34 Titelthema Diabetes mellitus. Parodontitis gilt als orale Komplikation des nicht adäquat kontrollierten Diabetes und ihre Therapie kann zur Senkung des Blutzuckerspiegels beitragen. plikation des nicht adäquat kontrollierten Diabetes mellitus 24 . Auf der anderen Seite ist ebenfalls seit Jahrzehnten bekannt, dass akute Entzündungen metabolische Veränderungen auslösen, die zu einer Entgleisung des Blutzuckerspiegels führen 30 , da durch sie die Aufnahme der Glukose in die Muskelzelle behindert wird 18 und Endotoxine und Entzündungsmediatoren die Insulinwirkung 20 hemmen. Aufgrund dieser pathogenetischen Mechanismen wurde die Hypothese aufgestellt, dass Parodontitis ein Risikofaktor für eine adäquate Blutzuckerkontrolle bei Patienten mit Diabetes mellitus darstellen würde. Zur Überprüfung dieser Hypothese wurden zahlreiche randomisierte kontrollierte klinische Studien durchgeführt, die alle die Veränderung des HbA1c nach Parodontitistherapie als Surrogatparameter zum Hauptzielkriterium hatten. Die Ergebnisse wurden in mehreren systematischen Übersichtsarbeiten zusammengetragen und in Metaanalysen zusammengefasst. Obwohl es teilweise heterogene Ergebnisse gab, kommen die systematischen Übersichtsarbeiten alle zu dem Ergebnis, dass eine erfolgreiche mechanische Parodontitistherapie mit einer 0,4-prozentigen Reduktion des HbA1c nach drei Monaten zu einer Veränderung führt, die in ihrer klinischen Wirkung in etwa einer zweiten, zusätzlichen Medikation zur Verbesserung der Blutzuckerkontrolle entspricht. Allerdings sollte man dabei bedenken, dass die Studien alle einen – wenn auch gut validierten – Surrogatparameter untersuchen und die individuelle Reaktion der einzelnen Patienten bezüglich der Veränderungen des HbA1c-Spiegels nach erfolgreicher Parodontitistherapie eine hohe Variabilität aufweist. Tervonen et al. 38 konnten zeigen, dass ein kleinerer Anteil der Patienten zur durchschnittlichen Reduktion des HbA1c-Wertes beitrug, während die Mehrzahl entweder unverändert blieb oder sogar einen leichten Anstieg des Blutzuckerspiegels nach Parodontitistherapie zeigte. Nichtsdestotrotz sollte es ein hohes Bewusstsein über diese Zusammenhänge sowohl bei Ärzten und Zahnärzten als auch bei den betroffenen Patienten geben. Abb. 1 Basierend auf der wissenschaftlichen Evidenz hat die Föderation der Europäischen Parodontologischen Fachgesellschaften (European Federation for Periodontology, EFP) die Empfehlung ausgesprochen, dass Patienten mit Foto: tunedin/Fotolia Atherosklerose. Eine erfolgreiche Parodontitstherapie reduziert erfolgreich verschiedene Surrogatparameter für den Verlauf kardiovaskulärer Erkrankungen. Diabetes mellitus engmaschig und sorgfältig parodontologisch untersucht und, falls eine Parodontitis vorliegt, zeitnah und konsequent therapiert werden sollten 6 . Kardiovaskuläre Erkrankungen. Bereits 1963 beobachteten Mackenzie und Millard 26 , dass Patienten mit Atherosklerose 62 Prozent mehr parodontalen Knochenabbau aufwiesen als gesunde Kontrollpersonen. Diese Assoziation konnte in großen Kohortenstudien verifiziert werden 3, 8 obwohl einige von ihnen kritisiert wurden, sie hätten in ihren multivariaten Analysen zum Beispiel das Rauchen nicht in der Art und Weise berücksichtigt wie dies nach aktuellem Kenntnisstand zu erfolgen habe. Berechnete man die Modelle korrekt, waren bei diesen Studien die Assoziationen nicht mehr signifikant 16, 17 . Es existiert jedoch ein pathophysiologischer Mechanismus, da eine chronische Entzündungslast zur Entstehung von Atherosklerose beiträgt und die Anwesenheit potenziell parodontalpathogener Keime in den erkrankten Gefäßwänden der Arterien in Abhängigkeit vom Schweregrad der parodontalen Erkrankung nachgewiesen werden konnte 9, 1 . Darüber hinaus konnte in mehreren Tiermodellen gezeigt werden, dass potenziell parodontalpathogene Keime auch bei oraler Gabe die Entstehung von atherosklerotischen Plaques auslösen 19, 28 und dass Porphyromonas gingivalis das Dickenwachstum der Intima media der Arterienwände bei Mäusen beschleunigt 42 . Auf dieser Basis publizierten Beck et al. 3 ein Pathogenesemodell, das davon ausgeht, dass nicht alle Patienten gleichermaßen diese Nebenwirkung chronischer Entzündungen entwickeln. Heute wissen wir, dass es eine breite Basis an genetischen Varianten gibt, die sowohl mit einem erhöhten Risiko für Parodontitis als auch für kardiovaskuläre Erkrankungen einhergehen 34, 35 , die sich in die Liste der anderen gemeinsamen Risikofaktoren einreihen, wie zum Beispiel erhöhte Blutzuckerwerte, Rauchen und psychosozialer Stress. Aufgrund dieser höheren Komplexität präsentiert sich die Interaktion zwischen Parodontitis und kardiovaskulären Erkrankungen nicht so direkt, weniger konkret und schwieriger nachzuweisen als die zwischen Parodontitis und Diabetes mellitus. Hinzu kommt, Foto: psdesign1/Fotolia ZBW 7/2017 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 35 dass aufgrund der längeren Krankheitsverläufe und der daraus resultierenden Notwendigkeit mehrjähriger Beobachtungszeiträume ethische Implikationen die Durchführung randomisierter kontrollierter klinischer Studien mit harten Endpunkten nahezu unmöglich machen. Insofern muss man auch hier auf verschiedene Surrogatparameter zurückgreifen, deren Veränderungen nach der Parodontitistherapie untersucht wurden, um eine kausale Rolle der Parodontitis bei der Entstehung von Atherosklerose zu zeigen. In diesen Studien war Parodontitis assoziiert mit einer endothelialen Dysfunktion der A. brachialis 2, 13 , die sich nach Parodontitistherapie zurückbildete 39 . In den meisten Studien wurde das C-reaktive Protein (CRP) als Surrogatparameter bestimmt und in der Zusammenschau aller dieser Ergebnisse resultierte als Folge der Parodontitistherapie eine statistisch signifikante Reduktion des CRP-Wertes. Mehrere systematische Übersichtsarbeiten kommen daher zu dem Schluss, dass eine erfolgreiche Parodontitistherapie erfolgreich verschiedene Surrogatparameter für den Verlauf kardiovaskulärer Erkrankungen reduziert 7, 29 . Dennoch kommt die EFP in ihrem Konsensusbericht zu dem Schluss, dass obwohl in-vitro- und Tierversuche die biologischen Mechanismen einer Interaktion von Parodontitis und Atherosklerose unterstützen, die derzeit vorliegenden Interventionsstudien nicht ausreichend seien, um weiterführende Schlussfolgerungen zu erlauben 40 . Sehr ähnlich wie bei Diabetes mellitus konnten Behle et al. 4 die interindividuelle Heterogenität der systemischen Reaktionen auf eine Parodontitistherapie in Hinblick auf CRP-Werte zeigen. Die Autoren betonten, dass unabhängig von einer statistisch signifikanten Reduktion der CRP-Werte Scaling und Wurzelglättung auf Patientenebene in inkonsistenten Ergebnissen resultierte, ohne dass es bislang eine Erklärung für diese Heterogenität gibt. Man kann dies als einen weiteren Hinweis darauf werten, dass Parodontitis ein Risikofaktor ist, dessen klinische Relevanz aber von dem komplexen Zusammenspiel einer großen Vielfalt anderer Faktoren mit einer Bandbreite von genetischen bis verhaltensbedingten Mustern abhängt. Aktuelle Evidenz. Neben den Erkrankungen, die oben behandelt wurden, existiert eine Vielzahl von Studien, die den Einfluss von Parodontitis auf andere Erkrankungen und Schwangerschaft untersuchen. Dazu zählen chronische Nierenerkrankungen, rezidivierende Pneumonien, chronisch obstruktive Lungenerkrankungen, Gastritis, rheumatoide Arthritis, maligne Tumorerkrankungen und Demenz. Während für die ersten beiden Studien mit harten Endpunkten existieren, die eindeutig den Vorteil einer erfolgreichen Parodontitistherapie auf den Verlauf der Erkrankung zeigen, ist die Evidenz eines solchen Zusammenhangs für die anderen Erkrankungen dieser Liste sehr gering. Der aktuelle Kenntnisstand zu diesen Erkrankungen ist in Tabelle 1 zusammengefasst. Nierenerkrankungen. Es existiert eine Vielzahl von Studien, die den Einfluss von Parodontitis auf andere Erkrankungen, u. a. chronische Nierenerkrankungen untersuchen. Fazit. Parodontitis ist eine behandelbare und durch präventive Maßnahmen in weiten Teilen verhinderbare Erkrankung. Ihre Behandlung ist daher ein wichtiges Ziel an sich und bedarf keiner weiteren Rechtfertigung. Aufgrund ihrer chronisch-entzündlichen Natur und damit verbundenen andauernden Entzündungslast für den Körper wird seit nunmehr mehr als 25 Jahren eine kausale Rolle der Parodontitis bei der Entstehung und dem Verlauf anderer chronischer Erkrankungen diskutiert. Dabei sind Assoziationen zwischen Parodontitis und diversen Erkrankungen mittlerweile unbestritten. Der endgültige Beweis einer kausalen Rolle liegt allerdings in vielen Fällen nicht vor, obwohl pathogenetische Mechanismen dies als plausibel erscheinen lassen. Der Grund hierfür ist wahrscheinlich, dass Parodontitis über eine ganze Reihe von gemeinsamen Risikofaktoren mit anderen chronischen Erkrankungen verknüpft ist, die von genetischen Prädispositionen bis hin zu geringem Gesundheitsbewusstsein und ungenügenden präventiven Verhaltensmustern reichen. Dennoch scheint Parodontitis ein Risikofaktor in der komplexen Ätiopathogenese von Diabetes mellitus, kardiovaskulären Erkrankungen, chronischen Nierenerkrankungen und Gastritis zu sein sowie – noch stärker ausgeprägt – in Hinblick auf Bakteriämien bei Patienten mit erhöhtem Endokarditisrisiko und rezidivierenden Pneumonien vor allem bei älteren und bettlägerigen Menschen. Zahnverlust, die Anzahl ersetzter Zähne und Mortalität sind miteinander assoziiert 11 . Parodontitis spielt dabei eine entscheidende Rolle. Ob eine Vermeidung von Zahnverlust durch parodontale Therapie aber lebensverlängernd wirkt, dieser Beweis wird schwer zu führen sein. Das Literaturverzeichnis finden Sie unter www. zahnaerzteblatt.de oder kann beim IZZ bestellt werden unter Tel: 0711/222966-14, Fax: 0711/222966-21 oder E-Mail: info@zahnaerzteblatt.de. Prof. Dr. Christof Dörfer Foto:ag visuell/Fotolia Prof. Dr. Christof Dörfer Direktor, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Kiel www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2017
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