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Parodontologie – zurück in die Zukunft

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Ausgabe 7/2017

10 Titelthema Abb. 3

10 Titelthema Abb. 3 Röntgenstatus bestehend aus 10 Einzelzahnaufnahmen des Patienten aus Abb. 1 und 2. Erfolg. Wie kann der Erfolg parodontaler Therapie gemessen werden? Das Ziel zahnärztlichen Handelns allgemein und parodontologischer Maßnahmen speziell ist die langfristige Erhaltung der natürlichen Zähne in einem gesunden, funktionellen, ästhetisch akzeptablen und schmerzfreien Zustand (Hirschfeld & Wasserman 1978, SSO 2000). Demnach wäre die Beurteilung von Zahnerhalt/-verlust der ultimative Parameter (Endpunkt) zur Bewertung des Erfolges zahnärztlicher und damit auch parodontaler Therapie. Das IQWiG selbst hat ohne Beauftragung in einer Präferenzanalyse herausgearbeitet, dass die Vermeidung von Zahnverlust bei der Entscheidung der Patienten für eine parodontale Therapie die bei weitem höchste Bedeutung hat und in der Priorisierung weit vor dem Kostenaspekt liegt (IQWiG 2017a). Zahnerhalt/- verlust ist demnach ein höchst patientenrelevanter Endpunkt. Zahnverluste ereignen sich zumindest bei adäquat betreuten Patienten glücklicherweise eher selten und es bedarf langer Zeiträume (z. B. zehn Jahre), um sie zu beobachten. Über solche Zeiträume kommt aber das bereits angesprochene Problem zum Tragen, dass der Erfolg antiinfektiöser Therapie nur durch entsprechende Reinfektionsprävention (UPT) langfristig aufrechterhalten werden kann. Weil Studien mit RCT-Design für solche Zeiträume praktisch nicht durchführbar sind, müssen hier auch retrospektive Kohortenstudien für die Bewertung des Nutzens, der Wirksamkeit der UPT zugelassen werden (z. B. Eickholz et al. 2008, Tsami et al. 2009, Matuliene et al. 2010, Miyamoto et al. 2010, Ng et al. 2010, Kim et al. 2014, Seirafi et al. 2014). Dieser Argumentation verschließt sich das IQWiG allerdings hartnäckig (Eickholz & Dannewitz 2017). Weil es sehr schwierig bis unmöglich ist, Zahnerhalt/- verlust in einem RCT (z. B. zum Vergleich von GMT mit bzw. ohne zusätzliche Antibiotikagabe) zu bewerten, bedient man sich sogenannter Surrogate für Abb. 1 patientenrelevante Endpunkte (Surrogatparameter). Die Variablen Sondierungstiefe (McGuire & Nunn 1996, Matuliene et al. 2008, Svärdström & Wennström 2000) und Attachmentverlust (Hujoel et al. 1999) (Abb. 1, 2) korrelieren stark mit zukünftigem Zahnverlust. Deshalb eignen sich beide Parameter als Surrogate für Zahnverlust. Die DG PARO hat in der Erörterung des vorläufigen Berichtsplanes versucht, das IQWiG davon zu überzeugen, Sondierungstiefen und Attachmentverlust als Surrogate zuzulassen. Das IQWiG vertritt allerdings den Standpunkt, dass ein valides Surrogat den patientenrelevanten Endpunkt zuverlässig prognostizieren müsse. Wenn Sondierungstiefen und Attachmentverluste valide Surrogate sind, müssten beide Zahnverlust in gleicher Weise abbilden und zum gleichen Ergebnis kommen, so dass es nur der Verwendung eines validen Surrogates bedarf. Damit hat das IQWiG theoretisch Recht, aber in der Nutzenbewertung soll klinische Realität beschrieben und abgebildet werden und die ist z. B. von Messfehlern und Variabilität behaftet. Das Surrogatextrakt als Kaffeeersatz kommt echtem Kaffee nahe, erreicht ihn aber selten. Im Übrigen orientiert sich parodontale Therapie und die Notwendigkeit für parodontale Therapie wesentlich an dem Parameter Sondierungstiefe (G-BA 2006). Wenn ein Schwellenwert für Sondierungstiefen als Kriterium für Behandlungsbedarf dient, muss die Reduktion der Sondierungstiefen unter diesen Schwellenwert Therapieziel sein. Residuale Sondierungstiefen nach abgeschlossener Therapie von Parodontopathien sind zuverlässige Prädiktoren für zukünftige Attachmentverluste (Claffey & Egelberg 1995, Kaldahl et al. 1996) und auch Zahnverlust (McGuire & Nunn 1996, Svärdstrom & Wennström 2000, Matuliene et al. 2008). Deshalb muss der Surrogatparameter Reduktion der Sondierungstiefen unbedingt zur Beurteilung von Therapieverfahren berücksichtigt werden. Interessanterweise ist es in der Parodontologie allgemein üblich und auch von der Cochrane Collaboration akzeptiert, dass in strukturierten Übersichten (SÜ) die Surrogate Sondierungstiefen und Attachmentverluste berichtet werden (z. B. Needleman et al. 2006, Herrera et al. 2008, Esposito et al. 2009, Sgolastra et al. 2012, Matesanz-Perez et al. 2013, Keestra et al. 2015a,b). ZBW 7/2017 www.zahnaerzteblatt.de

Titelthema 11 Ländervergleich. Wie gehen andere Länder bei der Nutzenbewertung parodontaler Therapie vor? Die Canadian Agency for Drugs and Technologies in Health (CADTH) hat 2016 einen Health-Technology-Assessment-Bericht mit dem Titel „Dental Scaling and Root Planing for Periodontal Health: A Review of the Clinical Effectiveness, Cost-effectiveness, and Guidelines“ veröffentlicht (CADTH 2016). Die CADTH untersucht wie der Vorbericht N15-01 des IQWiG die Fragestellung, ob GMT im Vergleich zu keiner Behandlung dem Patienten einen Vorteil verschafft. Im Gegensatz zum Vorbericht werden von der CADTH auch Studien mit einer Laufzeit von drei Monaten eingeschlossen, da bereits nach drei Monaten der maximale Therapieeffekt erreicht ist (Badersten et al. 1981, Harks et al. 2015). Der CADTH-Bericht „Dental Scaling and Root Planing for Periodontal Health: A Review of the Clinical Effectiveness, Cost-effectiveness, and Guidelines“ sollte unbedingt im Bericht 15-01 berücksichtigt werden (CADTH 2016). Symptomatische Gingivitis. Das IQWiG hat in Abschnitt 4.1.3 den Endpunkt „Blutung oder Suppuration bei Sondierung“ als patientenrelevanten Endpunkt ("symptomatische Gingivitis") gestrichen mit der Begründung, dass diese Symptome speziell durch die Durchführung der Sondierungsmaßnahmen unabhängig von der Art der Intervention im Rahmen der Diagnostik zur Erhebung eines Attachmentlevels oder der Sondierungstiefe ausgelöst werden. Das IQWiG konstatiert ferner, dass Blutung oder Suppuration bei Sondierung ohne diese diagnostischen Maßnahmen vom Patienten weder erfahren noch wahrgenommen werden. Daher handele es sich nicht um einen patientenrelevanten Endpunkt (IQWiG 2017b). Das IQWiG verkennt bei dieser Argumentation, dass das Symptom Blutung bei der Erhebung des Gingiva-Index (Löe 1967) und der meisten anderen Entzündungsindizes ebenfalls durch Provokation (Ausstreichen des Sulkus) mit einer Sonde hervorgerufen wird. Der Unterschied zwischen Gingiva-Index und Bluten auf Sondieren (BOP) ist deshalb willkürlich und nicht schlüssig begründbar. Mit dem Verzicht auf BOP als patientenrelevanten Endpunkt verliert der Bericht wertvolle Informationen und wird in seiner Aussagekraft geschwächt. Unerwünschte Ereignisse. Auf Seite 43 des Vorberichts heißt es „Zum Endpunkt unerwünschte Ereignisse (UE) wurden in den eingeschlossenen Studien keine verwertbaren Ergebnisse berichtet“ (IQWiG 2017b). Kaldahl et al. (1996) berichten Suppuration nicht auf Sondierung, sondern Berührung der Gingiva mit einem Kugelstopfer und die Frequenz parodontaler Abszesse in den vier Studienarmen während der Studie (Kaldahl et al. 1996). Diese unerwünschten Ereignisse werden aber vom Vorbericht nicht berücksichtigt. Auch die Tatsache, dass Sgolastra et al. 2012a, b eine Metaanalyse zu UE aus verschiedenen Studien zur unterstützenden Gabe von Antibiotika Abb. 4 Geschlossene mechanische Therapie. Mechanische nichtchirurgische Instrumentierung (geschlossenes Vorgehen, geschlossene mechanische Therapie: GMT) mit Schallscaler. veröffentlicht haben, bleibt völlig unerwähnt und unberücksichtigt. Therapieergänzung. Wann erfolgt überhaupt eine Therapieergänzung? Das IQWiG zieht bei nach initialer Sondierungstiefe stratifizierter Darstellung der Ergebnisse die Kategorie mit mitteltiefen Zahnfleischtaschen (in der Regel 4 bis 6 mm Taschentiefe) für die Nutzenbewertung heran (IQWiG 2017b; Seite 64). Die Berücksichtigung nur mitteltiefer Zahnfleischtaschen wird so begründet, dass davon ausgegangen wurde, dass alle Parodontitis-Patienten zumindest einige mitteltiefe Taschen aufweisen, aber nicht notwendigerweise tiefe Zahnfleischtaschen ≥ 7 mm. Ist das für den Vergleich GMT versus GMT + mWLT zielführend? Nein, weil entsprechend den gültigen Behandlungsrichtlinien des G-BA (G-BA 2006) das offene Vorgehen (z. B. mWLT) erst ab Sondierungstiefen von 5,5 mm indiziert ist. Soll also eine Nutzenbewertung erfolgen, die Implikationen für die klinische Realität in den Praxen haben kann und soll, müssen bei diesen Analysen insbesondere die Stellen mit Sondierungstiefen ≥ 7 mm berücksichtigt werden. Antibiotikabehandlung. Was fällt noch auf: z. B. Fragestellung 3a Antibiotikabehandlung. Auf Seite 8 des Vorberichts wird ausgeführt „Der Studienpool zu Fragestellung 3a (Antibiotikabehandlung) umfasste zehn Studien [64,72-80], vier davon besaßen keine verwertbaren Daten und wurden nur formal eingeschlossen [64,74,79,80]“. Diese Aussage ist schwer nachvollziehbar. Für die Gabe von systemischen Antibiotika zusätzlich zur GMT existieren mehrere SÜ: Herrera et al. 2008 schließen zwei RCTs mit zwölf Monaten Laufzeit, Sgolastra et al. 2012 ein RCT mit zwölf Monaten Laufzeit, Keestra et al. 2015a zwölf RCTs mit zwölf Monaten Laufzeit sowie Keestra et al. 2015b drei RCTs mit zwölf Monaten Laufzeit ein. Für die Gabe lokaler Antibiotika zusätzlich zu GMT erfassen Matesanz-Perez et al. 2013 in einer Metaanalyse allein sieben Studien zu lokalen Antibiotika mit mindestens zwölf Monaten Laufzeit. Die systematischen www.zahnaerzteblatt.de ZBW 7/2017

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