16 Berufspolitik Kammer Konversation „Eine FFP2-Maske bei Zahnärzten schützt nicht besser“ Mit der neuen Europäischen Medizinprodukteverordnung (EU-MDR), der Aktualisierung des DAHZ-Hygieneleitfadens und der aktualisierten S1-Leitlinie „Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern“ der DGZMK standen bereits drei aktuelle Themen auf der Gesprächsagenda der Kammer Konversation. Dr. Norbert Struß und Marco Wagner sprachen mit Prof. Dr. Lutz Jatzwauk, dem neuen Referenten der Landeszahnärztekammer für Praxishygiene. Ein weiteres brandaktuelles Gesprächsthema bescherte das Robert Koch-Institut (RKI) der Runde mit seiner aktuellen Empfehlung zur Kontaktpersonen-Nachverfolgung bei SARS-CoV-2-Infektionen und zum Umgang mit geimpften Personen. Ab dem 26.05.2021 ist die neue Europäische Medizinprodukte- Verordnung (MDR) verbindlich umzusetzen. Sie ersetzt die bisherige EU-MDD (Richtlinie 93/42/ EWG). Die Verordnung regelt den Umgang mit und den Einsatz von Medizinprodukten und richtet sich in erster Linie an die Hersteller von Medizinprodukten. Daneben gibt es auch einige erweiterte Regelungen für Zahnarztpraxen, gerade für die Hersteller von Sonderanfertigungen im praxiseigenen zahntechnischen Labor. Dr. Struß: Was sehen Sie auf uns zukommen? Prof. Jatzwauk: Die EU-MDR ist gemacht worden, um die Sicherheit im Umgang mit Medizinprodukten zu verbessern. Die entscheidenden Fragen sind: Wann wird man Hersteller? Darf man ein Medizinprodukt zum einmaligen Gebrauch aufbereiten? Ist man auch Hersteller, wenn man Medizinprodukte für andere aufbereitet? Welche Laborarbeit ist eine Sonderanfertigung? Wenn alle diese juristischen Fragen geklärt sind, denke ich, kann ich bei der Umsetzung helfen. Eines weiß ich aber schon jetzt sicher: Die EU-MDR wird die Kosten für im Handel befindliche Medizinprodukte erhöhen. Am Ende werden wir das bezahlen – und die Patienten über ihre Krankenversicherung. Dr. Struß: Auch für mich stellt sich die Frage, ob man als Hersteller gilt, wenn man aufbereitet? Prof. Jatzwauk: Im Prinzip ist die Aufbereitung von Einwegprodukten in Europa verboten. Aber nach der EU-MDR sind nationale Alleingänge möglich und die wird es in Deutschland in diesem Bereich auch geben, da bin ich mir sicher. Dann sind die Kammern gefragt, insbesondere die BZÄK. Dr. Struß: Ich denke, das zahnärztliche Implantat ist nicht das Problem, weil es steril geliefert wird. Schwieriger wird es beim Zahnersatz, wenn das Abutment aufbereitet wird. Prof. Jatzwauk: Das muss ein Jurist entscheiden. Ich sehe es als Sonderanfertigung für den einen Patienten. Und Sonderanfertigungen fallen nicht unter den Begriff des Herstellers nach der EU-MDR. Marco Wagner: Ich sehe CAD-CAMgefertigte Verfahren an einem seriell hergestellten Block für einen individuellen Patienten auch nach der EU-MDR als Sonderanfertigung an. Wünschenswert an dieser Stelle wäre eine eindeutige rechtliche Positionierung der bekannten Verfahrensanbieter. Der DAHZ-Hygieneleitfaden ist ein Nachschlagewerk zu allen wesentlichen Fragen der Hygiene in der Zahnarztpraxis. Kürzlich hat der Deutsche Arbeitskreis für Hygiene in der Zahnmedizin (DAHZ) die 14. Auflage des Hygieneleitfadens herausgebracht. Dr. Struß: Welche wesentlichen Änderungen finden sich in der aktuellen Auflage gegenüber der vorherigen? Prof. Jatzwauk: Die Neuerungen betreffen vor allem die Prävention von COVID-19. Wir wollen den Praxen eine Handreichung geben: Wie gehen wir mit Verdachtspatienten und Patienten, die nachgewiesen infiziert sind, um? Welche Schutzmaßnahmen benötigt das Behandlungsteam in diesen Fällen und in der Routine? Das Kapitel „Aufbereitung von Medizinprodukten“ wird Mitte des Jahres komplett überarbeitet sein. Derzeit arbeitet die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH), die Mitherausgeber des DAHZ-Hygieneleitfadens ist, noch intensiv an diesem Kapitel. Dr. Struß: Es gibt Stimmen, die die Mitarbeit der DGKH kontrovers sehen? Prof. Jatzwauk: Darüber bin ich mir bewusst. Ich bin Gründungsmitglied der DGKH und arbeite gegenwärtig im Vorstand. Es ist eine wissenschaftliche Fachgesell- ZBW 5-6/2021 www.zahnaerzteblatt.de
Berufspolitik 17 schaft und wir wollten ausdrücklich wissenschaftliche Expertise in den DAHZ-Hygieneleitfaden mit hineinbringen. Der DAHZ ist keine wissenschaftliche Fachgesellschaft. Wir wären glücklich, wenn sich weitere zahnmedizinische Fachgesellschaften am DAHZ-Hygieneleitfaden beteiligen würden. Je breiter wir aufgestellt sind, desto höher ist die Akzeptanz in der Öffentlichkeit und bei den Behörden. Dr. Struß: Wir interpretieren die Äußerungen des RKI dahingehend, dass der DAHZ-Hygieneleitfaden die Nachfolge der RKI-Empfehlung „Zahnheilkunde“ (2006) antreten könnte. Können Sie sich das auch vorstellen? Prof. Jatzwauk: Das Aussetzen der KRINKO-Empfehlung hat die Rolle des DAHZ gestärkt. Aber die RKI-Empfehlung „Zahnheilkunde“ (2006) existiert weiterhin, sie ist nicht falsch, sondern für „ungültig“ erklärt worden. Man sollte sich jetzt nur Gedanken machen, ob es aktuellere Empfehlungen gibt, die zur gleichen Thematik bessere Aussagen treffen. Für den Praktiker wird es in jedem Fall nicht einfacher, bisher konnte er in die RKI-Empfehlung schauen und war auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Das ist nun nicht mehr der Fall. Jetzt muss er schauen, was sagt der DAHZ, was sagen Leitlinien der AWMF oder internationale Leitlinien. Hier sehen wir die Aufgabe des DAHZ in den nächsten Jahren: Im Vorfeld relevante wissenschaftliche Ausarbeitungen zu durchforsten und im DAHZ-Hygieneleitfaden den aktuellen Stand der Wissenschaft zusammenzuführen. Dr. Struß: Das erachte ich als großes Plus beim DAHZ, da sind hauptsächlich Praktiker am Werk und die Arbeit ist wenig theoretisch aufgehängt. Die S1-Leitlinie „Umgang mit zahnmedizinischen Patienten bei Belastung mit Aerosol-übertragbaren Erregern“ der DGZMK ist im März 2021 aktualisiert worden. Die neue aktualisierte Leitlinie ist jetzt ein Jahr gültig. Prof. Jatzwauk gehört zum Autorenteam für die Erstellung der Leitlinie. Dr. Struß: Was können Sie uns über die aktualisierte Leitlinie sagen? Prof. Jatzwauk: Die Leitlinie soll eine „Living Guideline“ sein und ich denke, die jetzt veröffentlichte Version wird kein Jahr halten. Der Wissensstand bei COVID-19 entwickelt sich derart schnell, dass wir früher aktualisieren müssen. Auch die politischen Gegebenheiten zwingen uns zu zeitnahen Aktualisierungen. Prof. Dr. Lutz Jatzwauk In der aktuellen Leitlinie wird empfohlen, für die zahnärztliche Behandlung von Patienten, für die kein Verdacht besteht, mit SARS- CoV-2 infiziert zu sein, einen medizinischen MNS anzulegen. Die Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) hat am 11. Februar ihren „SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandard für ärztliche und zahnärztliche Praxen“ geändert: „Bei unmittelbarem, engem Kontakt mit einem Abstand unter 1,5 Meter zu Patientinnen oder Patienten ist eine FFP2-Maske oder eine gleichwertige Atemschutzmaske – ohne Ausatemventil – zu tragen“. Am 7. April hat das Robert Koch- Institut (RKI) seine Empfehlung zur Kontaktpersonen-Nachverfolgung Foto: privat bei SARS-CoV-2-Infektionen aktualisiert. Prof. Jatzwauk: Viele Zahnärzte tragen FFP2-Masken, damit sie von ihren Gesundheitsämtern nicht in Quarantäne geschickt werden. Das Paradoxe ist, wenn der gleiche Zahnarzt zu Hause am Tisch mit einer Person sitzt, die keinen MNS trägt, dann geht er in Quarantäne – auch wenn er eine FFP2-Maske trägt. Die Verfahren sind nicht ganz logisch. Die Pflicht zum Tragen einer FFP2-Maske bei der Behandlung eines keinen Mundschutz tragenden Patienten ist Arbeitsschutz und gemacht worden, um die Arbeitsfähigkeit der Gesundheitseinrichtungen zu gewährleisten. Marco Wagner: Ich frage mich, warum die BGW nach einem Jahr Pandemie mit ihrem Arbeitsschutzstandard herauskommt und zum Tragen von FFP2-Masken verpflichtet – gerade auch im Wissen um die Qualität der 2020 auf dem Markt befindlichen Atemschutzmasken. Die Frage nach der Qualität und den korrekten Papieren der in 2020 verfügbaren Atemschutzmasken prägte jeden Einkauf. Ich denke, der Großteil unserer Zahnärzte und ihre Mitarbeiter haben in der Pandemiehochphase in 2020 mit einem guten Typ II R MNS gearbeitet, begleitet von einem umfangreichen Bündel an Schutzmaßnahmen und die Zahlen belegen kein erhöhtes Infektionsaufkommen in den Zahnarztpraxen – im Vergleich zu anderen Gesundheitsbranchen. Prof. Jatzwauk: In der Zahnmedizin gibt es weit weniger Berufserkrankungen an COVID-19 als in anderen Gesundheitsberufen. Wir haben in der Leitliniengruppe immer empfohlen, einen chirurgischen MNS zu tragen, als Teil eines Maßnahmenbündels, weil man erstens diese über einen längeren Zeitraum enganliegend tragen kann und zweitens in der Zahnmedizin immer die Möglichkeit besteht, hochvolumig abzusaugen. Wer eine Absaugung nutzt, saugt 300 www.zahnaerzteblatt.de ZBW 5-6/2021
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