22 Titelthema Zahnärztin Dr. Katharina Brase-Mitsch versorgt pflegebedürftige Menschen „Essenziell für die Patientinnen und Patienten im Heim“ Sie ist Zahnärztin und sie versorgt pflegebedürftige Menschen: Für Dr. Brase-Mitsch aus Konstanz ist die persönliche Versorgung der Heimbewohner*innen in Pflegeheimen enorm wichtig. Wenn es Probleme mit den Zähnen gibt, wenn man nicht mehr richtig essen kann, sei das sehr essenziell für die Patient*innen. Als Zahnärztin hilft sie den Menschen im Heim. Dieses Engagement sei für sie „ganz alltäglich“, sagt sie im ZBW-Interview. ZBW: Frau Dr. Brase-Mitsch, als Zahnärztin gehen Sie in Pflegeheime, um pflegebedürftige Menschen zu versorgen. Wie entwickelte sich dieses Engagement? Dr. Brase-Mitsch: Das ergab sich durch meine Tätigkeit an der Züricher Klinik für Altersund Behindertenzahnheilkunde. Die Versorgung von pflegebedürftigen Menschen ist da alltäglich, da gibt es eine eigene Abteilung am Uniklinikum. Erste Berührungspunkte hatte ich mit der Thematik durch meinen Vater, der Patientinnen und Patienten in Heimen betreut hatte. Meine Mutter war ehrenamtlich in der Altenhilfe Konstanz tätig. Und so richtig fing es mit einem Pflegemobil an: Wir sind mit mehreren Studenten, Helfern und Zahntechnikern in die Heime gegangen – das kann man mit einer Einzelpraxis natürlich nicht realisieren. Die Heime haben das Angebot sehr gerne angenommen und daraufhin gesagt: „Du musst das machen!“ Mein Kollege und Bruder ist später auch mit eingestiegen und so hat sich das Engagement bis heute ausgeweitet. Wie viele Patient*innen betreuen Sie in den Heimen? Wie oft kommen Sie vorbei? Wir gehen regelmäßig in die Heime. Wir haben einen speziellen Hausbesuche. Dr. Brase-Mitsch: „Unser Angebot in den Heimen wird positiv wahrgenommen“. Tag, an dem wir auf Abruf bereit sind. Da ist der Nachmittag für Hausbesuche geblockt. Aber wenn es mal brennt, kann es auch sein, dass man in der Mittagspause oder auch am Abend zu den Patienten fährt. Je regelmäßiger wir die Behandlungen in den Häusern anbieten, desto unwahrscheinlicher sind diese Notfälle. An Zahnschmerzen ist aber noch niemand verstorben. Es ist aber so: Wenn es irgendwo drückt oder ein Zahn abgebrochen ist, dann ist das für die Heimbewohnerinnen und -bewohner essenziell, weil sie beispielsweise nicht mehr richtig essen können. Wir betreuen aktuell sechs Pflegeheime mit Kooperationsverträgen. Die Anzahl der Patientinnen und Patienten schwankt. Grundsätzlich ist jede und jeder in der Zahnarztwahl frei, er muss nicht von uns behandelt werden, wenn er das nicht möchte. Häufig ist das aber nicht so einfach, wenn Patientinnen und Patienten aufgrund von Bettlägerigkeit nicht mehr mobil sind. Der Transport, sprich weg aus der gewohnten Umgebung, ist für manche ein Stressfaktor. Unser Angebot hierzu wird sehr positiv wahrgenommen. Was erleben Sie als Zahnärztin im Pflegealltag? Sind das „ganz normale“ Versorgungen ähnlich der Praxis? Sind das komplizierte und komplexe Fälle? Das ist ganz unterschiedlich. Es gibt mittlerweile immer mehr Heimbewohnerinnen und -bewohner, die mit einem Implantat versorgt sind. Das ist für die Pflege meistens komplizierter. Ein alltägliches Problem im Heim ist die Mundhygiene, bei mindestens jedem Zweiten. Weitere Themen sind die akute Versorgung, weil eine Entzündung vorliegt, oder einfache Reparaturen. Wichtig ist, dass die Pflegekraft im Anschluss an unsere Behandlung oder Reparatur weiß, wie sie mit dem Fall umgeht. Ist das Equipment bei Praxis und Pflegeheim identisch oder muss man zum Beispiel im Heim eher Abstriche machen? Das fängt schon beim Behandlungsstuhl an: In der Praxis ist der Stuhl mit all seinen Absaugeinheiten fest installiert. Für die Behand- ZBW 10/2021 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 23 lung im Heim habe ich eine mobile Einheit, die ursprünglich für das Militär entwickelt wurde. Da haben wir fast alles, was wir brauchen. Damit kann ich Füllungen und Zahnreinigungen vornehmen und eine Prothese ordentlich bedienen – aber keine chirurgischen Eingriffe. Bei kaputten Zähnen braucht man ein Röntgenbild. Das ist etwas, was wir im Heim nicht realisieren können. Mobile Röntgengeräte sind selten und das haben wir nicht. Dafür werden die Patienten in der Praxis versorgt. Haben Sie den Eindruck, dass zukünftig wesentlich mehr vulnerable Patient*innen vor Ort versorgt werden müssen? Ja, das glaube ich schon. Wir haben zum Beispiel auch Anfragen bekommen, zu Privatpersonen nach Hause zu kommen. Das ist für uns aber wirtschaftlich und zeitlich nicht machbar. Auch was die „Logistik“ angeht, ist der Vorteil im Pflegeheim der, dass es dort einen Raum gibt und die Hygiene gegeben ist. Was muss die Zahnärzteschaft in dem Bereich tun, was die Gesundheitspolitik? Wie erreicht man, dass die Mundgesundheit im Alter noch mehr verbessert wird? Es gibt bereits Ansätze: Zahnsteinentfernung bei pflegebedürftigen Menschen kann zweimal im Jahr erfolgen. Das ist ein guter Weg. Vielleicht kann man das ausweiten, denn vielfach hängt es doch davon ab: Kann sich der Patient noch selbständig um seine Mundhygiene kümmern? Oder ist er dement und ergo muss die Zahnpflege von anderen durchgeführt werden? Das macht einen großen Unterschied. An dieser Stelle ist zu betonen, dass im Pflegealltag die Arbeitskraft und auch die Zeit fehlen, um sich darum zu kümmern. Natürlich stehen da andere Dinge wie die Wundversorgung oder die Assistenz beim Stuhlgang im Vordergrund. Die Zähne sind dann nicht der Schwerpunkt. Aber der Mangel an Pflegekräften ist da sicherlich ein großes Problem. Es ist letztlich eine Frage von Priorität und der Zeit. Die Zahl der Kooperationsverträge ist in Baden-Württemberg trotz der Coronapandemie gestiegen: von 657 in 2020 auf 766 im September 2021. Meinen Sie, dass man vor Ort mit weiteren Steigerungen rechnen kann, also mit weiteren Kooperationspartner*innen? Dr. Brase-Mitsch Das ist bestimmt von Stadt zu Stadt sehr unterschiedlich. Das hängt von der Anzahl der Heime ab, die alle einen Kooperationspartner finden sollten, damit sie einen Ansprechpartner haben. Aber nicht alle Zahnärztinnen und Zahnärzte sind bereit, einen Kooperationsvertrag einzugehen. Das Thema Rufbereitschaft ist für viele ein „Angstthema“. Was würden Sie sich in Sachen Pflegeengagement in zehn Jahren wünschen? Was muss für Pflegebedürftige hinsichtlich der Zahnmedizin erreicht werden? Es wäre schon sehr hilfreich, wenn die Bürokratie nicht so aufgebläht wäre. Wenn ich zu mehreren Patientinnen und Patienten gehe, dann gibt es einen, der ist in meinem Abrechnungsprogramm schon geführt, einer ist neu und muss noch in das System eingepflegt werden. Und es wird unterschieden zwischen gesetzlich und privat Versicherten. Die Liste könnte ich hier Fotos: B. Schweizer endlos fortführen. Was ich sagen will ist: Im Fokus sollten der Patient und die Behandlung stehen und nicht deren Verwaltung. Das raubt unglaublich viel Zeit und schreckt Kollegen ab, Kooperationsverträge einzugehen. Zudem muss das Modell finanziell attraktiver ausgestaltet werden. Das Gespräch führten Alexander Messmer und Guido Reiter Kooperationsverträge www.zahnaerzteblatt.de ZBW 10/2021
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