10 Titelthema Was Patienten wollen … … ist eigentlich ganz einfach. Die meisten gehen regelmäßig mindestens einmal im Jahr zur Vorsorge. Dort wollen sie erfahren, in welchem Zustand ihre Zähne und ihr Zahnfleisch sind. Wenn sie krank sind, wollen Patienten eine Therapie, die ihrer Krankheit angepasst ist und zu einer weitestmöglichen Linderung führt. Sie wollen eine sinnvolle, nützliche Behandlung, ohne überflüssige, schädliche oder unzureichende Methoden. Und sie wollen keine unnützen privaten Zusatzangebote. Nach unserer Auffassung bedeutet das, dass bei einer Parodontitis nach der Diagnosestellung zunächst eine Vorbehandlung erfolgt, danach eine zielgerichtete Intervention, die in einer schweregradabhängigen Nachsorge endet. Die Vorbehandlung beinhaltet nach unserer Auffassung neben der supragingivalen mechanischen Reinigung die Entfernung von Reizfaktoren, um einen pflegefähigen Zustand herzustellen. Danach muss zwingend eine intensive Aufklärung erfolgen über die Erkrankung und die Möglichkeiten des Patienten, diese positiv zu beeinflussen. Die Aufklärung muss ergänzt werden durch eine Demonstration und ein gemeinsames Üben, um eine Verhaltensänderung zu erreichen. Besonders diesem edukativen Teil der Vorbehandlung messen wir große Bedeutung zu. Die Interventionsphase beinhaltet eine Reinigung der Wurzel oberflächen. Die Nachsorge besteht aus einer intervall artigen Kontrolle, Re-Motivation und erneuten Sensibilisierung. Unterstützt werden sollte der Patient bei Bedarf auch durch eine mechanische Reinigung. Dieser Ablauf, den wir für fachlich sinnvoll halten, ist durch die derzeitige Behandlungsrichtlinie für Zahnärzte nicht darstellbar. Ohne diese Schritte ist aber eine suffiziente Parodontitis-Therapie nicht durchführbar. Hier liegt einer der Gründe für das massive Versorgungsdefizit im Bereich der Parodontologie. Wenn Parodontitis eine ernsthafte Erkrankung ist, muss sie auch im GKV- Bereich vollständig behandelt werden. Deshalb hat die Patientenvertretung im Gemeinsamen Bundesausschuss im Jahr 2013 eine Überprüfung der bestehenden Behandlungsrichtlinie beantragt. Dass allein bis heute fünf Jahre vergangen sind, ohne dass es einen sichtbaren Erfolg gibt, ist erschreckend und hat diverse Gründe. Doch noch ein weiterer Punkt hat uns dazu gebracht, als Interessenvertretung von mehr als 70 Millionen, die Überprüfung der bestehenden Behandlungsrichtlinie zu beantragen: Die Behandlungsrichtlinie verknüpft die Leistungserbringung mit der Mitarbeit des Patienten. Nun wird jeder bestätigen, dass die Mitarbeit eines Patienten bei egal welcher Erkrankung und Therapie ein wichtiger Baustein für die Heilung ist. Patientinnen und Patienten, die den Sinn einer Behandlung erkennen und ihre eigenen Einflussmöglichkeiten im Heilungsprozess nutzen, werden schneller und nachhaltiger gesund. Fehlende Mitarbeit wird hier aber mit Nichtbehandlung bestraft. Das ist einmalig in unserem Gesundheitswesen. Und das Interessante ist, dass die Bereitschaft zur Mitarbeit auch daran gemessen wird, ob die Patientin oder der Patient bereit ist, für Professionelle Zahnreinigung selbst zu bezahlen. Die PZR kostet zwar selten mehr als eine Dauerwelle bei einem guten Friseur, das ist für viele Patienten aber eine ansehnliche Summe – und soll das etwa der Vergleich sein? Zahnärztliche Teams erbringen eine medizinisch notwendige Heilbehandlung! – Oder etwa nicht? Und die werden in Deutschland von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Aber bleiben wir beim Behandlungsausschluss bei fehlender Mitarbeit: Wirklich treffen tut dieser Ausschluss allerdings diejenigen, die nicht in der Lage sind mitzuarbeiten. Menschen mit Behinderung und pflegebedürftige alte Menschen, die nicht in der Lage sind ihre Mundhygiene ausreichend selbstständig durchzuführen – also nicht mitarbeiten – sind von parodontaler Behandlung ausgeschlossen. Die gesetzlichen Krankenkassen sparen also mit stiller Duldung durch die verfasste Zahnärzteschaft an den Schwächsten unserer Gesellschaft. Die Zahnärztinnen und Zahnärzte, die sich trotzdem dieser sicherlich anspruchsvollen Klientel widmen, zahlen dann die Zeche. Welche Möglichkeiten bleiben einem Zahnarzt, der Behinderte und alte Menschen mit parodontalen Problemen behandelt? Entweder verstößt er mutwillig gegen die Richtlinie, oder er behandelt die Patienten unentgeltlich, was keine Perspektive auf Dauer ist oder er behilft sich mit Alternativpositionen, wie etwa Exzisionen und wird sicherlich in der nächsten Wirtschaftlichkeitsprüfung auffällig. Auch wenn wir uns nicht anmaßen wollen, die Interessen dieser Zahnärzte, die sich der fachlich wie menschlich anspruchsvollen Tätigkeit verschrieben haben, vertreten zu wollen, sehen wir doch niemand anderen, der diese Zahnärzte unterstützt. Im Rahmen unserer Vorrecherche haben wir eine Vielzahl von Studien höchster Evidenzstufe gefunden. Deshalb waren wir uns sicher, dass unsere Sicht ausreichend wissenschaftlich abgesichert ist. Die mit unserem Antrag verbundene Studie des IQWiG kommt allerdings zu einem peinlichen Ergebnis. Peinlich für die wissenschaftliche Zahnmedizin. Kein Teilgebiet der Zahnheilkunde sei so gut untersucht wie die Parodontologie, hieß es. Eine gewaltige Menge von Studien wurde gesichtet. Und fast alle sind untauglich. Die wenigen, die man doch gebrauchen konnte, haben nur eine minimale Aussagekraft. Was wir also brauchen, ist eine bessere Forschung, eine bessere Behandlungsrichtlinie und eine vollständige Finanzierung der Parodontitistherapie aus den Mitteln der gesetzlichen Krankenversicherung. Nur so können wir das massive Versorgungsdefizit in Deutschland in den Griff bekommen. Gregor Bornes Gregor Bornes, Diplom-Chemiker, ist seit 25 Jahren Patientenberater mit Spezialgebiet Zahnmedizin, seit 2004 als Patientenvertreter im Gemeinsamen Bundesausschuss und Geschäftsführer im Gesundheitsladen Köln e. V., wo er Projekte u. a. zur UPD, zur Pflegeberatung, zur Patientenbeteiligung in NRW leitet. ZBW 10/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 11 IQWiG-Bericht „Systematische Behandlung von Parodontopathien“ Unter der Maßgabe, substanzielle Verbesserungen im Kampf gegen die Volkskrankheit Parodontitis erzielen zu können, war der Vorbericht des IQWiG, der mangels Evidenz einen Großteil der Parodontalbehandlung für nutzlos erklärte, eine absolute Hiobsbotschaft. Hätte dies Bestand gehabt, wäre das Vertrauen von Millionen Versicherten in die Zahnärzteschaft nachhaltig erschüttert worden. Wie hätten die Patientinnen und Patienten künftig zu einer besseren Mitarbeit als Grundlage für die Verbesserung der Mundgesundheit motiviert werden sollen, wenn der Erfolg der Behandlung vom IQWIG infrage gestellt worden wäre? Zunächst einmal bleibt daher festzuhalten: Die nach der Veröffentlichung des Vorberichts geäußerte Kritik und die Argumente von Wissenschaft und den zahnärztlichen Organisationen wurden ernstgenommen und es wurde nachgearbeitet und weitere Studien berücksichtigt. Mit dem Abschlussbericht gibt es nun bei sechs Therapieansätzen Hinweise oder Anhaltspunkte für einen höheren Nutzen, beim Vorbericht traf das lediglich auf zwei zu. Der G-BA hat dadurch eine bessere Grundlage für seine Arbeit erhalten als durch den ersten Aufschlag des IQWiG. Denn die bestmögliche Evidenz ist eben nicht immer die höchste Evidenz – gerade in Bereichen, in denen es ethisch schwer vertretbar ist, einer Patientengruppe aufgrund von Studiendesigns ggf. die Behandlung zu verwehren. Jahrzehntelange Erfahrungswerte können nicht mangels entsprechender Studiendesigns negiert werden. Hiermit müssen sich das IQWiG und der G-BA auseinandersetzen. Der Abschlussbericht „Systematische Behandlung von Parodontopathien“ weckt insofern Hoffnungen, dass das IQWiG durchaus in der Dr. Ute Maier Prognostizierter parodontaler Behandlungsbedarf durch demografischen Wandel 2014 Männer Frauen 2030 100 100 Alter Lage ist, auf Kritik zu reagieren und im Sinne einer optimalen Versorgung der Patientinnen und Patienten nachzubessern. Gemeinsames Ziel muss es sein, eine gute zahnmedizinische Versorgung der gesetzlich Versicherten unter Berücksichtigung aktueller Erkenntnisse der Wissenschaft zu erreichen. Das motiviert uns, die Arbeit des IQWiG auch zukünftig sachlich und konstruktiv zu begleiten, damit der Anspruch auf hohe wissenschaftliche Standards im Ergebnis auch zu hohen Versorgungsstandards führt. Dafür ist jedoch auch die Mitarbeit der Patienten unerlässlich. Denn eine entsprechende Nachsorge und die aktive tägliche Mitwirkung der Patienten im Sinne einer optimierten Mundhygiene sind für den langfristigen Erfolg unabdingbar. Hier muss über Anreizsysteme für die Versicherten nachgedacht werden. Des Weiteren muss auch die Bereitschaft der Politik bestehen, entsprechende finanzielle Mittel zur Verfügung zu stellen. Denn die Aufnahme neuer Leistungen kann nur dann erfolgreich in der Praxis umgesetzt werden, wenn diese nicht unter gedeckelten Ausgabenvolumina, d. h. unter Budgetbedingungen erfolgen. Sollten hier die gleichen Vorgaben herrschen wie bei der BEMA-Umrelationierung (Aufnahme neuer Leistungen bei gleichbleibendem Ausgabenvolumen) sind alle Bemühungen zum Scheitern verurteilt. Alter Behandlungsbedarfs zu rechnen Parodontalerkrankungen sind altersassoziiert. Moderate und schwere Parodontalerkrankungen bei jüngeren Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) heute: 51,6 % und bei jüngeren Senioren (65- bis 74-Jährige) heute: 64,6 %. Im Jahr 2030 werden der Großteil der Bevölkerung Senioren sein. Trotz abnehmender Prävalenzen ist daher derzeit mit einer Zunahme des parodontalen Männer 0 Einwohner Dr. Ute Maier ist Vorsitzende des Vorstands der KZV Baden-Württemberg Frauen 0 Einwohner Alter Alter 100 100 2014 Männer 2030 Frauen Männer durch demografischen Wandel 0 Einwohner Einwohner Parodontaler Behandlungsbedarf. Die Zahl der Parodontalerkrankungen nimmt ab. Durch die demografische Entwicklung und die Altersabhängigkeit der Erkrankung ist in der Prognose aber mit einem steigenden Behandlungsbedarf zu rechnen. 0 ©BZÄK/KZBV Quelle: DMS V ©BZÄK/KZBV Frauen Parodontalerkrankungen sind altersassoziiert. Moderate und schwere Parodontalerkrankungen bei jüngeren Erwachsenen (35- bis 44-Jährige) heute: 51,6 % und bei jüngeren Senioren (65- bis 74-Jährige) heute: 64,6 %. Im Jahr 2030 werden der Großteil der Bevölkerung Senioren sein. Trotz abnehmender www.zahnaerzteblatt.de ZBW 10/2018
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