30 Fortbildung Fortbildungstag 2018 an der Universitätsklinik für ZMK in Tübingen Interdisziplinäre Zusammenarbeit auf allen Ebenen Etwas Besonderes hatte sich die Tübinger Universitätsklinik für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde für ihren diesjährigen Fortbildungstag ausgedacht: Zum 50-jährigen Jubiläum des Eugen-Fröhlich-Fonds hat sie zusammen mit der Vereinigung für Wissenschaftliche Zahnheilkunde Stuttgart zwei hochkarätige externe Referenten geladen und dazu die alten und neuen Lehrstuhlinhaber in den Fächern Zahnerhaltung und Kieferorthopädie ans Katheder gebeten. Daraus wurde unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Siegmar Reinert eine nicht nur lehrreiche, sondern auch vergnügliche Fortbildungsveranstaltung. Kürzungen im staatlichen Haushalt eingeschränkt“, wie Prof. Reinert in seiner Begrüßung betonte und dabei durchaus Parallelen zu heutigen Problemen sah. Zwar konnte Prof. Dr. Diana Wolff berichten, dass für die Sanierung der Zahnklinik 18 bis 20 Millionen Euro zur Verfügung stehen werden, denn die 1967/68 eröffnete Zahnklinik, die damals 20,5 Millionen DM gekostet hat, bedarf dringend einer Sanierung. Nach erfolgreicher Tagung: 1. Reihe (v. r.) Prof. Dr. Dr. Siegmar Reinert, Prof. Dr. Diana Wolff, Prof. Dr. Bernd Koos 2. Reihe (v. r.) Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Prof. Dr. Claus Löst, Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle, Prof. Dr. Dr. Gernot Göz. Das reine Vergnügen kam erst ganz zum Schluss, als Dessert sozusagen, denn Prof. Dr. Dr. Peter Proff, Ärztlicher Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie am Universitätsklinikum Regensburg, ging in seiner „Festrede“ auf das Thema „Der Zahn der Zeit in der Literatur, Kunst und Heilkunde der Antike“ ein. So kamen im Original und in Übersetzungen römische Dichter und Denker wie Cato, Seneca, Tacitus und Martial zu Wort. Auch Galen, der griechische Leibarzt von Marc Aurel, der kein Heilmittel gegen Zahnfleischschwund wusste und Aristoteles, der meinte, dass Zähne lebenslang nachwachsen, wurden zitiert. Betrachtungen zum Alter in der Antike, in der die durchschnittliche Lebenserwartung 22 bis 25 Jahre betrug und ein Mann mit 60 längst im Greisenalter war, rundeten den Vortrag ab. Fonds und Fortbildung. Zuvor aber war fachliche Fortbildung auf der Tagesordnung, die ein hochkarätiges Publikum interessiert verfolgte – ganz im Sinne des Eugen-Fröhlich-Fonds. Benannt nach dem Direktor des damaligen Zahnärztlichen Instituts in Tübingen, wurde der Fonds ins Leben gerufen, um den Klinikbau finanziell zu unterstützen. Im Gegenzug wurde den spendenfreudigen Zahnärzten kostenlose Fortbildung geboten. Lehre und Forschung waren damals „durch Fotos: D. Kallenberg Blick zurück. In die Vergangenheit blickte auch Prof. Dr. Claus Löst an diesem 14. Juli 2018. Er war von Prof. Wolff, seiner Nachfolgerin auf dem Lehrstuhl für Zahnerhaltung, eingeladen worden, zum Thema „Was hatte die Zahnerhaltung bisher im Angebot – und was gilt noch?“ zu sprechen. Ausführlich ging er auf Themen wie Rezessionsdeckung und Bindegewebstransplantate ein, letztere bezeichnete er als „Overtreatment“. Grund für Rezessionen ist oft falsche Zahnbürste, „eine Waffe gegen sich selbst“. „Give teeth a chance“ heißt sein Credo, wenn es darum geht, um jede Wurzel zu kämpfen. Interessant waren daher auch seine Ausführungen zu den Indikationen für Wurzelspitzenresektionen. Besonders am Herzen liegt dem Emeritus die dentale Traumatologie, für die er sich ein Zahnunfallzentrum wünscht, das interdisziplinär arbeitet und in dem ein Arzt die Koordination übernimmt, damit die Primärversorgung stimmt. Schwerpunkte heute. Wie das neue Leben bei den Tübinger Zahnerhaltern aussieht, schilderte Prof. Wolff, der Tagungsleiter Prof. Reinert ein breites wissenschaftliches Spektrum attestierte. Sie sprach von einem ihrer Schwerpunkte, der unter dem Rubrum „Gesund von Zahn bis Fuß“ dem Biofilm und den Bakterien des gesamten Körpers auf der Spur ist. In einem Verbundprojekt ZBW 10/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Fortbildung 31 Angle-Klassen auf der Spur. Prof. Dr. Dr. Gernot Göz, dessen Vortrag ein „Kaleidoskop der Kieferorthopädie“ versprach, hatte gleich zu Beginn eine hübsche Anekdote parat: Die relative Lagebeziehung des menschlichen Ober- und Unterkiefers, die weltweit durch die Angle-Klassen beschrieben wird, hätte beinahe Bierkasse-Klasse heißen müssen. Die Familie des Kieferorthopäden Edward H. Angle, der 1855 auf einer Farm in Pennsylvania geboren wurde, hatte eigentlich Bierkasse geheißen, ehe sie sich einen amerikanischen Namen gab. Mit Angle-Klassen ging es dann auch gleich weiter, denn Prof. Göz, emeritierter Ordinarius und Ärztlicher Direktor der Abteilung Kieferorthopädie der Universität Tübingen und heute in freier Praxis tätig, zeigte eine Reihe von Prominenten, die Fehlstellungen der Klasse III aufweisen, darunter Roger Federer, Michael Phelps, Quentin Tarantino. Mit eindrucksvollen Bildern zur chirurgischen Dysgnathiebehandlung und Rehabilitation von Patienten mit kraniofazialen Anomalien, insbesondere Lippen-Kiefer- Gaumenspalten, dokumentierte er einen wichtigen Schwerpunkt seiner Arbeit in Tübingen. Breitgefächert. Das Themenspektrum des Fortbildungstages unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Siegmar Reinert (r., im Gespräch mit Prof. Dr. Diana Wolff und Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle) umfasste Zahnerhaltung und Kieferorthopädie. der Universitäten Freiburg, Heidelberg und Tübingen zum Thema Antibiotika-Resistenzen wird auch der Frage nachgegangen, ob der Biofilm im Mund Reservoir für Resistenzen sein kann. Mit der Erkenntnis, dass nicht die Menge der Bakterien, sondern eine Dysbiose des Biofilms zur Volkskrankheit Parodontitis führt, ist man ganz nah an die Medizin herangerückt. Ein entgleister Biofilm, der über den Sulkus in die Blutbahn gelangt, hat viele negative Auswirkungen auf den Gesamtorganismus. Gute Lehre. Auch die Patientenversorgung, die präventiv, minimalinvasiv und individuell ausfallen soll, hat sich im Lauf der Jahre verändert. Heute hat man viele Möglichkeiten Zähne zu erhalten, die noch vor Jahren als hoffnungslos galten. Durch Adhäsivtechnik und Komposite, durch direkte Zahnformkorrekturen, glasfaserverstärkte Kompostitbrücken und direkte Komposit-Veneers kann der Lebensweg eines kompromittierten Zahnes beträchtlich verlängert werden. Mit einem Ausblick auf den heutigen Universitätsbetrieb schloss Prof. Wolff ihre Ausführungen. „Wir machen eine gute Lehre“, die direkt am Patienten stattfindet, was man in der Humanmedizin erst gerade in die Didaktik einführt.“ Lückenschluss. Dem konnte Prof. Dr. Dr. Hans Jörg Staehle, nur beipflichten. Der Ärztliche Direktor der Poliklinik für Zahnerhaltungskunde der Uniklinik Heidelberg hatte sich der schwierigen Aufgabe gestellt, neue Optionen der Zahnerhaltung beim Lückenschluss vorzustellen. So zeigte er anhand eindrucksvoller Bilder Beispiele zum Lückenschluss als Ergänzung zu implantologischen, prothetischen und kieferorthopädischen Interventionen. Bei Einzelzahnlücken im Seitenzahnbereich empfahl er den Lückenschluss durch Zahnverbreiterung oder Zahnanhänger. Widersprochen hat er der oft geäußerten Meinung, dass Implantate zum Einzelzahnersatz zu einem besseren Erhalt von Knochen und Weichgewebe führen. Prächirurgische KfO. Sein Nachfolger Prof. Dr. Bernd Koos, der in der Hölderlinstadt studiert hat und seit April 2017 Ärztlicher Direktor der Poliklinik für Kieferorthopädie in Tübingen ist, kam aus Rostock an den Neckar. Er schilderte beispielhaft anhand der Pierre-Robin-Sequenz (RBS), die durch Mikrognathie, mandibuläre Retrognathie sowie Glossoptose gekennzeichnet ist, die prächirurgische Kieferorthopädie. Da viele der jährlich rund 80 Kinder mit RBS auch eine Gaumenspalte haben, die operativ verschlossen werden muss, wurde in Zusammenarbeit von Kinderärzten, Kieferorthopäden und Kieferchirurgen in Tübingen ein Therapiekonzept entwickelt, das seit mehr als 20 Jahren erfolgreich durchgeführt wird. Dabei spielt auch die Tübinger Atmungsgaumenplatte eine wichtige Rolle, die bereits in den ersten Lebenstagen eingesetzt werden kann, um den obstruktiven Atemstörungen entgegenzuwirken. Um Sprachentwicklung, Oberkiefer- und Unterkieferwachstum, Hörvermögen und Zahnentwicklung zu überwachen, ist eine engmaschige Kontrolle vorgesehen. Üblicherweise folgt eine kieferorthopädische Frühbehandlung ab dem 4. Lebensjahr und eine kieferorthopädische Hauptbehandlung ab dem 8. bis 9. Lebensjahr D. Kallenberg Info Eugen Fröhlich (1910–1971) war von 1937 bis 1958 Oberarzt am damaligen Zahnärztlichen Institut in Tübingen, 1939 bis 1945 stellvertretender Leiter der Abteilung für Kiefer-, Gesichts- und Wiederherstellungschirurgie am Reservelazarett, 1945 bis 1947 kommissarischer Leiter des Zahnärztlichen Instituts, 1948 Privat- Dozent, 1954 apl. Prof. für Zahnheilkunde, 1954 bis 1971 o. Prof. für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde und Direktor des Zahnärztlichen Instituts in Tübingen. www.zahnaerzteblatt.de ZBW 10/2018
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