8 Titelthema Integration Ärztemangel: Ist Zuwanderung die Lösung? Fotos: Fotolia Immer mehr Menschen kommen nach Deutschland, aber nicht wenige kehren dem Land der Dichter und Denker auch (wieder) den Rücken. Mit 1,465 Millionen war die Zahl der hier gemeldeten Zuwanderer im Jahr 2014 besonders hoch. Nach Abzug der Abgewanderten blieb Deutschland ein Netto-„Zugewinn“ von 0,55 Millionen Einwohnern – der höchste Wanderungsüberschuss seit 1992. Dies lässt Arbeitgeber hoffen. Auch die Ärzteschaft setzt auf die Zuwanderung qualifizierter Kollegen. Könnte die Integration von Fachkräften aus dem Ausland ein Weg sein, den Ärztemangel in Deutschland zu kompensieren? Der deutsche Arbeitsmarkt leidet seit Jahren unter Fachkräftemangel. Auch auf dem Gesundheitssektor sind viele Stellen unbesetzt. Ärztliche Standespolitiker klagen unter anderem über fehlende Hausärzte, zu wenig Spezialisten und Praxisschließungen. Besonders die Kliniken haben Nachwuchsprobleme. „Deutschlandweit ist davon auszugehen, dass die Kliniken mehrere tausend Ärztinnen und Ärzte zusätzlich beschäftigen könnten“, konstatiert etwa die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit auf ihrer Website „Make it in Germany“. Die Gesamtzahl der berufstätigen Ärztinnen und Ärzte ist zwar in den letzten beiden Jahrzehnten kontinuierlich gestiegen; auch im Jahr 2014 verzeichnete die letzte Ärztestatistik der Bundesärztekammer (BÄK) einen Zuwachs von 2,2 Prozent. Nach Einschätzung von BÄK-Präsident Prof. Dr. Frank Ulrich Montgomery reicht aber das leichte Plus bei Weitem nicht aus, um die Lücken in der medizinischen Versorgung zu schließen, die sich aus einer Reihe von gesellschaftlichen Entwicklungen ergeben. Generation Y. So hat die nachrückende Ärztegeneration andere Vorstellungen von der „Work-Life- Balance“ als ältere Berufskollegen: „Wie zahlreiche Umfragen zeigen, legen diese jungen Ärzte großen Wert auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Beruf, Familie und Freizeit, auf feste Arbeitszeiten und flexible Arbeitszeitmodelle“, erklärte Montgomery. In der Folge entschieden sich immer mehr von ihnen für eine Anstellung und gegen die Niederlassung, und auch die Zahl der Teilzeitbeschäftigten habe sich in den letzten Jahren erhöht. Möglicherweise sei dies auch auf den steigenden Frauenanteil in der Berufsgruppe zurückzuführen, der sich binnen Jahresfrist um 0,5 auf 45,5 Prozent im Jahr 2014 erhöht habe. Die Situation wird dadurch verschärft, dass das Durchschnittsalter berufstätiger Ärztinnen und ZBW 4/2016 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 9 Ärzte seit Jahren ansteige. Wie die BÄK berichtete, planen 23 Prozent der Niedergelassenen laut Umfragen, ihre Praxen bis zum Jahr 2020 aufzugeben. 2,4 Prozent sind dem Ärztepool bereits im Jahr 2014 durch Ausstieg aus der kurativen Tätigkeit verlorengegangen. Indessen verursachen das gehobene Altersniveau der Patienten, eine höhere Behandlungsintensität und neue Therapiemöglichkeiten einen personellen Mehrbedarf. Demografischer Wandel. Mit dem Ansteigen des Durchschnittsalters in der Bevölkerung schrumpft naturgemäß der Anteil an Personen im erwerbsfähigen Alter, während der Personalbedarf im medizinischen Bereich wächst. Die Integration qualifizierter Fachkräfte aus dem Ausland könnte die Situation entschärfen. Mythos Ärztemangel? Seit Jahren klagen ärztliche Standesvertreter über den Ärztemangel – den es nach Einschätzung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) jedoch allenfalls in begrenzten Regionen gibt. „Nach Maßstab der heutigen Bedarfsplanung für niedergelassene Ärzte liegt insgesamt kein Mangel vor, eher das Gegenteil ist der Fall: Über alle Arztgruppen hinweg wird das Plansoll bundesweit um fast ein Drittel übertroffen. Dabei liegt der Gesamtversorgungsgrad bei sämtlichen Arztgruppen deutlich über dem Soll“, schreiben die WIdO-Autoren im „Ärzteatlas 2015“, in dem Daten zur Versorgungsdichte von Vertragsärzten aufgelistet werden. Selbst im vieldiskutierten hausärztlichen Bereich ergebe sich bundesweit ein Gesamtversorgungsgrad von 110,4 Prozent, so die Analysten. Allerdings zeigten sich gerade im hausärztlichen Bereich zum Teil enorme regionale Unterschiede: Einer Unterversorgung oder drohenden Unterversorgung in einigen Landstrichen stehe eine deutliche Überversorgung insbesondere in Ballungsgebieten und für Ärzte attraktiven Regionen gegenüber. Fazit aus Sicht des WIdO: Es gibt keinen generellen Ärztemangel, sondern ein Verteilungsproblem. Bildung. Wird sich mit der wachsenden Zuwanderung aus dem Ausland das Problem des Fachkräftemangels lösen? Mit welchen Qualifikationen kommen die Zuwanderer nach Deutschland? Das Statistische Bundesamt hat im Mikrozensus Daten zum Bildungsstand der Bevölkerung für das Jahr 2014 erhoben. Von Interesse ist in diesem Zusammenhang der Bevölkerungsanteil „mit erstmaligem Zuzug ab 2010 in die Bundesrepublik Deutschland“, also die Zuwanderer. Wie die Zahlen belegen, konnten 45 Prozent von ihnen keinen beruflichen Bildungsabschluss vorweisen. 14 Prozent von diesen befanden sich noch in schulischer oder beruflicher Ausbildung. Zum Vergleich: In der deutschen Bevölkerung fehlte der berufliche Bildungsabschluss bei 23 Prozent, wobei 9 Prozent noch schulische oder berufliche Bildungsmaßnahmen absolvierten. Außerdem besaßen unter den Zugewanderten 10 Prozent keinen allgemeinen Schulabschluss. Unter den Deutschen waren dies 2 Prozent. Allerdings hatten immerhin 64 Prozent der Zugewanderten die Realschul-, Fachhochschul- oder Hochschulreife erreicht. Die Deutschen kamen hier auf 52 Prozent. Vor diesem Hintergrund dürfte die Erwartung, dass die Zuwanderung ohne zusätzliche Maßnahmen eine schnelle und deutliche Entlastung des Arbeitsmarktes bewirkt, gedämpft werden. Und auch die weitere Analyse des Migrationsgeschehens gibt Anlass zum Nachdenken. Der eingangs erwähnte Wanderungsüberschuss von 0,55 Millionen im Jahr 2014 kommt durch mehrere Migrationsströme zustande: 1,465 Millionen Zuwanderer kamen nach Deutschland, während 0,914 Millionen Personen aus Deutschland abwanderten. Unter den Zuwanderern waren 122.000 Deutsche (Spätaussiedler sowie aus dem Ausland zurückkehrende Deutsche), während sich unter den Abwanderern 149.000 Landsleute befanden. Der entscheidende Punkt ist: Es gingen 27.000 mehr Deutsche ins Ausland als nach Deutschland einreisten. „Brain drain“. Schwer wiegt dabei, dass es vor allem junge und qualifizierte Personen sind, die es ins Ausland zieht, wie aus einer Studie hervorgeht, die im vergangenen Jahr vom Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) vorgelegt wurde. Neue Erfahrungen zu machen, war für 72 Prozent der Befragten das Hauptmotiv, Deutschland zu verlassen. 67 Prozent gaben berufliche Gründe an. Von 47 Prozent wurde in der (nicht repräsentativen) Befragung eine angestrebte Einkommensverbesserung genannt. Zu einer Rückwanderung fühlten sich die Befragten durch familiäre und partnerschaftliche Gründe veranlasst. Eine besondere Mobilität legten Deutsche mit Migrationshintergrund an den Tag, die familiäre Gründe in den Vordergrund stellten. Im Rahmen der Untersuchung („International www.zahnaerzteblatt.de ZBW 4/2016
Laden...
Laden...
Informationszentrum Zahn- und Mundgesundheit Baden-Württemberg (IZZ)
Haus: Heßbrühlstraße 7, 70565 Stuttgart
Post: Postfach 10 24 33, 70200 Stuttgart
Telefon: 0711 222 966 0
Fax: 0711 222 966 20
presse@izzbw.de
Eine Einrichtung der Kassenzahnärztlichen
Vereinigung Baden-Württemberg
& der Landeszahnärztekammer Baden-Württemberg
© by IZZ Baden-Württemberg - Impressum - Datenschutz