40 Titelthema Barmer Zahnreport 2017 mit Schwerpunktthema Parodontitis „Spät“ heißt nicht selten „zu spät“ Angesichts alarmierender Zahlen zur Prävalenz der Parodontopathien, ist es erstaunlich, dass der Präventionsgedanke nicht längst breiteren Eingang ins öffentliche Bewusstsein und konkret in den GKV-Leistungskatalog gefunden hat. Zeit ist hier ein kritischer Faktor: Wie der Barmer Zahnreport 2017 nahelegt, der sich in diesem Jahr dem Schwerpunktthema Parodontitis widmet, kann die zahnärztliche Intervention das Risiko für Zahnverlust senken, allerdings nur bei rechtzeitigem Eingreifen. Der Barmer Zahnreport 2017 bestätigt, was Zahnmediziner täglich in der Praxis sehen und bereits in der fünften deutschen Mundgesundheitsstudie thematisiert wurde: Die Prävalenz der Parodontitis in der Bevölkerung ist sehr hoch. Die Hälfte aller jungen Erwachsenen (35 bis 44 Jahre) leidet an der Zahnbetterkrankung. Unter den Senioren (65 bis 74 Jahre) sind es sogar zwei Drittel. Wie die Zahnreport-Autoren in ihrem Resümee erläutern, verringert die Inanspruchnahme zahnärztlicher Kontrolluntersuchungen erwartungsgemäß das Risiko des Zahnverlusts durch Parodontitis. Eine frühe Intervention sowie die regelmäßige Nachsorge nach einem therapeutischen Diagnostik. Inanspruchnahmerate für parodontologische diagnostische Leistungen nach Alter und Geschlecht im Jahr 2015. Therapie. Inanspruchnahmerate für parodontologische therapeutische Leistungen nach Alter und Geschlecht im Jahr 2015. Eingriff scheinen sich positiv auf die Prognose auszuwirken. Versäumnisse. Aber auch umgekehrt gilt: Bemerkt der Patient die schmerzlose Erkrankung nicht, nimmt sie nicht ernst und begibt sich nicht rechtzeitig in Behandlung, kann auch der Zahnarzt den Zahnerhalt nicht garantieren. Und das scheint nicht selten der Fall zu sein: Nach der Parodontitistherapie gehen bei etwa einem Drittel der Erkrankten und damit bei bundesweit 440.000 Personen innerhalb von vier Jahren Zähne verloren. „Die Parodontitistherapie scheint für viele Patienten spät oder zu spät zu kommen“, konstatiert Prof. Dr. Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. „Dabei ist sie eigentlich hilfreich. Wir können den Betroffenen daher nur dringend raten, frühzeitig zum Zahnarzt zu gehen und dessen Therapie- Empfehlungen auch konsequent umzusetzen.“ Wer nicht jährlich zur Kontrolluntersuchung erscheine, verdopple sein Risiko, im zeitlichen Umfeld der Parodontitistherapie Zähne zu verlieren. Wichtig sei eine regelmäßige Nachsorge, da der am Zahnhalteapparat Erkrankte auch nach der Behandlung ein Risikopatient bleibe. Bei einem Teil der Patienten ist diese Einsicht offensichtlich nicht vorhanden: Im Jahr 2015 sprachen laut Zahnreport im Durchschnitt nur 71,7 Prozent aller Versicherten mindestens einmal im Jahr beim Zahnarzt vor. Ein Drittel aller Männer und ein Viertel aller Frauen mieden die Praxis und nahmen die von den Krankenkassen finanzierten Leistungen – die halbjährlichen allgemeinen Vorsorgeuntersuchungen und die jährliche Zahnsteinentfernung – nicht in Anspruch. Die Hälfte der erwachsenen Versicherten (34 Millionen Personen) verzichten auf die Erhebung des Parodontalen Screening Index, der alle zwei Jahre bezahlt wird. ZBW 7/2017 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 41 Motivationsarbeit. Dr. Ute Maier, Vorstandsvorsitzende der KZV BW, sieht das Desinteresse mit Sorge: „Wir Zahnärzte können nur fordern und jedem empfehlen, die Vorsorgeuntersuchung beim Zahnarzt wahrzunehmen. Ob der Patient aber die Praxis aufsucht oder nicht, ist allein seine Entscheidung.“ Wünschenswert sei vor diesem Hintergrund, in der Öffentlichkeit ein stärkeres Bewusstsein für das Problem der Parodontalerkrankungen zu schaffen. Durch die anfängliche Schmerzlosigkeit der Zahnbetterkrankungen werde der Zeitpunkt für eine sinnvolle Behandlung oft verpasst. Die Vorstandsvorsitzende plädierte in diesem Zusammenhang für eine verstärkte Zusammenarbeit mit den Krankenkassen: „Wir sitzen hier in einem Boot. Durch gezielte Aufklärung müssen wir den Patienten klar machen, dass Untätigkeit letztlich Zahnverlust zur Folge haben kann.“ Allerdings müsse auch die Politik das ihrige dazu tun und für neue Leistungen entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen incl. eines erweiterten Finanzierungsrahmens schaffen. Neuausrichtung. Auch aus Sicht der KZBV besteht Handlungsbedarf. Anlässlich der Veröffentlichung des Zahnreports fordert Vorstandsvorsitzender Dr. Wolfgang Eßer Politik und Kostenträger auf, „die Zahnärzteschaft beim präventionsorientierten Turnaround in der Parodontitistherapie zu unterstützen, der bei der Karies-Bekämpfung ja schon gelungen ist“. Die „Defizite des GKV-Leistungskatalogs auf Siebziger-Jahre-Niveau“ sind für Eßer offensichtlich: „Der Leistungskatalog ist mit Blick auf Prävention und Nachsorge unvollständig, veraltet und entspricht längst nicht mehr dem Stand der Wissenschaft. Wesentliche Bausteine einer präventionsbasierten Versorgungsstrecke fehlen. Hierzu zählen die Möglichkeiten des Zahnarztes zur individuellen Aufklärung, Motivation und Remotivation der Patienten, regelmäßige Verlaufskontrollen im Sinne einer qualitätsgesicherten Evaluation sowie ein strukturiertes Zahnverluste. Erhöhte Zahnverlustraten im direkten zeitlichen Umfeld („Rückstau“). Zahnverlustrate auch nach Therapie erhöht. Kontrolluntersuchungen. Patienten mit regelmäßigen Kontrollen haben weniger Zahnverluste. Nachsorgeprogramm im Sinne der Unterstützenden Parodontitistherapie.“ Der KZBV-Chef kündigte ein umfassendes Versorgungskonzept zur Parodontitistherapie unter Federführung der KZBV an. „Dann wird sich zeigen, ob die Kassen darin enthaltene, substanzielle Versorgungsverbesserungen mittragen oder aus Kostengründen blockieren.“ Missverhältnis. Die Realisierung eines „umfassenden Versorgungskonzepts“ wäre zweifellos sinnvoll. Denn trotz der hohen Parodontitis-Prävalenz in der Bevölkerung haben laut Zahnreport weniger als zwei Prozent der Versicherten, und zwar 1,2 Millionen Frauen und Männer, im Jahr 2015 eine Therapie durchlaufen. „Auch wenn natürlich nicht jeder Betroffene jedes Jahr eine Therapie benötigt, gibt es doch eine deutliche Diskrepanz zwischen den an Parodontitis-Erkrankten und den Behandelten, erläutert Studienautor Prof. Dr. Michael Walter, Direktor der Dresdener Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus. Dies sei umso bedenklicher, als der Therapieerfolg immer unsicherer werde, je weiter die Erkrankung vorangeschritten ist. Unerklärt bleiben im Zahnreport die deutlichen regionalen Unterschiede, was die Behandlung der Parodontopathien betrifft. Während zum Beispiel im Saarland 0,9 Prozent der Versicherten eine Therapie erhielten, waren es in Baden-Württemberg 1,7 Prozent. In Bayern liegt die Behandlungsrate bei 1,9 Prozent; in Nordrhein- Westfalen ist sie am höchsten mit 2,1 Prozent. Grafiken: Barmer Zahnreport 2017 www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2017
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