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Nutzenbewertung von Parodontitistherapien

Ausgabe 10/2018

26 Fortbildung

26 Fortbildung Zahnärztliche Maßnahmen beim Kleinkind Narkose bei Milchzahnkaries Die Nuckelflaschenkaries ist in Deutschland mit einer Prävalenz von rund 10 bis 17 Prozent bei Dreijährigen [Team DAJ 2017] ein relevantes Problem. Bei schweren Formen ist mitunter eine Behandlung in Narkose nötig. Neben den verschiedenen Behandlungsmaßnahmen wie Zahnextraktionen, die häufig durchgeführt werden, wirft dies auch Fragen nach dem nachfolgenden Management auf. Ein zweieinhalbjähriges Mädchen wurde von seinen Eltern in der Abteilung Kinderzahnheilkunde des Zentrums für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (ZZMK) der Universitätsmedizin Greifswald mit dem Wunsch nach „Schmerzfreiheit“ vorgestellt. Bei diesem kleinen Mädchen wurde nach einer Desensibilisierung über die Individualprophylaxe eine eingehende Diagnostik durchgeführt. Aufgrund diverser tief kariöser Zähne und akuter Zahnschmerzen bei mangelnder Kooperation bzw. Kooperationsfähigkeit wurde eine zahnärztliche Behandlung in Narkose inklusive nachfolgendem Management durchgeführt und anschließend ein regelmäßiger Recall geplant. Untersuchung und Beratung. Eine intraorale Untersuchung bei Erstvorstellung ergab, dass im Ober- Abb. 1a Abb. 1b Okklusale Ansicht von Oberkiefer (Abb. 1a) und Unterkiefer (Abb. 1b) vor der Reinigung der Zähne des Kindes vor dem Beginn der Behandlung in Narkose. Durch die Plaquebedeckung waren die kariösen Läsionen okklusal an den Zähnen 74 und 84 erst nach der Reinigung klinisch diagnostizierbar. kiefer alle Zähne bis auf die Milch-Dreier und Milch- Fünfer tief kariös zerstört waren und aufgrund der Schmerzanamnese die Diagnose diverser irreversibler Pulpitiden nahelag (Abb. 1a). Im Unterkiefer wiesen nur die zwei Milch-Vierer kavitierte kariöse Läsionen bis ins Dentin auf, die vor der Reinigung klinisch wegen Plaquebedeckung nicht sichtbar waren (Abb. 1b). Zur Abschätzung der Kooperation und Desensibilisierung für eine potenzielle Behandlung wurden die Zähne mit einer Plaque-Anfärbelösung touchiert (Abb. 2a) und mit einem rotierenden Bürstchen und hochdosiertem Fluoridgel gereinigt (Abb. 2b). Dazu wurden verschiedene Techniken der Verhaltensformung (wie Tell-Show-Do und Pausen-Hand) [AAPD 2005] und der hypnotischen Kommunikation genutzt. Außerdem wurden die Eltern zu Mundhygiene- und Ernährungsgewohnheiten befragt, beraten und instruiert. Dies erfolgte über die Technik der motivierenden Gesprächsführung, einem erfolgreichen und wissenschaftlich anerkannten Beratungsansatz mit dem Ziel, die intrinsische Motivation zur Verhaltensänderung zu stärken [Miller und Rollnick 2015]. Dabei wird nicht einfach nur die Information mitgeteilt, sondern durch gezielte offene Fragen und aktives Zuhören eine Diskrepanz zwischen Ist- und Soll-Zustand beim Patienten/Elternteil erzeugt und dadurch die Selbstwirksamkeit gestärkt. Die Eltern berichteten, dass sie die Nuckelflasche bereits seit einigen Monaten nicht mehr nutzten und die Zähne ihres Kindes nun täglich mit Kinderzahnpasta (500 ppm Fluorid) nachputzten. Durch das Anfärben der Zähne wurde die Menge der noch vorhandenen Plaque den Eltern deutlich visualisiert. Erst nach der Plaqueentfernung (Nachputzen der Eltern + PZR mit rotierendem Bürstchen) konnten (wie bereits beschrieben) insbesondere die kariösen Läsionen auf den Kauflächen der ersten Milchmolaren im Unterkiefer diagnostiziert werden. Therapieplanung. Nach der Untersuchung folgte eine Beratung zu den Therapiezielen. Das Ergebnis: Lebensqualität mithilfe langfristig gesunder Zähne und ein vertrauensvolles Verhältnis zum Zahnarzt. Durch informierte Zustimmung fiel die Entscheidung über eine Behandlung in Narkose und es erfolgte eine umfassende Aufklärung über die geplante Behandlung. Den Eltern wurden neben den geplanten Behandlungen der Zähne (Extraktion, Stahlkronen, Füllungen und Versiegelungen) die Vorteile (Lückenmanagement im Seitenzahngebiet, Ästhetik, Sprache) und Nachteile ZBW 10/2018 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 27 Abb. 2a Abb. 2b Vorarbeit. In der vorangegangenen Desensibilisierungssitzung u. a. zur Abschätzung der Kooperation für eine potenzielle invasive Behandlung wurden die Zähne mit einer Plaque-Anfärbelösung touchiert (Abb. 2a) und mit einem rotierenden Bürstchen gereinigt (Abb. 2b). (Kosten, Kooperation, Mitarbeit nötig) einer Oberkieferprothese erklärt. Die Eltern sprachen sich dafür aus, dass sie kurz- bis mittelfristig im Oberkiefer ihres Kindes eine Kinderprothese wünschten (nach Extraktion in ITN), sobald die Kooperation des Kindes es zulässt. In der partizipativen Entscheidungsfindung zwischen Eltern und Zahnarzt wurde beschlossen, die Mitarbeit des Kindes während privat zu bezahlenden Desensibilisierungsterminen zu verbessern, um die Abformungen bei einem der Nachkontrollbesuche nach der Narkosebehandlung durchführen zu können. Die Mitarbeit bei diesem Behandlungsschritt sollte auch einen Hinweis auf ein späteres regelmäßiges Tragen der herausnehmbaren Apparaturen geben können. Zahnärztliche Maßnahmen in Narkose. In der Narkosebehandlung wurden im Oberkiefer die Zähne 54, 52, 51, 61, 62 sowie 64 extrahiert und die beiden Eckzähne mittels Frasaco-Strip-Kronen restauriert (Abb. 3a). Im Unterkiefer wurden die Milch-Vierer mit einer Stahlkrone versorgt (Abb. 3b). Alle sich zum Teil noch im Durchbruch befindlichen kariesfreien zweiten Milchmolaren wurden mit Glasionomerzement (temporär) versiegelt (Abb. 3a und b). Maßnahmen nach ITN. Bereits zwei Wochen nach ITN konnten bei dem Mädchen die Alginatabformungen im Oberkiefer erfolgen. Im Lauf einer Woche wurde die Kinderprothese anhand des Modells vom Dentallabor angefertigt (Abb. 4). Eine Woche später wurde die Oberkieferkinderprothese eingesetzt (Abb. 5a und b). Ein Recall-Intervall von drei Monaten wurde empfohlen. Zudem sollte bereits in Anlehnung an die europäische Leitlinie [EAPD 2009] im Gegensatz zur Deutschen Empfehlung [DGZMK 2002] mit einer kleinen Menge Juniorzahnpasta (>1000 ppm Fluorid) geputzt und nachgeputzt werden. Bei den Folgebesuchen wies das Kind weiterhin eine altersgerechte gute Mitarbeit auf, trug laut Aussage der Eltern die Prothese bzw. den Lückenhalter täglich und war zufrieden mit dem Aussehen. Die Sprachentwicklung, insbesondere die Lage und Funktion der Zunge, konnten laut Aussage und Einschätzung der Mutter verbessert werden. Diskussion. Bei Kleinkindern stellt sich stets die Frage, ob alle geplanten und indizierten Behandlungen ambulant mit Lokalanästhesie ohne wesentliche Traumatisierung des Kindes durchführbar erscheinen oder unter Umständen nur in Narkose möglich sind. Das geringe Alter des Kindes bedingt in der Regel eine geringe Kooperationsfähigkeit. Die geringe Kooperation dieses Kindes bei einfachen Maßnahmen wie Zähne putzen ließ den Schluss zu, dass u. a. multiple Extraktionen kaum ambulant möglich sein werden, außer mit „Fixierung“ des Kindes. Zudem bestand die Notwendigkeit, eine Vielzahl von sehr invasiven Maßnahmen wie Extraktionen durchzuführen. Daher war hier eine Indikation für eine zahnärztliche Behandlung in Narkose gegeben. Bei einer Behandlung in Narkose kann das gesamte Gebiss in einer Sitzung zahnärztlich behandelt werden; dabei sollte jedoch immer die Gesamtdauer berücksichtigt werden. Je nach Patient und Absprache mit dem Anästhesisten sollten Zahnbehandlungen in Narkose im Regelfall nicht wesentlich länger als rund eineinhalb Stunden betragen. Nebenwirkungen wie Übelkeit und Erbrechen können nach einer Narkose auftreten, schwerwiegendere Komplikationen wie Herzstillstand oder allergischer Schock sind zwar äußerst selten, aber zwingend bei der Narkoseindikation und -aufklärung zu berücksichtigen. Ziel der Zahnbehandlung in Narkose ist es, zügig eine schmerzfreie und hygienefähige Mundhöhle zu schaffen, welche dem Kind eine den Umständen entsprechende bestmögliche Voraussetzung für die weitere Gebissentwicklung bietet. Zudem sollten später möglichst keine invasiven Zweitbehandlungen an Zähnen oder gar eine zweite Narkose benötigt werden. Extraktion. Ein Erhalt von Zähnen, deren Verbleib in der Mundhöhle trotz Behandlung bis zum physiologischen Zahnwechsel unwahrscheinlich ist, sollte www.zahnaerzteblatt.de ZBW 10/2018

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