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Parodontologie – zurück in die Zukunft

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Ausgabe 7/2017

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38 Titelthema Foto: Lukas Gojda/Fotolia Sekundäre Pflanzenstoffe. Diese Stoffe sind für den Organismus nicht essentiell, haben aber vermutlich starke Einflüsse auf Stoffwechselprozesse und Immunfaktoren. Sie sind vor allem in Gemüsen, Obst, Hülsenfrüchten, Samen und Vollkorngetreide zu finden. (EPA) und Docosahexaensäure (DHA), vor allem aus maritimen Quellen stammen (Seefisch, Algen). Allerdings ist der menschliche Organismus in der Lage, die vor allem aus pflanzlichen Quellen stammende α-Linolensäure auch in begrenztem Maße in EPA und DHA umzuwandeln. Im Bereich der Parodontologie konnte gezeigt werden, dass Omega-3-Fettsäuren in der Lage sind, parodontale und gingivale Entzündungen zu reduzieren (Chee et al., 2016; Woelber et al., 2016). Vor dem Hintergrund der Zunahme entzündungsassoziierter Erkrankungen ist es interessant, dass das Verhältnis von Omega-3- zu Omega-6-Fettsäuren sich in der Ernährung von 1:1 in Zeiten von Jägern und Sammlern zu 1:16 in den modernen westlichen Industrienationen verändert hat (Simopoulos, 2006). Proteine bestehen aus Aminosäuren und befinden sich in allen menschlichen Zellen. Sie sind entzündungstechnisch gesehen als eher neutral zu bewerten (van Woudenbergh et al., 2013). Allerdings hängt ihre Wertigkeit von der Zusammensetzung der enthaltenen Aminosäuren ab und ihr inflammatorisches Potenzial von der Art der Herkunft (z. B. tierische Proteine aus Massentierhaltung, biologische Tierhaltung, Proteine pflanzlicher Natur). Dabei scheinen pflanzenbasierte Proteine vorteilhaft bei Diabetes mellitus Typ II und Nierenerkrankungen (Chen et al., 2017; Moorthi et al., 2017). Bezüglich parodontaler Entzündungen und Proteinkonsum lassen sich nur wenige Studien finden. Staufenbiel et al. (2013) untersuchten den parodontalen Zustand von 100 Vegetariern im Vergleich zu 100 Nicht-Vegetariern, wobei die Gruppe der Vegetarier signifikant weniger parodontale Entzündungen und Läsionen aufwies. Allerdings wiesen die Autoren darauf hin, dass die untersuchten Vegetarier auch ein höheres Bildungsniveau, einen allgemein gesünderen Lebensstil und weniger Zahnbelag aufwiesen. Mikronährstoffe. Neben den beschriebenen Makronährstoffen wird klassischerweise der Einfluss von Mikronährstoffen auf die parodontale Entzündung beschrieben (Van der Velden et al., 2011). In einer der ersten klinischen Studien konnte der englische Flottillenarzt James Lind nachweisen, dass die Gabe von Vitamin-C-haltigen Früchten die Vitamin-C- Mangelerkrankung Skorbut heilen konnte, welche mit einem massiven Abbau des zahntragenden Knochens einhergeht (Bartholomew, 2002). Assoziationsstudien zeigten verminderte Vitamin-C-Werte im Serum von Parodontitispatienten im Vergleich zu parodontal gesunden Patienten und ein häufigeres Vorkommen von Parodontitis bei geringerer Vitamin-C-Aufnahme mit der Nahrung (Amaliya et al., 2007; Lee et al., 2017). Es gibt nur wenige Interventionsstudien, die eine geringere parodontale Entzündung bei gezielter Vitamin-C-Gabe per Fruchtform zeigen konnten (Staudte et al., 2005; Woelber et al., 2016). Dem entgegengesetzt konnten in einer Untersuchung, bei der Parodontitispatienten täglich 2 Gramm Vitamin C in Reinform erhielten, keine Vorteile einer Vitamin-C- Supplementation gesehen werden (Abou Sulaiman & Shehadeh, 2010). Dabei muss beachtet werden, dass die Gabe synthetisierter Vitamine unter Umständen nicht die Wirkung wie im natürlichen Wirkverbund (Frucht- oder Gemüseform) erzielt (Carr & Vissers, 2013). Neben Vitamin C lassen sich aber für viele weitere Vitamine positive Einflüsse auf gingivale und parodontale Entzündungen zeigen: für Vitamin A, E, D sowie für verschiedene Vitamine des Vitamin- B-Komplexes (Dodington et al., 2015; Neiva et al., 2005; Van der Velden et al., 2011; Zong et al., 2016). Auch im Bereich der Spurenelemente und Mineralien, zeigen Assoziationsstudien vor allem Einflüsse von Stoffen wie Calcium und Magnesium (Varela-López et al., 2016). ZBW 7/2017 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 39 Präbiotika und sekundäre Pflanzenstoffe. Neben den Makro- und Mikronährstoffen existieren allerdings auch Nahrungsstoffe, die physiologischerweise nicht unbedingt benötigt werden, aber Einfluss auf mikrobielle und immunologische Bedingungen ausüben. Dazu zählen die Präbiotika (als Vorstufen der Probiotika) und die sekundären Pflanzenstoffe. Unter Präbiotika werden Stoffe verstanden, die gesundheitsförderlichen Bakterien, den sogenannten Probiotika, als Nahrung dienen. Präbiotika sind vor allem in Form von komplexen Kohlenhydraten und Ballaststoffen in der Nahrung vorhanden. Sie werden nicht direkt durch den Organismus aufgenommen, sondern durch das intestinale Mikrobiom verstoffwechselt. Den Stoffwechselprodukten wiederum werden verschiedene gesundheitsförderliche Wirkungen zugeschrieben, z. B. in der Appetitregulierung, Immunförderung, Entzündungshemmung und Senkung von Blutfetten (wie Cholesterin oder LDL) (Merchant et al., 2006; Sleeth et al., 2010). Während für den entzündungshemmenden Einfluss von Probiotika auf gingivale Entzündungen gute Nachweise existieren (Gruner et al., 2016), ist dies nach Kenntnisstand des Autors nicht für Präbiotika vorhanden. Allerdings zeigen Querschnittsstudien eine Assoziation zwischen einem hohen Ballaststoffkonsum und geringeren Prävalenzen an Parodontitis (Merchant et al., 2006). Ob die Ballaststoffe hierbei primär auf die Parodontitis wirken oder sekundär über allgemeingesundheitsförderliche Effekte (z. B. Gewichtsabnahme, Senkung der Blutfette) lässt sich wahrscheinlich schwer differenzieren. Unter sekundären Pflanzenstoffen werden Stoffe verstanden, die für den Organismus nicht essenziell sind, aber vermutlich starke Einflüsse auf Stoffwechselprozesse und Immunfaktoren haben. Sie sind vor allem in Gemüsen, Obst, Hülsenfrüchten, Samen und Vollkorngetreiden zu finden. Zu ihnen zählen unter anderem die sogenannten Flavonoide, Carotinoide, Phytoöstrogene, Glucosinolate, Phyto sterole. Ihre Wirkung ist vielfältig, zumeist antioxidativ und entzündungshemmend. Im Bereich der sekundären Pflanzenstoffe und Parodontologie existieren nur wenige spezifische Studien (Feghali et al., 2012; Noh et al., 2016). Allerdings geht der Konsum dieser Stoffe automatisch mit Früchten und Gemüsen einher, welche wiederum in Studien mit geringeren parodontalen Entzündungen assoziiert waren (Dodington et al., 2015). Zusätzlich zu den angesprochenen Nahrungsmittelinhaltsstoffen gibt es auch weitere mit der Nahrung einhergehende Stoffe, wie zum Beispiel Nitrate. Neben den gesundheitsgefährdenden Aspekten einer zu nitratreichen, allerdings pflanzenarmen Ernährung, scheinen Nitrate, wenn sie in Zusammenhang mit Pflanzen konsumiert werden, eher gesundheitsförderliche, insbesondere blutdrucksenkende und antientzündliche Eigenschaften mit sich zu bringen (Bartsch & Frank, 1996; Liu et al., 2009). In Bezug auf die Mundgesundheit konnte eine kontrolliert randomisierte Studie an der Universität Würzburg zeigen, dass der tägliche Konsum von 300 ml nitratreichen Salatsmoothies signifikant gingivale Entzündungen senken konnte (Jockel-Schneider et al., 2016). Lebensmittel können aber auch einen lokalen und antibakteriellen Effekt auf oralpathogene Keime ausüben. Diese antibakteriellen Stoffe sind unter anderem in Tee, (ungezuckertem) Kakao, Kaffee, Wein, Ingwer, Knoblauch, Curry, Koriander, Zimt oder Oregano zu finden. Zu den notwendigen Dosierungen sei an eine Übersichtsarbeit von Karygianni et al. (2015) verwiesen. Basierend auf den Überlegungen zu den antientzündlichen Effekten der Lebensmittel, wurde eine Studie an der Universität Freiburg durchgeführt, in der randomisiert kontrolliert Probanden mit Gingivitis und einer westlichen industriellen Ernährungsweise einer Ernährungsumstellung zugeführt wurden. Die Ernährungsumstellung bestand dabei aus einer Ernährung, die arm an prozessierten, einfachen, hochglykämischen Kohlenhydraten und reich an Omega-3-Fettsäuren, Vitaminen und Ballaststoffen war. Obwohl die Probanden keine Änderung der Mundhygiene maßnahmen und keine Interdentalraumreinigung vollzogen, sanken nach vier Wochen die entzündlichen Parameter der Experimentalgruppe (Gingivaindex, Bluten auf Sondieren, parodontale Gesamtentzündung) um mehr als 50 Prozent des Ausgangswertes (Woelber et al. 2016). Es kann zusammengefasst werden, dass Nahrungsmittel sehr wahrscheinlich einen Einfluss auf die gingivale und parodontale Entzündung haben und zwar im klinisch relevanten Maße. Der Wirkmechanismus scheint dabei sowohl lokal als auch über systemische Wege (immunologisch, inflammatorisch) zu laufen. Eine mögliche optimale Ernährungsformel könnte dabei aus einer pflanzenbasierten, niederglykämischen, antioxidantien-, ballaststoff- und Omega-3-Fettsäurereichen Nahrung bestehen. Diese Formel scheint dabei sowohl mit Vorteilen für die Mundgesundheit als auch für die Allgemeingesundheit (geringeres Risiko an Herzkreislauferkrankungen, Diabetes Typ II, entzündlichen Darmerkrankungen, Übergewicht und geringerer Gesamtsterblichkeit) einherzugehen (Fung et al., 2010). Das Literaturverzeichnis finden Sie unter www. zahnaerzteblatt.de oder kann beim IZZ bestellt werden unter Tel: 0711/222966-14, Fax: 0711/222966-21 oder E-Mail: info@zahnaerzteblatt.de. Dr. Johan Wölber Dr. Johan Wölber Klinik für Zahnerhaltungskunde & Parodontologie Universitätsklinikum Freiburg, Medizinische Fakultät Albert-Ludwigs-Universität Freiburg www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2017

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