diese Blutungen an angeborenen Störungen des Gerinnungssystems, aber in den allermeisten Fällen liegt es an einer medikamentösen gerinnungsbeeinflussenden Therapie, die der Patient oder die Patientin erhält. Insbesondere der alternde Patient sollte bezüglich seiner Medikamenteneinnahme immer äußerst gewissenhaft befragt werden. Finden sich in der Anamnese des Patienten oder der Patientin z. B. ein Schlaganfall, eine Embolie, ein Herzinfarkt oder eine kürzlich zurückliegen- de Operation, sollte an eine antikoagulative Therapie gedacht werden. Ist die Medikamentenanamnese – aus welchen Gründen auch immer – unergiebig, gibt es noch den Medikamentenplan. Seit Oktober 2016 sind Hausärzt*innen dazu verpflichtet, jedem Patienten mit mindestens drei dauerhaft eingenommenen Medikamenten einen solchen Plan zu erstellen 6 . Dieser Medikationsplan stellt eine zusätzliche Sicherheit als Ergänzung zu einer gründlichen Anamnese dar. Antikoagulantien. Im Kreis der antikoagulativen Medikamente gibt es mittlerweile eine ganze Reihe an möglichen Wirkstoffen. Die klassischen Vertreter sind Phenprocoumon (Marcumar ® ) und ASS (Aspirin ® ). Während es sich bei Ersterem um ein plasmatisches Antikoagulanz handelt, so ist ASS ein Thrombozytenaggregationshemmer. Der Unterschied ist im klinischen Alltag nicht so groß wie der pharmakologische – das Resultat ist eine verlängerte Blutung sowie ein erhöhtes (Nach-)Blutungsrisiko. In den letzten Jahren gab es durch neue Medikamente Medikamenteneinnahme. 2018 wurden in Deutschland 752 Millionen defined daily doses (DDD) an direkten oralen Antikoagulantien verschrieben. Teilt man dies durch 365 Tage im Jahr, so nehmen täglich etwas mehr als zwei Millionen Menschen direkte orale Antikoagulantien ein. ZBW 5-6/2021 www.zahnaerzteblatt.de
Fortbildung 35 viele Veränderungen und eine erhöhte Diversität der antikoagulativen Therapie. Vor allem das klassische Phenprocoumon (Marcumar ® ) zur „Blutverdünnung“ nach tiefer Beinvenenthrombose, Vorhofflimmern oder Lungenembolie wird heute in vielen Therapieregimen durch direkte orale Antikoagulantien (DOAKs) ersetzt. Zu diesen gehören beispielsweise Dabigatran (Pradaxa ® ), Apixaban (Eliquis ® ), Edoxaban (Lixiana ® ) und Rivaroxaban (Xarelto ® ). Der Anteil an Patient*innen mit direkten oralen Antikoagulantien (DOAKs) stieg aufgrund der einfacheren Einnahme der Wirksub stanzen ohne regelmässige Plasmaspiegelkontrollen und einem niedrigeren Nebenwirkungsrisiko für die Patient*innen enorm an. Im Jahre 2018 wurden in ganz Deutschland 752 Millionen defined daily doses (DDD) an direkten oralen Antikoagulantien verschrieben. Dies entspricht rechnerisch etwas mehr als zwei Millionen Menschen, die täglich direkte orale Antikoagulantien einnehmen. Im Alltag begegnen uns zudem noch Heparine wie beispielsweise Clexane ® , Fragmin ® oder MonoEmbolex ® , die häufig für die kurzfristige Thromboseprophylaxe eingesetzt werden. Weitere sehr häufig anzutreffende antikoagulative Medikamente sind Vertreter der Thrombozytenaggregationshemmer wie beispielsweise Clopidogrel (Plavix ® ), Ticagrelor (Brilique ® ) oder Prasugrel (Efient ® ). Es wird schnell klar, dass eine Vielzahl an Medikamenten im Einsatz ist und diese im Praxisalltag nicht immer überschaubar bleiben. Blutgerinnung. Die Blutgerinnung ist ein komplexes System, das hier nur in Grundzügen besprochen werden soll. Wir teilen hierfür die Gerinnung in zwei Systeme ein: die primäre, zelluläre Hämostase und die sekundäre, plasmatische Hämostase. In der primären Hämostase stehen besonders die Thrombozyten im Vordergrund (> zellulär). Infolge einer Gefäßverletzung werden zunächst die Thrombozyten aktiviert. Dies geschieht über den von-Willebrand-Faktor, der an die innerste Schicht (Intima) der Gefäßwände angelagert ist. An diesen Faktor können sich Thrombozyten über einen spezifischen Rezeptor, den Glycoprotein-Ib-V-IX-Komplex, anlagern. In der Folge binden die Thrombozyten über Integrin an freiliegende Kollagenfasern. Durch diese Anlagerung ändern die Thrombozyten ihre Form und setzen Thromboxan-A2 (TXA2) frei. Dieses TXA2 wird von den Thrombozyten aus Arachidonsäure über einen enzymatisch katalysierten Prozess gebildet. Das dafür notwendige Enzym, die Cyclooxygenase, kann durch ASS irreversibel gehemmt werden. Das Resultat dieses ersten Teils der Blutgerinnung ist der sogenannte weiße Thrombus. Clopidogrel, Prasugrel und Ticagrelor hemmen die Entstehung des weißen Thrombus ebenfalls, jedoch über eine (indirekte) Blockade von Glycoprotein-Ankern mit ähnlichem Resultat der Gerinnungshemmung. Im Falle einer Doppelmedikation – beispielsweise Clopidogrel und ASS – ist die Möglichkeit von Thrombozyten im Bereich von Gewebeverletzungen zu aggregieren und einen Thrombus zu bilden, deutlich reduziert. Die sekundäre Hämostase beschreibt die plasmatische Blutgerinnung und läuft über eine extrinsische und eine intrinsische Kaskade ab. Beide Kaskaden münden in einem gemeinsamen Endweg, der über den aktivierten Faktor Xa abläuft. Dieser aktivierte Faktor Xa aktiviert seinerseits Faktor II (Prothrombin) zu Faktor IIa (Thrombin), wodurch Fibrinogen zu Fibrin umgewandelt wird und schlussendlich unter Einschluss von zellulären Blutbestandteilen der Abbildungen: Dr. Schappacher Tagesablauf. Exemplarischer Tagesablauf einer Zahnextraktion bei einem antikoagulierten Patienten. www.zahnaerzteblatt.de ZBW 5-6/2021
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