44_FORTBILDUNG ZBW_7/2022 www.zahnaerzteblatt.de Laufzettel Risiko-Evaluation bei antiresorptiver Therapie vor Implantation (Bisphosphonat-, Denosumab-Medikation) Patientendaten..................................................................................................... Grunderkrankung und Indikation der antiresorptiven Therapie: ● primäre Osteoporose ● sekundäre / therapieinduzierte Osteoporose ● solider Tumor (Mamma-, Prostata- Ca. o.a.) ohne ossäre Metastasen ● solider Tumor (Mamma-, Prostata- Ca. o.a.) mit ossärer Metastasierung ● Multiples Myelom / Plasmocytom Medikation Bisphosphonat: Präparat............................................................................................. ● Non-Amino-Bisphosphonat (z.B. Clodronat) ● Amino- Bisphosphonat (z.B. Zoledronat, Ibandronat, Alendronat) Applikationsart: ● oral ● i.v. Intervall ca. alle 12 Mo. ● i.v. Intervall ca. alle 6 Mo. ● i.v. Intervall ca. alle 4 Wo. Denosumab: Applikationsart: ● s.c. 60 mg ca. alle 6 Mo. (Prolia®) ● s.c. 120 mg ca. alle 4 Wo. (XGeva®) Zeitliche Dynamik antiresorptive Therapie läuft seit wann? ● < 3. J ● 3 – 6 J ● > 6 J. Weitere (ggf. onkologische) Therapie ● Hormontherapie (z.B. bei Mamma- oder Prostata-Ca.) ● Cortison(langzeit)behandlung ● Immun- oder Antikörpertherapie ● Chemotherapie (Zytostatikatherapie) ● Antiangiogenetische Therapie, insbesondere Bevacizumab (Avastin®) ●!! Kopf-Hals-Strahlentherapie Lokale Knochenneubildungsrate / knöcherne Situation ● Radiologisch keine persistierende Alveole nach Zahnentfernung (erfolgte Ossifikation) und klinisch keine persistierenden scharfen Knochenkanten ● Radiologisch langfristig zurückliegender Zahnverlust (erfolgte Ossifikation, aber Kompromittierung der Knochenneubildung nicht beurteilbar) ● Radiologisch persistierende Alveole nach Zahnentfernung (fehlende Ossifikation) oder klinisch persistierende scharfe Knochenkanten ●!! Z.n. Kiefernekrose (ONJ) Stempel __________________________________________________ Datum Unterschrift Autoren: K.A. Grötz, Wiesbaden · B. Al-Nawas, Mainz RADIO(CHEMO)THERAPIE Die Osseointegration kann nach einer Chemotherapie beeinträchtigt sein. Eine spezifische Empfehlung einiger Autoren lautet, dass dentale Implantation frühestens zehn Monate nach der letzten Applikation einer Chemotherapie und bei einem Mindestwert für Leukozyten von 4,0 x 103 (Normalwert: 4,5 – 11 x 103) erfolgen sollte 19, 20 . Da sicherlich die spezielle Medikation und Co-Medikation, die onkologische Grunderkrankung und die onkologische Prognose eine Rolle für die Therapie spielen, wird eine Konsultation mit der behandelnden Onkologie unbedingt empfohlen. Bei Patienten*innen nach einer Strahlentherapie, bei der das Feld rund um die Mundhöhle/Kiefer einschließt, kann der Erfolg einer dentalen Implantation beeinträchtigt sein 21 . Weiterhin können bei einer Strahlendosis von über 50 Gy dauerhafte Weichteilfibrosen (Strahlenfibrose) die Chirurgie und Mundhygiene erschweren 2 . Zusätzlich können Narben nach chirurgischen Eingriffen und Gewebedefekte die Situation kompromittieren. Die gefürchtete Komplikation einer infizierten Osteoradionekrose bedarf einer Prophylaxe vor, während und nach der Strahlenbehandlung 22 . Für alle Patienten*innen mit einer zugrunde liegenden onkologischen Erkrankung sollte eine ausführliche Anamnese und die Prognose quoad vitam berücksichtigt werden. Bei der Planung von dentalen Implantaten sollte berücksichtigt werden, dass auch Druckstellen von Prothesen als lokale Auslöser einer infizierten Osteonekrose beschrieben sind. Augmentationen im Rahmen einer Therapie mit dentalen Implantaten, Sofortimplantation oder Sofort- und Frühbelastung sind zu vermeiden. Eine submuköse Einheilung der dentalen Implantate sollte bevorzugt werden 2, 22 . ANTIRESORPTIVA-ASSOZIIERTE OSTEONEKROSE Den antiresorptiven Medikamenten werden die Gruppe der Bisphosphonate und Denosumab zugeordnet 22 . Die Indikation für diese Therapie stellen das Multiple Myelom, das Mammakarzinom, Knochenmetastasen von soliden Tumoren, Osteoporose und Morbus Paget dar. Patienten*innen, die mit dieser Gruppe von Medikamenten therapiert werden, haben in der Regel ein vermindertes Knochenremodelling und ein erhöhtes Deutsche Gesellschaft für Implantologie im Zahn-, Mund- und Kieferbereich e.V. www.dgi-ev.de OP- Risiko: ● = niedrig ● = mittel ● = hoch Cave: kumulatives Risiko beurteilen DGI-Laufzettel. Das Risiko einer Kiefernekrose (ONJ) bei Patienten mit antiresorptiver Therapie (Abb. 1). Risiko für eine Osteonekrose des Kiefers. Um die Bewertung des individuellen Risikos vornehmen zu können, ist die Kenntnis der Grunderkrankung von Bedeutung. In onkologischer Indikation werden Antiresorptiva meist höher dosiert mit einem höheren Risiko für Osteonekrosen (Prävalenz ca. 10 Prozent), während bei Osteoporose meist eine niedrige Dosierung mit deutlich niedrigerem Risiko für eine Kiefernekrose eingesetzt wird (Prävalenz ca. 0,01 bis 0,1 Prozent). Um die Bewertung des individuellen Risikos für eine Kiefernekrose zu erleichtern, wurde ein spezielles Formular „Laufzettel der DGI“ (Abb. 1) entwickelt, das zum Download zur Verfügung steht 23 . Hier ist in erster Linie die Implantation als Maßnahme zur Verbesserung der Lebensqualität zu erwähnen. Die Vermeidung von Prothesendruckstellen sollte auch als Indikation in Betracht gezogen werden 24 . Niedrig dosierte orale Bisphosphonate haben ein geringes Risiko für das Auftreten einer Kiefernekrose und beeinträchtigen in der Folge nicht die Therapie mit dentalen Implantaten. Das Risikoprofil ändert sich allerdings für Patienten*innen unter hoch dosierter antiresorptiver Therapie und langfristiger Therapie mit Bisphosphonaten. Diese Gruppe von Patienten*innen werden als Hochrisikopatienten für eine antiresorptive medikamenten-assoziierte Osteonekrose des Kiefers klassifiziert und haben folglich ein hohes Risi-
ZBW_7/2022 www.zahnaerzteblatt.de 45_FORTBILDUNG ko für ein Implantatversagen. Aufgrund fehlender Studien kann keine klare Empfehlung zur Unterbrechung der antiresorptiven Therapie mit Bisphosphonaten vor einer Implantation gegeben werden. Die Heilung des Weichgewebes, das Knochenremodelling nach vorangegangenen Eingriffen, beispielsweise einer Zahnextraktion, sollten kritisch bewertet werden. Sorgfältige Entfernung scharfer Knochenkanten, atraumatisch chirurgisches Vorgehen, lokale plastische Deckung, spannungsfreie Naht, weich-flüssige Kost bis zum Abschluss der Wundheilung werden dringend empfohlen. Eine risikoadaptierte Nachsorge und eine dauerhafte Intensivierung der Mundhygiene sind nach Insertion von dentalen Implantaten unerlässlich 25 . IMMUNSUPPRESSION Für alle Patienten*innen mit einer zugrunde liegenden immunologischen Erkrankung sollte eine ausführliche Anamnese und die Prognose quoad vitam berücksichtigt werden. Eine Rücksprache mit dem*der behandelnden Facharzt*ärztin über den Zustand des Patienten*in und die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen vor, während oder nach der Behandlung mit dentalen Implantaten sollten stattfinden. Vor einer Therapie mit dentalen Implantaten sollten bestehende lokale Infektionsherde als zusätzliche potenzielle lokale Risikofaktoren beseitigt werden. Entscheidend ist die systemische Gabe von Antibiotika ab dem Tag vor dem chirurgischen Eingriff bis zum Abklingen der klinischen Zeichen einer bakteriellen Kontamination (i.v. Ampicillin/Sulbactam 1/0,5 g 1-1-1; oral: Sultamicillin 375 mg 1-0-1, Amoxicillin 1 g 1-1-1 oder Clindamycin 0,6 g 1-1-1). Es sollten prothetische Konzepte mit suffizienter Möglichkeit der Hygiene geplant werden 24 . HIV-SEROPOSITIVE PATIENTEN*INNEN Bei HIV-seropositiven Patienten*innen mit einer CD4-Zellzahl >200 Zellen/Mikroliter ist im Vergleich zu gesunden Patienten*innen keine signifikant höhere Verlustrate für dentale Implantate nachzuweisen 26-28 . Alle Patienten*innen sollten sich in einer chronischen oder inaktiven Phase ihrer Grunderkrankung mit einer stabil eingestellten Medikation befinden 24 . Insbesondere sollte die CAR-T-Zell-Therapie berücksichtigt werden. Bei einer Behandlung mit CAR-T-Zellen kann es zu einer Überreaktion des Immunsystems bis hin zu einem Multiorganversagen kommen, das hinweisend für ein zurückhaltendes Verhalten für die Implantation ist 29 . AUTOIMMUNERKRANKUNGEN Bei den systemischen Autoimmunerkrankungen (oraler Lichen planus; Pemphigus; mukokutane Epidermolysis bullosa; Sjögren-Syndrom; systemischer Lupus erythematosus; systemische Sklerodermie) werden vergleichbare Überlebensraten von dentalen Implantaten wie bei gesunden Patient*innen nachgewiesen 30 . Weder das Vorliegen einer Autoimmunerkrankung noch die Einnahme von Prednisolon oder Derivaten von Glucocorticoiden zeigten einen signifikanten Einfluss auf das Überleben von dentalen Implantaten 24 . Bei Patienten*innen mit systemischer Sklerodermie sollte unter Berücksichtigung multipler Symptomkomplexe die Indikation individuell und kritisch gestellt werden. Insbesondere ist, aufgrund von Beeinträchtigung der Mundöffnung, Xerostomie sowie eingeschränkter manueller Fähigkeit, eine effektive Mundhygiene erschwert. Neben einer interdisziplinären Zusammenarbeit ist die hohe Motivation der Patienten*innen essenziell für eine erfolgreiche Rehabilitation mit dentalen Implantaten 31 . Für einen Langzeiterfolg dentaler Implantate sind sowohl eine hygienefähige implantatprothetische Rehabilitation als auch häufige Nachkontrollen zu empfehlen 30 . Das sehr seltene Auftreten von periimplantären Karzinomen wird auffallend häufig bei Patienten*innen mit oralem Lichen planus beobachtet 24, 32 . MORBUS CROHN Eine Korrelation zwischen dem Verlust von dentalen Implantaten und Morbus Crohn konnte in Studien nachgewiesen werden 33-35 . Die Gründe für die kumulative Inzidenz des frühen Versagens von dentalen Implantaten sind wissenschaftlich umstritten und bleiben ungeklärt 24 . Im Allgemeinen stellt die Grunderkrankung Morbus Crohn keine Kontraindikation für dentale Implantate dar. Allerdings ist angesichts des variablen Krankheitsverlaufs und Behandlungserfolgs vor Beginn einer Therapie mit dentalen Implantaten eine Konsultation der behandelnden Gastroenterologie unabdingbar 36 . ORGANTRANSPLANTATION Weder Steroide noch immunmodulierende Medikamente (mTOR-Antagonisten), wie Tacrolimus, Sirolimus, Cyclosporin und Mycophenolat erhöhen das Risiko für das Versagen von dentalen Implantaten. Derzeit liegen keine Studien zum Langzeitüberleben von dentalen Implantaten bei Patient*innen mit chronischer Graft-versus-Host-Disease (GvHD) vor, was auf einen äußerst kritischen Ansatz vor der Planung eines Zahnimplantats hinweist. Vor einer Therapie mit dentalen Implantaten sollten bestehende lokale Infektionsherde als zusätzliche potenzielle lokale Risikofaktoren beseitigt werden. Wenn bei dieser Patientengruppe letztlich eine Rehabilitation mit dentalen Implantaten in Erwägung gezogen wird, dann sollte diese unter sehr kritischer Betrachtungsweise und unter sehr strengen Auflagen sowie unter strikter Einhaltung aller Vorsichtsmaßnahmen der Empfehlung der S3-Leitlinie „Dentale Implantate bei Patienten*innen mit Immundefizienz“ erfolgen 24 . ANDERE RISIKOFAKTOREN Weiterhin können auch Risiken bei der dentalen Implantation durch die folgenden Faktoren entstehen: Nikotinkonsum 37 , niedriger Vitamin-D-Spiegel 38 , Einnahme von Sildenafil 39 , Angiogenesehemmer (insbesondere Bevacizumab), Einnahme von selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern und Protonenpumpenhemmern 40 . Das Alter der Patienten*innen spielt keine Rolle 41 . Bei Patienten*innen mit Leberzirrhose, Osteoarthritis, Parkinson-Krankheit und Demenz konnte kein erhöhtes Risiko für den Verlust von dentalen Implantaten 42 , 43 nachgewiesen werden. FAZIT Bei Patienten*innen nach Einzelzahnverlust oder bei zahnlosem Kiefer stellt die prothetische Rehabilitation mit dentalen Implantaten eine Erfolg versprechende und komfortable Therapie dar. Kompromittierte Patienten*innen können auch von einer erfolgreichen Therapie mit dentalen Implantaten profitieren, wenn die Empfehlungen der deutschen Leitlinien für dentale Implantation im Detail berücksichtigt werden 22, 44, 24, 45 . Generell sollte die Prognose des Restgebisses bei Patienten*innen mit gesundheitlicher Einschränkung genauso eingeschätzt werden wie bei gesunden Patienten*innen. Dementsprechend sollte auch die Beurteilung der Indikation für dentale Implantate nach den gleichen Kriterien wie bei gesunden Patienten*innen erfolgen. Vor einer geplanten Insertion von dentalen Implantaten soll-
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