22 Titelthema Abb. 4 Intraoperativer Situs Zahn 21 vom 17.07.2017: An Zahn 21 ist vestibulär mesial ein ausgeprägter vertikaler Defekt zu sehen, der nach palatinal leicht unterschnittig verläuft (Abb. 4). modifizierten Zugangslappenoperation an 21 durchgeführt (Kirkland, 1931). Intraoperativ stellte sich ein vertikaler Knochendefekt mesial an Zahn 21 dar (Abb. 4), welcher nur degranuliert und die Wurzeloberfläche instrumentiert wurde. Es erfolgte keine regenerative Maßnahme. Im November des gleichen Jahres erfolgte die Reevaluation mit Erhebung eines vollständigen Parodontalstatus (Abb. 5). Nach der antiinfektiösen Therapie zeigte sich bereits eine deutliche Besserung der entzündlichen Veränderungen, einhergehend mit Reduktion der ST und Retraktion der Gingiva (Abb. 6), der PCR blieb aber konstant bei rund 30 Prozent in allen Sitzungen. Hingegen reduzierte sich der BOP von 66 Prozent auf 18 Prozent. Die Compliance des Patienten ist als sehr gut zu bezeichnen und er zeigte keinerlei Schwierigkeiten bei der häuslichen Interdentalraumpflege. Da im Seitenzahnbereich weiterhin ST von ≥ 6 mm mit teilweise positivem BOP persistierten, war die Durchführung eines offenen parodontalchirurgischen Eingriffs zur Wurzeloberflächenbearbeitung unter Sicht indiziert, wobei auch die eingängigen Furkationen instrumentiert werden sollten. Dies erfolgte in zwei Sitzungen bis März 2018. Vier Monate postoperativ erfolgte eine supra-/subgingivale PZR, einschließlich Reinstruktion/-motivation der häuslichen Mundhygiene und eine abschließende Reevaluation der APT. Dabei zeigte sich eine weitere Reduktion der ST und klinischen Entzündungszeichen (BOP 15 Prozent). Der PCR lag bei 27 Prozent. Um das Risiko eines Rezidivs in der folgenden UPT so gering wie möglich zu halten, erfolgte die Bestimmung des UPT-Intervalls nach dem Risikoschema von Lang and Tonetti (2003), wobei sich ein UPT-Intervall von drei Monaten ergab (hohes Risiko). Der Patient ist bis zum heutigen Zeitpunkt hoch motiviert bei der Umsetzung der häuslichen Mundhygiene, nimmt regelmäßig an der UPT teil und ist auch in der letzten Nachsorgesitzung weiterhin langfristig am Zahnerhalt interessiert. Fazit. Das aktuell gemeinsam von KZBV, der Bundeszahnärztekammer und DG PARO publizierte PAR-Versorgungskonzept für die Behandlung von Parodontalerkrankungen bei Versicherten der Gesetzlichen Krankenversicherung beklagt, dass die Parodontitistherapie, wie sie heute innerhalb der GKV abgebildet ist, nicht mehr die Anforderungen an eine zahnärztliche Behandlung zur Verhütung, Früherkennung und Behandlung von Zahn-, Mund- und Kieferkrankheiten erfüllt. Die derzeitig anerkannte medizinische Evidenz bei der Paro dontitistherapie ist unzureichend im Rahmen der GKV berücksichtigt (s. PAR-Versorgungskonzept der KZBV und BZÄK). Diese Einschätzung der wissen- Vergleich. Parodontalstatus vom 12.05.2017, 28.11.2017 und 05.07.2018 im Vergleich (erstellt mit Hilfe der Software PA-Konzepte GbR). Zur Veranschaulichung der Entzündungsreduktion für den Patienten kann der PISA-Index herangezogen werden (Abb. 5). ZBW 10/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 23 Abb. 6a Abb. 6b Abb. 6d Retraktion der Gingiva. Fotostatus vom 05.07.2018: Die Retraktion der Gingiva ist besonders an 21 und im Seitenzahnbereich erkennbar. Der Patient nutzte auch nach parodontal-chirurgischem Eingriff trotz anderslautenden Empfehlungen weiterhin regelmäßig eine chlorhexidinhaltige Mundspüllösung, daher die gelblich-bräunlichen Zahnverfärbungen (Abb. 6a-e). schaftlichen Erkenntnisse deckt sich weitestgehend mit denen der angekündigten gemeinsamen S3-Leitlinien von AWMF, DGZMK und DG PARO, steht aber teils konträr zu den Darstellungen im endgültigen Bericht des IQWiG zur systematischen Behandlung von Parodontopathien vom 05.03.2018, in welchem zumeist aufgrund fehlender RCT-Studien begründet beispielsweise kein Nutzen in einer UPT nach nicht-chirurgischen Parodontitistherapie gesehen wird. Hingegen werden einzelne Fragestellungen wie der nach einem Nutzen (hier Änderung des Attachmentlevels) der alleinigen Laseranwendung im Rahmen der nicht-chirurgischen Therapie gegenüber konventionellen Techniken basierend auf oftmals industriegesponserten RCTs so interpretiert, dass sich eine Empfehlung für die alleinige, kostenintensivere Lasertherapie ergibt. Nach Meinung der Autoren des vorliegenden Fallberichtes mangelt es derzeitig aber nicht an neuen, mitunter komplexen und teuren Behandlungsoptionen der Volkskrankheit Parodontitis. Vielmehr scheinen die (wirtschaftlichen) Anreize für präventive Basismaßnahmen im erwachsenen Patientenalter zu fehlen. Ein frühzeitiger Behandlungsbeginn initialer parodontaler Veränderungen ist zumeist mittels einfacher (im therapeutischen Sinne) und somit auch günstiger Maßnahmen möglich. Ohne Frage stellt hier das neue PAR- Versorgungskonzept einen wegweisenden Schritt dar, nur darf eine je Patient und Behandler individualisierte Lösung mit entsprechender Therapiefreiheit dadurch nicht reglementiert werden. Nach heutigem Verständnis ist die Parodontitis eine chronische Erkrankung, ätiologisch stark beeinflusst durch das orale Mikrobiom und verschiedene Reizfaktoren. Aufgrund dessen ist eine lebenslange UPT erforderlich. Diese, regelmäßig über Jahre durchgeführt, kann helfen den Behandlungserfolg zu sichern (Lee et al., 2015), wird aber auch entsprechende Kosten verursachen (Schwendicke et al., 2016b). Wie eigene Nachuntersuchungen mit Beobachtungszeiten von fast 20 Jahren UPT aufzeigten (Schwendicke et al., 2017, Schwendicke et al., 2018a), sollte deren jährliche Höhe von rund 350/540 Euro (chronische/aggressive PA) nicht unterschätzt werden. Der Hauptanteil der Kosten des Zahnerhaltes wird hierbei durch die Maßnahmen der UPT selbst generiert (ca. 90 Prozent), wobei eine geringere Zahnanzahl und ein höheres Patientenalter bei Behandlungsbeginn die Kosten signifikant in die Höhe trieben. Beide Parameter können für einen verspäteten Behandlungsbeginn stehen, was bedeutet, dass die Therapie komplexer, z. B. durch eine fortgeschrittene Furkationsbeteiligung (Schwendicke et al., 2016a) aber auch schwieriger abschätzbar wird (Graetz et al., 2011) und die Wahrscheinlichkeit für Zahnverluste in der UPT steigt (Graetz et al., 2017a, Graetz et al., 2017b). Allerdings, und nicht nur im Interesse der Wirtschaftlichkeit, sollte man die Chancen für einen Zahnerhalt, gerade bei noch geschlossener Zahnreihe und trotz fortgeschrittener Erkrankung mittels parodontaler Therapie abwägen, was selbst mit einer eher konservativen Behandlung (wie dargestellt) zu einem Erfolg führen kann. Dafür muss den Patienten bereits frühzeitig sowohl die Notwendigkeit der UPT (Aufwand & Kosten) als auch die Einschränkungen (Ästhetik & Funktion) sowie die Grenzen der Parodontitistherapie hinsichtlich eines lebenslangen Zahnerhaltes verdeutlicht werden. Die Herausforderung liegt zweifelsohne in der gemeinsamen Entscheidungsfindung und langfristigen Kooperation mit unseren Patienten, um so ein für beide Parteien optimales Behandlungsergebnis bei all den bürokratischen Hürden, dem Kostendruck im Gesundheitssystem und dem fortwährenden wissenschaftlichen Fortschritt zu erreichen. Das Literaturverzeichnis finden Sie unter www.zahnaerzteblatt.de oder kann beim IZZ bestellt werden unter Tel: 0711/222966-14, Fax: 0711/222966-21 oder E-Mail: info@zahnaerzteblatt.de. ZÄ Anne Sophie Engel Priv.-Doz. Dr. Christian Graetz ZÄ Anne Sophie Engel PD Dr. Christian Graetz Abb. 6c Abb. 6e Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Oberarzt, Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel Fotos: ZÄ A. Engel, Dr. C. Graetz www.zahnaerzteblatt.de ZBW 10/2018
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