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Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin

Ausgabe 7/2022

26_BERUFSPOLITIK

26_BERUFSPOLITIK ZBW_7/2022 www.zahnaerzteblatt.de Stimmen aus der Praxis EIN JAHR NEUE PAR-LEISTUNGEN Am 1. Juli 2021 traten verschiedene Regelungen und neue Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung in Kraft, mit denen die Volkskrankheit Parodontitis mit einem am individuellen Bedarf ausgerichteten Maßnahmenkatalog bekämpft werden kann. Knapp ein Jahr nach Einführung der neuen PAR-Leistungen haben wir Kolleginnen und Kollegen gefragt, wie die neuen Richtlinien im Praxisalltag angekommen sind. Foto: privat Dr. Carmen Budau Baienfurt „Als klar war, dass die neuen PAR-Richtlinien eingeführt werden, waren viele von uns zunächst skeptisch angesichts der neuen Herausforderung. Aber inzwischen überwiegt die Freude darüber, dass sich endlich etwas auf diesem wichtigen Gebiet bewegt. Wir sehen die vielen positiven Aspekte. Die Versorgung ist wesentlich besser geworden, wir haben durch die UPTs ein langfristiges Gesunderhaltungskonzept. Der regelmäßige Kontakt zu uns Zahnärzten ist für die Patienten eine gute Motivation mitzuwirken, die Betreuung ist engmaschiger und das führt zu größeren Behandlungserfolgen. Am Ende profitieren so Zahnärzte, Patienten und die Krankenkassen von der neuen PAR-Behandlungsstrecke. Gut war, dass die KZV BW sofort Online-Informationsveranstaltungen angeboten hat, die sehr hilfreich waren. Die Unterstützung durch die KZV ist da und man spürt: Jeder bemüht sich, dass die neuen PAR- Richtlinien ein Erfolg werden. Für einige Fragen gab es zunächst noch keine eindeutigen Antworten – die kamen erst nach einiger Zeit. Der Lernprozess ist also noch nicht abgeschlossen. Die neuen Richtlinien bedeuten für die Praxen natürlich auch mehr Aufwand: Verwaltung, Teamschulungen, jede Praxis braucht ein eigenes Konzept, Abläufe müssen optimiert werden, weil mehr Terminkapazitäten nötig sind. Auch der Behandlungsaufwand ist größer, ebenso wie der Aufwand für die Dokumentation. Vor der Dokumentation haben wir alle ein bisschen Respekt. Da alles so neu und noch nicht eingespielt ist, fürchtet man natürlich, Fehler gemacht zu haben, die einen Regress nach sich ziehen. Es ist ganz klar: Irgendwann wird der eine oder andere Fall zur Prüfung kommen, das gehört dazu und daraus lernt man ja auch. Ich würde mir wünschen, dass wir Diabetes-Patienten noch besser versorgen dürften. Mein Wunsch wäre, dass es erlaubt wird, in der Praxis den HbA1c-Wert nicht nur über den Patienten zu erfragen, sondern die Blutwerte regelmäßig selbst kontrollieren zu dürfen. Wir dürfen zwar nicht piksen, das müssten die Patienten selbst machen, aber die Geräte dafür gibt es ja. Ich versuche derzeit natürlich, an die Werte über die Hausarztpraxen zu kommen, aber das gelingt oft nicht. Last but not least: Ich finde es toll, dass es endlich eine leistungsgerechte Honorierung für die PAR-Leistungen gibt. Das ist richtig gut. Ein großes Lob hierfür!“ Foto: privat Dr. Guido Elsäßer Kernen „Bedarfsgerechte Angebote für Menschen mit Behinderung gibt es im schulischen Bereich, beim Wohnen und beim Arbeiten schon lange. In der (zahn-)ärztlichen Versorgung sind nur wenige bedarfsgerechte Gesundheitsangebote für Menschen mit Behinderung etabliert, obwohl sie in der von Deutschland ratifizierten UN-Behindertenrechtskonvention gefordert werden. Viele Menschen mit Behinderung werden häufig nur unzureichend therapiert, weil sie nicht in das enge Korsett der Kassen- und Behandlungsrichtlinien passen. Die neuen Regeln in der PAR-Behandlung sind deshalb ein Quantensprung für die zahnmedizinische Betreuung von Menschen mit Behinderung. Die Neuerungen ermöglichen, behinderungsbedingte Einschränkungen bei der Wahl einer Behandlungsstrecke zu berücksichtigen. Bei mangelnder Kooperation oder mangelnder Mundhygiene kann entweder nach der PAR-Richtlinie oder alternativ nach der bedarfsgerecht modifizierten Behandlungsrichtlinie parodontologisch behandelt werden. Die Entscheidung trifft ganz allein der behandelnde Zahnarzt unter Berücksichtigung der individuellen Bedarfe seiner behinderten Patienten! Die bedarfsgerecht modifizierte Behandlungsstrecke sieht zwar keine Aufklärungs- und Motivationsgespräche vor – diese wären insbesondere auch wichtig für die Kommunikation mit den betreuenden Personen -, sie ist aber entbürokratisiert (Anzeige- statt Genehmigungsverfahren), setzt nicht unbedingt einen vollumfänglichen PAR-Status voraus und ermöglicht ebenfalls eine zweijährige modifizierte UPT. Gemeinsam mit den 2018 eingeführten präventiven Leistungen (Nr. 174a/b) sind somit die neuen Regeln in der PAR-Behandlung ein weiterer wichtiger Schritt in Richtung eines inklusiven, barrierefreien Gesundheitssystems. Ich hoffe jedoch, dass es nicht dabei bleibt.“

ZBW_7/2022 www.zahnaerzteblatt.de 27_BERUFSPOLITIK Foto: privat Dr. Georg Bach Freiburg „Auf keinem Gebiet der Zahnheilkunde habe ich die Diskrepanz zwischen dem, was wir können und wissen, und dem, was als vertragszahnärztliche Therapie vereinbart war, derart harsch erlebt wie auf dem Gebiet der Parodontologie. Von Jahr zu Jahr wurde dieses Unbehagen größer – alleine schon deshalb bin ich ausgesprochen froh, dass zum Juli des vergangenen Jahres die neue PAR-Richtlinie an den Start gegangen ist. Aber die Tatsache, dass wir nun endlich eine Richtlinie auf der ‚Höhe der Zeit‘ haben, wie es die Autoren nennen, ist nicht der einzige Grund meiner Freude. Auch die Berücksichtigung unserer seit Jahren immer wieder vorgetragenen Forderung der Verankerung der ‚sprechenden Zahnmedizin‘ und die Option, unseren Patienten Anteile einer modernen Parodontaltherapie anbieten zu können, ohne dass sie den Kassenzuschuss für den rein vertragszahnärztlichen Teil verlieren, sind echte Pluspunkte der neuen Richtlinie. Deren stärkstes Instrument ist meines Erachtens indes die UPT, die für unsere Patienten und uns ganz neue Dimensionen eröffnet und zum Erhalt eines Langzeiterfolgs zweifellos wesentlich beitragen wird. Diese ist in sich logisch, aber auch überaus komplex. Ja, und in einigen Teilen auch ein wenig bürokratisch und tendiert mitunter etwas zu wissenschaftlicher Kopflastigkeit, die zu Lasten der Umsetzbarkeit geht. Und ich denke, da haben wir alle inzwischen viel gelernt und ich hoffe, bei der Reevaluation in einem Jahr wird hier noch etwas nachgebessert. Eines möchte ich keinesfalls vergessen zu erwähnen: Unsere Verhandlungsführer im Bewertungsausschuss haben mit ihren guten Argumenten dafür gesorgt, dass die Vergütung auskömmlich gestaltet worden ist. Das ist angemessen und ist der Anwendung sicherlich zuträglich. Mich persönlich sehr gefreut hat die Tatsache, dass wir den immensen baden-württembergischen Knowhow-Vorsprung, den wir durch die Mitarbeit unserer Vorsitzenden Dr. Ute Maier im Gemeinsamen Bundesausschuss haben, so konsequent ausgenutzt haben, und dass in unserem Bundesland sehr früh die Schulungsmaßnahmen für die Kollegenschaft und unsere Teammitarbeiterinnen an den Start gehen konnten. Die ersten Schulungsmaßnahmen liefen sogar bereits, bevor der Bewertungsausschuss tagte, und mit dem ständig steigenden Wissen konnten unsere Schulungsangebote nachgezogen werden. So konnte ein Großteil der Kolleginnen und Kollegen und unserer Zahnmedizinischen Fachangestellten schon vor dem 1.7.2021 gut informiert werden! Dass dieser Schwung dann noch ausreichte, ein paar Spruchpraxen zur neuen PAR-Richtlinie zu entwickeln und vor allem auch zu etablieren, ja, das war standespolitisch überaus klug, auch hier ein Kompliment an unseren Vorstand. Was für mich persönlich die größte Herausforderung der neuen PAR-Richtlinie war? Die größte Herausforderung ist die langen Behandlungsstrecke. Erstmals rede ich nun mit meinen Patienten, die an einer Parodontalerkrankung leiden, über ein zwei-bis dreijähriges Behandlungsintervall. Dies bedingte Änderungen in unserer Gemeinschaftspraxis, von der Bestellsystematik bis hin zur Bereithaltung von Womanpower für die delegierbaren Anteile. Auch wenn die eine oder andere Stelle nach wie vor in der Umsetzung leicht harzt (was der Komplexität der Richtlinie geschuldet ist), ist mein persönliches Fazit nach einem Jahr „PAR-Richtlinie neu“ ein sehr positives!“ Dr. Elmar Ludwig Ulm „Die neuen PAR-Leistungen habe ich schnell ‚ins Herz geschlossen‘. Jetzt können wir unseren PAR-Patienten medizinisch notwendige Leistungen zu Lasten der Krankenkasse anbieten. Das ist vor allem für die Patienten hilfreich, die sich diese Leistungen privat bisher nicht leisten konnten oder wollten. Klar, die Organisation der Termine mit Einhaltung der geforderten Zeitabstände ist eine logistische Herausforderung, aber machbar. Bei Pflegegrad ermöglicht die verkürzte Strecke (§ 22a) ohne Genehmigungspflicht zudem eine unbürokratische, systematische parodontale Behandlung ohne große Verzögerung – ein großer Schritt, der dem Bedarf im Alltag sehr entgegenkommt. PBa & PBb ersetzen für mich jedoch nicht das parodontale Aufklärungs- und Therapiegespräch (ATG). Im Mundgesundheitsplan ist zwar der Punkt ‚Behandlungseinwilligung erfolgt‘ aufgeführt. Der stetig zunehmende Aufwand für Behandlungs-Aufklärungen auch der betreuenden Personen sollte aber als eigenständige Beratungsleistung anerkannt werden.“ Foto: R. Heuser Foto: Bildwerk 89 ZA Leonie Wälder Stuttgart „Ich finde es sehr gut, dass die gesetzliche Krankenkasse die PAR-Therapie deutlich besser unterstützt, ganz besonders die unterstützende Parodontaltherapie (UPT). Das war längst überfällig und sichert den Behandlungserfolg sehr gut ab. Schade finde ich, dass Raucher in diesem Fall bevorzugt werden und nicht ein gesunder und die Solidargemeinschaft förderlicher Lebensstil belohnt wird. Dankenswerterweise wurden von der KZV BW viele und anschauliche Informationen zum Thema der Abrechnung angeboten. Es war möglich, sich viel anzulesen, Podcasts anzuhören oder Videoaufzeichnungen und Videovorträge anzuschauen. Das hat die Anpassung in der Praxisorganisation sehr gut unterstützt. Trotzdem sind so umfangreiche Änderungen immer mit Übergangsphasen und Unsicherheiten verbunden und ich befürchte, es wird nicht lange dauern, bis die Krankenkassen versuchen, die neuen Behandlungen und Behandlungsstrecken durch Regresse nochmals rückwärts zu drehen. Ich denke und hoffe, dass wir in diesen Fällen in der KZV BW einen starken Partner an unserer Seite haben werden.“

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