36 Titelthema Mikrobiologische und systemisch-immunologische Faktoren Ernährung und Parodontitis Das zunehmend bessere Verständnis der einer Gingivitis und Parodontitis zugrunde liegenden Pathomechanismen hat dazu geführt, dass neben der Mikrobiologie immer stärker immunologische Faktoren ins Blickfeld geraten. Die Erkenntnis, dass parodontalpathogene Keime auch bei Gesunden ohne Krankheitswert vorkommen und dass Plaque nicht zwangsläufig mit einer verstärkten Entzündungsantwort verbunden ist, hat viele Studien im Bereich der sogenannten Wirtsmodulation (engl. „host modulation“) angeregt. Sie befassen sich mit der für die Mundgesundheit förderlichen Mikroflora ebenso wie mit immunmodulatorischen Wechselwirkungen. Der Beitrag zeigt einen Überblick über die Studienlage. Die Wirtsmodulation hat zum Ziel, die entzündlichen Prozesse im Wirtsorganismus zu reduzieren, so dass im Sinne der ökologischen Plaquehypothese auch weniger günstige Verhältnisse für parodontalpathogene Keime vorherrschen (Bhatavadekar & Williams, 2009; Marsh & Devine, 2011; Williams, 2008). Klassische parodontale Risikofaktoren sind neben den genetischen Faktoren unter anderem das Rauchen, Diabetes Typ II, Übergewicht, Metabolische Syndrom und die Ernährung (Genco & Borgnakke, 2013). Ernährung ist dabei ein Faktor, der sowohl lokal mikrobiologisch als auch systemisch-immunologisch auf die Zusammensetzung des Biofilms und die Entzündungsreaktion des Körpers Einfluss nehmen kann. In einer Meilensteinstudie konnten Baumgartner et al. (2009) zeigen, dass eine veränderte Ernährungssituation die klassische enge Korrelation von Plaque und gingivaler Entzündung (wie sie 1965 bei der experimentellen Gingivitis gezeigt wurde) aufheben kann. In dem Experiment untersuchten Forscher der Universität Bern zehn Probanden, die sich vier Wochen lang unter Steinzeitbedingungen aufhielten und dementsprechend keine Mundhygienemaßnahmen vollzogen. Obwohl die Probanden zum Ende der Untersuchung mehr Plaque zeigten, sank das Bluten auf Sondieren um ca. die Hälfte des Ausgangswertes. Die Autoren führten die Entzündungsreduktion auf den Wegfall der prozessierten einfachen Kohlenhydrate zurück. Im Bereich der Ernährungswissenschaften wurde der Zusammenhang zwischen Entzündungsprozessen und Ernährungskomponenten immer besser untersucht, da eine Vielzahl von modernen Zivilisationserkrankungen, wie Diabetes Typ II, Herzkreislauferkrankungen und bestimmte Krebsarten vermutlich aufgrund von chronisch erhöhten Entzündungsprozessen entstehen (Barbaresko et al., 2013; Galland, 2010). Bezüglich des Einflusses von Ernährung auf Entzündungsprozesse lassen sich sowohl für die Makronährstoffe, zu welchen Kohlenhydrate, Fette und Proteine zählen, als auch für die Mikronährstoffe (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente, sekundäre Pflanzenstoffe etc.) unterschiedliche Mechanismen ausmachen. Diese einzelnen Bereiche sollen im Generellen und im Speziellen bezüglich des Einflusses auf Parodontitis beleuchtet werden. Kohlenhydrate. Sie gehören neben den Fetten zu den wichtigsten Energielieferanten des Organismus. Prinzipiell können bei den Kohlenhydraten zwei wichtige Erscheinungsformen unterschieden werden: die Abb. 1a Proteine bestehen aus Aminosäuren und befinden sich in allen menschlichen Zellen. Sie sind entzündungstechnisch gesehen als eher neutral zu bewerten. Foto: baibaz/Fotolia Fette. Im Bereich der Parodontologie konnte gezeigt werden, dass Omega-3-Fettsäuren in der Lage sind, parodontale und gingivale Entzündungen zu reduzieren. Foto: Heike Rau/Fotolia ZBW 7/2017 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 37 Kohlenhydrate. Hochglykämische Kohlenhydrate (z. B. Zucker) wirken entzündungsfördernd, komplexe eher entzündungssenkend. Foto: peangdao/Foolia Vitamin C. Auch Mikronährstoffe wie z. B. Vitamin C haben einen positiven Einfluss auf die parodontale Entzündung. Foto: GreenArt/Foolia einfachen, prozessierten, hochglykämischen Kohlenhydrate, welche oft nur wenig oder keine Ballaststoffe aufweisen und die komplexen, niedrigglykämischen Kohlenhydrate, welche zumeist mit viel Ballaststoffen einhergehen. Einer der metabolisch wichtigsten Effekte ist dabei der Einfluss auf den Blutzuckerspiegel. Hochglykämische Kohlenhydrate (wie sie in Zucker, Säften, Weißmehlen oder Süßigkeiten vorkommen) lassen den Blutzuckerspiegel stark ansteigen und fordern eine starke Ausschüttung von Insulin. Niedrigglykämische Kohlenhydrate (wie sie in Obst, Gemüse, Hülsenfrüchten oder Nüssen vorkommen) lassen den Blutzuckerspiegel weniger stark ansteigen. Eine regelmäßige Hyperglykämie mit anschließender Insulinforderung scheint dabei Konsequenzen für den Fettstoffwechsel, das Hungergefühl, das Stressempfinden, Wachstumshormone und die Gesamtkalorienbilanz auszumachen. So konnten Studien zeigen, dass Hyperglykämie zu mehr Hungerempfinden führt (Knudsen et al. 2014) und dass Insulin die Fettverbrennung für mehrere Stunden hemmt (Chakrabarti et al., 2013) sowie Wachstumshormone aktiviert und zu mehr Stressempfinden führt (Bosma-den Boer et al., 2012). Eine chronische Zufuhr von hochglykämischen Kohlenhydraten wird somit in Zusammenhang mit diversen Allgemeinerkrankungen gebracht wie unter anderem Diabetes mellitus Typ II (Basu et al., 2013). Der enge Zusammenhang zwischen Diabetes und Parodontitis ist schon seit vielen Jahrzehnten bekannt (Glickman, 1947). Dass aber auch der Konsum von hochglykämischen Kohlenhydraten alleine für sich schon gingivale und parodontale Entzündungen fördern kann, war erst in den letzten Jahren wieder verstärkt Gegenstand der Forschung (Baumgartner et al., 2009; Hujoel, 2009; Lula et al., 2014; Woelber et al., 2016). Im Gegensatz dazu scheint eine Ernährung reich an komplexen Kohlenhydraten und Ballaststoffen mit geringen Prävalenzen von gingivalen und parodontalen Entzündungen einherzugehen (Jenzsch et al., 2009; Merchant et al., 2006; Woelber et al., 2016). Abgesehen von den oralen Wirkungen scheint eine ballaststoffreiche, vegetabile und niederglykämische Ernährung mit geringeren Prävalenzen von Diabetes Typ II, koronaren Herzerkrankungen, entzündlichen Darmerkrankungen, Übergewicht und einer geringeren Gesamtsterblichkeit einherzugehen (Fung et al., 2010). Fette dienen sowohl als Energielieferanten als auch als Ausgangssubstanzen für diverse Stoffwechselprodukte, Zellbestandteile, Hormone und Zytokine. Dabei wird ein Großteil der raffinierten, prozessierten Fette mit einer erhöhten Gesamtkörperentzündung in Verbindung gebracht. Dazu gehören vor allem die gesättigten Fettsäuren, Omega-6-Fettsäuren und Transfette (van Woudenbergh et al., 2013). Diese kommen vor allem in tierischen Produkten (Fleisch, Milchprodukte, Eier) wie auch in bestimmten pflanzlichen Fetten (z. B. Distelöl, Sonnenblumenöl, Traubenkernöl oder Margarine) vor. Transfette entstehen vor allem beim übermäßigen Erhitzen von Fetten beim Braten, Frittieren oder Backen von fetthaltigen Backwaren (Fernández-San Juan, 2009). Neben der gesamtkörperlichen Entzündungsreaktion konnte für diese Fettarten auch ein entzündungsförderlicher Einfluss auf das Parodont gezeigt werden (Iwasaki et al., 2011). Demgegenüber haben die sogenannten Omega-3-Fettsäuren einen antiinflammatorischen bzw. entzündungsauflösenden Charakter, der in den letzten Jahren intensiv beforscht wurde. Entgegen der bisherigen Annahme, dass die Entzündungsreaktion nur durch die Entfernung des Reizes (z. B. Bakterienelimination) beendet wird, konnte gezeigt werden, dass zur physiologischen Beendigung der Entzündungsantwort spezielle Lipidmediatoren (u. a. Resolvine) aktiv werden, welche aus Derivaten der Omega-3-Fettsäuren bestehen (Serhan et al., 2015). Omega-3-Fettsäuren kommen in hoher Dosis unter anderem in fettem Seefisch, Algen, Leinsamen, Walnüssen und Chiasamen vor. Dabei muss beachtet werden, dass die metabolisch aktiveren Derivate der Omega-3-Fettsäuren, die Eicosapentaensäure www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2017
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