Aufrufe
vor 2 Jahren

Prophylaxe für jedes Lebensalter

Ausgabe 10/2021

44 Fortbildung

44 Fortbildung KFO-Fortbildung beim Forum Rottweil Progenie gestern – heute – morgen Foto: Dr. Schugg Als Pionierin der Zahnmedizin ist aus baden-württembergischer Sicht Prof. Dr. Dorothea Dausch-Neumann (1921-2013) bedeutsam. 1968 wurde sie auf den ersten Lehrstuhl für Kieferorthopädie in der Bundesrepublik berufen: im Ländle, in Tübingen. In den berühmt-berüchtigten Umbruchjahren war dies eine außerordentliche Leistung. Pionierin. Im Rahmen der KFO-Fortbildung des Forum Rottweil wurde an den 100. Geburtstag von Prof. Dr. Dorothea Dausch-Neumann erinnert. das Thema von Dr. Albert Breunig, Memmingen, der das ganze Spektrum der verschiedenen Klasse- III-Anomalien in Diagnostik und Therapie darstellte. Auch wenn gerade bei den progenen Anomalien Kompromisse und auch Misserfolge, aufgrund von funktionellen und insbesondere genetischen Einflussfaktoren, zu verzeichnen sind: Die Fülle an ausgezeichneten Behandlungsergebnissen, die Dr. Breunig präsentierte, machte dem Fachpublikum Mut. Gerade bei Progenie-Fällen ist Mut auch gefordert, durch fachzahnärztlich richtige Diagnostik und adäquate Geräteauswahl eine effiziente Behandlungsstrategie zu verwirklichen. Und auch die stets schwere Entscheidung zu treffen, wann und wie lange kieferorthopädisch behandelt und wann eine OP durchgeführt wird. Nach dem Zahnmedizinstudium in Leipzig wurde Dorothea Dausch- Neumann bereits mit 22 Jahren bei Prof. Erwin Reichenbach Assistentin in der Prothetik und Kieferorthopädie. Sie folgte ihm an die Zahnklinik nach Halle und baute dort die KFO-Abteilung auf und aus. Nach ihrer Habilitation (1953) wechselte sie nach Bonn zu Prof. Gustav Korkhaus, einem der ganz Großen der Kieferorthopädie der damaligen Zeit. 1962 nahm sie den Ruf an die Universitätszahnklinik Tübingen an und wurde 1968 zur 1. Lehrstuhlinhaberin für Kieferorthopädie in der BRD berufen. Welch eine Leistung für eine Frau zur damaligen Zeit. Im Gegensatz zu heute war der Anteil weiblicher Studierender in der Zahnmedizin gering. Ausbilderin. Bis zu ihrer Emeritierung 1990 unterrichtete sie unzählige Studierende im Fach Kieferorthopädie und gab mit Strenge und inhaltlicher Stringenz allen eine gute und solide KFO-Grundausbildung für die Allgemeinpraxis mit. Viele Weiterbildungsassistent*innen haben sie als wissenschaftlich fundierte und engagierte Ausbilderin erlebt und so die Grundlagen für die eigene Praxistätigkeit geschaffen. Die Frühbehandlung von schweren Kieferanomalien wie z. B. der Progenie lag ihr sehr am Herzen. Bereits mit Prof. Korkhaus hatte sie Ende der 50er- Jahre wissenschaftliche Arbeiten dazu veröffentlicht. Das rechtzeitige Erkennen und das frühzeitige therapeutische Eingreifen, besonders bei Anomalien des progenen Formenkreises war eines ihrer großen Themen. Am 11. März dieses Jahres hätte „D-N“ oder „Frau Professor“, wie sie respektvoll von Studierenden und Assistent*innen genannt wurde, ihren 100. Geburtstag gehabt. Anlass für Dr. Schugg, in seiner Fortbildungsreihe Forum Rottweil mit einer thematisch passenden Fortbildung dies zu würdigen und an eine bedeutende Hochschullehrerin in Baden-Württemberg zu erinnern. Progenie. Die Klasse-III-Behandlung im klinischen Alltag war Neue Möglichkeiten. Prof. Dr. Christopher Lux, Universität Heidelberg, gab unter dem Titel „KFO goes future“ einen Ausblick auf neue therapeutische Möglichkeiten bei der Klasse-III-Behandlung. Er zeigte eindrucksvolle neue Technologien bei der Anfertigung hochindividueller Apparaturen (mittels Laser-Schmelzverfahren). Die Einbeziehung von traditionellen und bewährten Methoden wie der Behandlung mit dem Funktionsregler (nach Fränkel) sowie die progressive Erweiterung des (Be-) Handlungsspielraums mit diesen individualisierten und für den Patienten komfortablen Apparaturen biete eine bessere Perspektive. Die gesamte Progenie-Thematik bleibt weiterhin schwierig, aber es gibt kleine Fortschritte. Somit war nicht nur die Freude über die gelungene Präsenzfortbildung in der „Pulverfabrik“ in Rottweil, sondern auch über die praxisnahe Darstellung beider Referenten für alle Teilnehmer*innen ein Gewinn. Dr. Reinhard Schugg ZBW 10/2021 www.zahnaerzteblatt.de

Praxis 45 Urteil des Bundeverwaltungsgerichts zu Fixretainern Linke Tasche, rechte Tasche Die seit Inkrafttreten der GOZ 2012 zwischen Zahnärzten und Kostenerstattern schwelende und mit zahlreichen Urteilen begleitete Auseinandersetzung zur Kostenerstattung der Fixretainer fand mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 5.3.2021 ihr Ende – noch steht offen, ob eine Entscheidung des BGH gesucht wird. Das Bundesverwaltungsgericht befand, dass es sich bei der Eingliederung des festsitzenden Retainers zwar nicht um einen methodisch notwendigen Bestandteil, aber um eine besondere Ausführung der GOZ-Nummern 6030 bis 6080 (Kernpositionen) handele. Der fachkundige Zahnarzt kann darüber nur den Kopf schütteln, denn die Richter verwechseln die in den Kernpositionen beschriebene Behandlungsleistung „Retention“ mit dem Behandlungsgerät. Aber das ändert nichts, die gesonderte Berechnung des Fixretainers ist obsolet geworden. Reichweite des Urteils. Allerdings nicht ganz, denn die Beschränkung gilt nur innerhalb des Vier-Jahreszeitraums der Kernpositionen. Außerdem wird nicht jede KFO-Behandlung mit Kernpositionen berechnet. Dazu zählen natürlich die Behandlungen von gesetzlich versicherten Patienten. Außerdem Privatpatienten, bei denen lediglich ein Fixretainer repariert oder erneuert wird. Schließlich können bei einer KFO-Behandlung anstelle der Kernpositionen die GOZ- Nummern 6190 bis 6260 und 6090 angesetzt werden, bei denen die Beschränkung ebenfalls nicht gilt. Umgang mit dem Urteil. Und auch beim Ansatz von Kernpositionen gibt es Auswege: Gilt die medizinische Notwendigkeit zum Eingliedern eines Fixretainers, so fordert das Urteil geradezu auf, die Kosten in die Kernpositionen einzurechnen. Die Kosten wandern sozusagen von der linken in die rechte Tasche, indem sie nicht mehr gesondert als Behandlungsgerät berechnet werden, sondern in gleicher Höhe Fixretainer. Das neue Urteil des Bundesverwaltungsgerichts bedeutet für die Praxen viel Aufklärungsarbeit. kostensteigernd den Kernpositionen zugeschlagen werden. Die Steigerungsfaktoren der Kernpositionen steigen dadurch meist zwangsläufig über 3,5, weshalb die Kosten nach § 2 Abs. 1 und 2 GOZ mit dem Patienten zu vereinbaren sind. Dennoch, nach den leidvollen Erfahrungen mit der mangelnden Stabilität ihrer eigenen Zahnstellung, sind die Eltern der jungen Patienten ebenso wie erwachsene Patienten inzwischen nur noch ausnahmsweise bereit, am Ende der aktiven Behandlung auf Fixretainer zu verzichten. Praktische Hinweise. Während für neue Heil- und Kostenpläne die Anhebung der Steigerungsfaktoren alternativlos ist, stellt sich bei bereits laufenden Fällen die Frage nach dem Umgang mit dem Urteil. Gemäß § 5 GOZ ist der Steigerungsfaktor einer Leistung unter Berücksichtigung der Schwierigkeit und des Zeitaufwandes bei der Ausführung zu bemessen. Zeigt sich am Ende der aktiven Behandlung, dass ein Fixretainer erforderlich wird, ist dieser beim Bemessen des Faktors zu berücksichtigen. Sind bereits Teilzahlungen auf die Kernpositionen geleistet worden, sind diese auf die neu berechnete höhere Summe anzurechnen. Bei längeren Behandlungen, die über die vierjährige Laufzeit der in Ansatz genommenen Kernpositionen hinaus andauern, kann ggf. auf den erneuten Ansatz von Kernpositionen verzichtet und stattdessen auf die GOZ-Nummern 6190 ff. bzw. 6090 ausgewichen werden. Dann können Fixretainer wie bisher gesondert berechnet werden. Foto: AsobeStock/Dirk Fazit. Die Konsequenz aus dem Urteil bedeutet für die Praxen viel Aufklärungsarbeit gegenüber dem Patienten und ein Umdenken der Abrechnungsphilosophie. Für den Patienten wird eine KFO-Behandlung in Zukunft dadurch (linke Tasche/rechte Tasche) insgesamt nicht teurer, aber wegen der höheren Steigerungsfaktoren für die Kernpositionen könnte die Erstattungshöhe durch die Kostenerstatter geringer ausfallen. Das Unbehagen über den Spruch der Verwaltungsrichter dürfte bei PKV und Beihilfe gleichermaßen für Katerstimmung sorgen, denn ihr erstrittenes Urteil im Verein mit ihren selbst auferlegten Erstattungsobergrenzen wirft für alle sichtbar ein Schlaglicht darauf, wie dysfunktional diese Gebührenordnung nach 33 Jahren ohne Anpassung an den wissenschaftlichen Fortschritt für die Kostenerstattung von kieferorthopädischen Behandlungen geworden ist: Der werbewirksame Begriff „Vollversicherung“ wird nun noch mehr ausgehöhlt! Autorenteam des GOZ-Ausschusses der LZK BW www.zahnaerzteblatt.de ZBW 10/2021

Ausgaben des Zannärzteblatt BW

© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz