20_BERUFSPOLITIK ZBW_7/2022 www.zahnaerzteblatt.de Kammer Konversation „DIGITALISIERUNG IST ERFOLG- REICH, WENN WIR ALLE OFFEN SIND, NEUE WEGE ZU GEHEN“ Für die Politik gibt es aktuell zwei Allheilmittel im Bereich der Gesundheit, beobachtet LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert. Und das sind Bürokratie und Digitalisierung. Insbesondere die Digitalisierung ziehe sich wie ein roter Faden durch sämtliche Bereiche des Gesundheitswesens. „Der Berufsstand sieht die Digitalisierung mit einem lachenden und mit einem weinenden Auge“, gab Dr. Tomppert Einblick in die Seelenlage der Zahnärzteschaft. Grund genug, der Politik in puncto Digitalisierung einmal auf den Zahn zu fühlen. Gemeinsam baten LZK-Präsident Dr. Torsten Tomppert und sein Stellvertreter Dr. Bert Bauder, deshalb den Beauftragten für Digitalisierung der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg, Ansgar Mayr, zur Kammer Konversation. Dr. Bauder: Bei der elektronischen Patientenakte ist es für uns Mediziner allerdings schwierig, wenn die Patienten entscheiden, welche Bereiche sie freigeben. Wir können uns nicht darauf verlassen und im Notdienst ist es problematisch, die Fülle an Informationen in der Eile zu checken. Ansgar Mayr: Sie haben recht. Deshalb müssen wir noch mehr Überzeugungsarbeit bei den Patienten leisten, ihnen die Ängste nehmen und die Chancen aufzeigen. Eine datenschutzrechtlich sicher organisierte Gesundheitskarte, auf der Krankheiten, Allergien, Medikation eines Patienten vermerkt sind, würde die Arbeit der Mediziner erleichtern, Missverständnisse ausräumen können und vielleicht sogar Leben retten. Ansgar Mayr: „Die Nichtnutzung von Digitalisierung und KI beeinträchtigt das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient eher als die Nutzung moderner Technologien.“ Dr. Tomppert: Wird der digitale Hype aktuell nicht ein wenig übertrieben und der Mensch vergessen? Ansgar Mayr: Wir können und wollen die Digitalisierung ausdrücklich in keinem Bereich ausnehmen. Grundsätzlich stehe ich daher auch der Digitalisierung im Gesundheitswesen sehr offen gegenüber. Gerade, weil der Mensch im Mittelpunkt stehen soll, sollten wir digitale Hilfe überall dort einsetzen, wo sie Pflegende und Mediziner entlasten und unterstützen kann und den Patientinnen und Patienten Vorteile bringen. Foto: S. O. Schiebel Dr. Tomppert: In diesem Zusammenhang möchte ich auf die Schaffung des europäischen Gesundheitsdatenraums durch die Europäische Kommission verweisen, der für einen Austausch und den Zugriff auf unterschiedliche Gesundheitsdaten sorgen wird und verspricht, die Übertragbarkeit der Gesundheitsdaten zu verbessern. Andrea Mader: Die Landesregierung hat kürzlich den Aufbau eines Reallabors „Künstliche Intelligenz im Gesundheitswesen“ beschlossen. Was erhoffen Sie sich von dieser Initiative? Ansgar Mayr: Bei der Untersuchung und Behandlung von Patientinnen und Patienten werden viele Daten produziert. Außerdem lassen sich Erkenntnisse ableiten, die man bei klinischen Studien, Krankenakten oder Krankenbildern gewinnen kann. Hier setzt die
ZBW_7/2022 www.zahnaerzteblatt.de 21_BERUFSPOLITIK künstliche Intelligenz (KI) an. KI soll uns dabei unterstützen, künftig die vielfältigen Daten genau zu analysieren und daraus Muster abzuleiten. Wir wollen den Gesundheitsstandort damit weiter stärken und erhoffen uns, die Behandlung von Krankheiten und damit einhergehende Therapien zu verbessern. Außerdem wollen wir Spitzentechnologie und Hightech-Forschung, die in Baden-Württemberg vorhanden ist, schneller in die Praxis umsetzen und den Menschen zugutekommen lassen. Andrea Mader: Um die digitale Nutzung von Gesundheitsdaten zu verbessern, hat die Landesregierung die Roadmap Gesundheitsdatennutzung auf den Weg gebracht. Gesundheitsdaten sind jedoch besonders sensible Daten und keine kommerzielle Ware. Wie wollen Sie den Schutz der Privatsphäre und die Sicherheit der Daten gewährleisten? Dr. Bert Bauder: „Im Juli geht eine E-Learning-Plattform für professionell Pflegende online, mit wissenschaftlich fundierten Informationen rund um das Thema Mundgesundheit, die unbedingt beworben werden muss.“ Foto: C. Richter Ansgar Mayr: Die digitale Erfassung und die Nutzung von Gesundheitsdaten sind mit bedeutenden Chancen für die Weiterentwicklung medizinischer und gesundheitlicher Leistungen und für die Förderung von Innovationen verbunden. Die Weiterentwicklung der Medizin ist in hohem Maße davon abhängig, dass Daten, die in der medizinischen Versorgung, der klinischen Forschung, in klinischen Studien, im Rahmen von Produktentwicklungen oder von Patientinnen und Patienten selbst erhoben wurden, erfasst, zugänglich und nutzbar gemacht werden. Gleichzeitig ist vollkommen unstrittig, dass es sich bei Gesundheitsdaten um besonders sensible Daten handelt, die einen besonderen Schutz erfordern. Deshalb ist es so wichtig, dass wir die Entwicklung von Techniken zur Nutzung von Gesundheitsdaten nicht kommerziellen Anbietern überlassen, sondern sie unter dem Dach des vom Land initiierten Forums Gesundheitsstandort Baden- Württemberg proaktiv vorantreiben. In der Gesamtschau befindet sich das Land mit der Roadmap Gesundheitsdatennutzung in meinen Augen auf einem guten und überzeugenden Weg. Dr. Bauder: Ich erachte die Lösung in Dänemark mit einem zentralen Register, auf das Mediziner zugreifen, für wesentlich geeigneter als die Insellösung in Deutschland, bei der die Patienten ihre Daten freigeben. Hinzu kommt ein überaus strenger Landesdatenschutzbeauftragter, der uns das Leben nicht gerade leicht macht. Dr. Tomppert: Ich erachte das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg, das darauf abzielt, den Gesundheitsstandort Baden-Württemberg auf ein höchstmögliches Niveau zu entwickeln, als eine gute Sache und würde sehr gerne die Expertise der Landeszahnärztekammer für eine Mitarbeit anbieten. Angar Mayr: Das Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg ist sehr heterogen und unter Beteiligung verschiedener Ministerien aufgestellt. In diesem Forum müssen unbedingt Expertinnen und Experten als Akteure des Gesundheitswesens mit ins Boot geholt werden, um mit Input aus der praktischen Arbeit zu unterstützen. Andrea Mader: Auch bei Einsatz digitaler Technik oder KI müssen Patienten darauf vertrauen können, dass die Behandlungen seitens der Heilberufe in eigener Verantwortung auf fachlicher Basis und unabhängig von externen Interessen erbracht werden. Das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient muss wesentliche Grundlage bleiben und darf die freiberufliche Berufsausübung keinesfalls einschränken. Wie stellen Sie sicher, dass das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient nicht beeinträchtigt wird? Foto: C. Richter Dr. Torsten Tomppert: „Ich würde gerne die Expertise der Landeszahnärztekammer im Forum Gesundheitsstandort Baden-Württemberg einbringen.“ Ansgar Mayr: Ich kann die subjektiven Befürchtungen nachvollziehen, halte sie aber gleichzeitig für unbegründet. Ich glaube, dass insbesondere im Gesundheitswesen KI nur dann eine flächendeckende Akzeptanz finden wird, wenn sie gleichermaßen den Interessen der Patientinnen und Patienten wie den Interessen der Behandler dient. Und ich bin überzeugt davon, dass die Digitalisierung – inklusive der Nutzung von KI – das auch erreichen kann. Ich gehe sogar so weit, dass ich denke, dass mittelfristig die Nichtnutzung von Digitalisierung und KI das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient eher beeinträchtigen wird als die Nutzung moderner Technologien. Eine gut gemachte, nicht überregulierte, aber mit klaren Spielregeln versehene KI hat nicht nur ein riesiges Potenzial, die Qualität der Versorgung zu verbessern, sondern sie ist angesichts des demografischen Wandels auch unerlässlich, um eine zukunftsfähige und qualitativ hochwertige Versorgung in der Fläche sicherzustellen. Dr. Tomppert: Ich bin überzeugt, dass der Digitalisierung insbesondere im ländlichen Raum, eine große Bedeutung zukommt. Und in der Pflege. 180.000 fehlende Pflegekräfte – das kann nur mit Hilfe der Digitalisierung gestemmt werden. Es ist uns daher ein großes Anliegen, die Gesundheitskompetenz der Bürger zu stärken. Wir zeigen aktuell in Podcasts verschiedene Behandlungsmethoden. Meine Anregung wäre eine neutrale Plattform, um die Gesundheitskompetenz der Bürger zu stärken. Ansgar Mayr: Da rennen Sie bei mir offene Türen ein. Ich begrüße es sehr, wenn das digitale Knowhow sowie die Gesundheitskompetenz der Bürgerinnen und Bürger gestärkt werden. Dr. Tomppert und Dr. Bauder: Wir danken Ihnen für das Gespräch und sehen uns bei der Stallwächterparty.
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