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Nachhaltigkeit in der Zahnmedizin

Ausgabe 7/2022

14_TITELTHEMA ZBW_7/2022

14_TITELTHEMA ZBW_7/2022 www.zahnaerzteblatt.de ein durchgehender meterlanger Solarzaun den kurzen Abstand zum natürlichen Hochwasserschutz der Elz in Teningen. Beim Betreten der Praxis fällt der Blick unwillkürlich auf die senkrechten Solarpanels an der Hausfassade. Weitere Solarzellen bedecken das komplette Dach des Gebäudes. Dieses kleine Praxis-Kraftwerk produziert über 80 Kilowatt an Energie und deckt den kompletten Bedarf der Praxis für Zahnheilkunde und Kieferorthopädie sowie des eigenen Dentallabors. Innovativ. Dr. Johannes Haderthauer, Dr. Christoph Meschenmoser und Dr. Peter Schmidt (stehend, v. l.), und Planer Detlef Knöller freuen sich über ihre Energieautarkie. „Da steckt schon Idealismus dahinter“, erklärt mir Dr. Johannes Haderthauer, „wir sind sehr stolz darauf, dass wir die Energie für so ein großes Gebäude komplett selbst decken.“ Mit dem Neubau der Praxis an der Elz haben die drei Praxisinhaber – Dr. Christoph Meschenmoser, Dr. Peter Schmidt und Dr. Johannes Haderthauer – Überlegungen für ein modernes Energiekonzept angestellt. Bauen ist teuer. In den meisten Fällen empfehlen die Berater ganz klassisch Gas oder Pellets, erzählt Dr. Christoph Meschenmoser. „Das ist einfach und billig, alle argumentieren gleich, aber das Denken verändert sich und wir wollten einen anderen Weg einschlagen.“ Jetzt kommt Detlef Knöller ins Spiel. Detlef Knöller ist Geschäftsführer des Ingenieurbüros Knöller Immobilien Hausverwaltung Wohnbau und versteht sich als ökologisch orientierter Dienstleister rund um Immobilien. „Unser Ziel ist es, möglichst schonend mit der Umwelt und deren Ressourcen umzugehen.“ Detlef Knöller hat den drei Zahnärzten für den Neubau ihrer Praxis ein energetisches Konzept vorgelegt, das die Drei rundum überzeugt hat. „Das Konzept hat uns fasziniert“, erzählt Dr. Christoph Meschenmoser, „Detlef Knöller hatte eine Vision, diese Vision hat er bereits in seinem eigenen Firmengebäude und in meinem Privathaus, das er vor 15 Jahren als Passivhaus realisiert hat, umgesetzt – das hat uns überzeugt.“ Dr. Peter Schmidt spricht gar von einer „glücklichen Fügung.“ „Mit diesem Konzept haben wir über 30 Prozent an Baukosten gespart und sind komplett unabhängig von fossilen Brennstoffen – angesichts der gestiegenen Energiekosten infolge des Ukraine- Krieges sind wir noch erleichterter über diese Entscheidung.“ Kaum vorstellbar bei dieser Gebäudedimension, aber Fakt: Der gesamte Neubau konnte im vergangenen Jahr innerhalb von nur zehn Monaten realisiert werden. Für das Konzept spricht auch, dass keine Folge- und Wartungskosten entstehen. „Normalerweise ist bei einem Objekt dieser Größenordnung mit 3000 bis 5000 Euro Nebenkosten zu rechnen, hier null Euro“, betont Detlef Knöller und erzählt weiter, dass das gesamte Bauprojekt ohne jegliche staatliche finanzielle Förderung auskommt. 150 PROZENT JAHRESBILANZ Die beiden Windräder produzieren 1,5 Kilowatt. Den größten Anteil der Energie liefern mit mehr als 80 Kilowatt die Solarzellen von Dach, Zaun und Fassade. Das sind 150 Prozent der Energie- Jahresbilanz. Detlef Knöller nimmt mich mit in die Schaltzentrale des kleinen Praxis-Kraftwerks. „Wir haben keine Batterie, das war zu teuer“, erklärt der Energieplaner, „im Sommer produzieren wir einen Überschuss, im November bei Hochnebel liegt der Ertrag der Solaranlage nur noch bei 20 Prozent oder weniger.“ Der Überschuss im Sommer wird ins Netz eingespeist, für nur neun Cent. Im Winter muss zugekauft werden. „Wir holen uns Energie aus

ZBW_7/2022 www.zahnaerzteblatt.de 15_TITELTHEMA Fotos: A. Mader Team. Die Angestellten schätzen ihren innovativen Arbeitsplatz und tragen mit kreativen Ideen zur Weiterentwicklung des Energiekonzepts bei. Firmen-E-Autos. Die Praxisinhaber haben E-Autos bestellt – sie werden zukünftig an vier Ladestationen geladen. dem Netz, für 30 Cent, das ist immer noch billiger als die Batterie“, erläutert Knöller, „kostenmäßig geht sich alles auf Null aus“. 90 Prozent der Energie wird tagsüber im Praxisbetrieb benötigt, nachts braucht es nur 10 Prozent. „Durch die intelligente Steuerung der Anlage reduzieren wir den Energiebedarf des Gebäudes um 60 Prozent.“ PASSIVE KÜHLUNG Der CO2-Monitor auf der großen Tafel im Wartebereich zeigt 541 ppm an. Ab einem Wert von 1.500 ppm Kohlenstoffdioxid wird es kritisch. Im gesamten Praxisgebäude gibt es mehrere CO2- Monitore. Die Messung wird über einen Sensor an der Decke gesteuert. Die Lüftungsanlage des Praxisgebäudes ist zonengeführt, es gibt drei Zonen pro Stockwerk. Es handelt sich um eine passive Kühlung, ohne Klimaanlage. Die Anlage bewirkt, dass die Luftqualität in den Innenräumen und im Freien nahezu gleich ist. Es findet ein permanenter Frischluftaustausch statt. Dr. Meschenmoser hat die gleiche Lüftungsanlage auch in seinem Haus. „Das hat ihn überzeugt, keine Gerüche, die Fenster werden nie geöffnet, auch nicht gekippt – er wollte das gleiche Kühlungssystem auch für die Praxis“, erklärt mir Detlef Knöller. sensoren gesteuerte Infrarot-Heizungsplatten in der Decke. „Jeder Zahnarzt kann die Temperatur am Behandlungsstuhl am PC ändern“, erklärt Detlef Knöller. Durch die intelligente Steuerung, insbesondere die Nachtabsenkung und die Anwesenheitssteuerung, sind Wärmeenergieverluste minimal. Ich frage mich, wie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der smart Praxis klarkommen? „Wir haben ein junges und hoch motiviertes Team“, erzählt mir Dr. Meschenmoser, „anfangs gab es schon eine gewisse Skepsis, aber nachdem die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Technik vertraut waren, entwickelt und verbessert unser Team mit seinen Ideen unser Projekt stetig weiter“. Das gesamte Energiekonzept der Praxis kommt im Team gut an. Aber das Praxisteam an der Elz hat auch einen wunderbaren Arbeitsplatz – mit sehr vielen, nicht überall selbstverständlichen Benefits. Die Praxisinhaber sind gerade dabei, einen kleinen Fuhrpark an E-Autos anzuschaffen, für ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die Firmenautos werden den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gegen einen geringen finanziellen Beitrag über ihr Gehalt zur Verfügung stehen. Sie sollen an vier Ladestationen geladen werden können. Für die Ladestationen wird mehr Energie benötigt – und deshalb wird in Kürze eine weitere Fassade komplett mit Solarpanels bedeckt sein. Langfristig sollen die Firmen-E-Autos tagsüber laden und dann nachts das Gebäude mit der geladenen Energie versorgen. „Das ist technisch möglich, aber in Deutschland leider noch verboten“, bedauert Detlef Knöller. Zukunftsmusik mobiler Speicher – wir sehen uns in zwei Jahren wieder! Andrea Mader SMART PRAXIS Ruth Braun hat es gerne etwas wärmer an ihrem Arbeitsplatz, besonders im Fußbereich. Kein Problem: Per Handy kann die Datenschutz- und QM-Beauftragte die Temperatur individuell anpassen. Auch die Heizung der Praxis wird über das Praxis-Kraftwerk betrieben, ebenso wie das Warmwasser. An jedem Arbeitsplatz, aber auch in allen Behandlungsräumen finden sich über Bewegungs- Klimapositiv. Solarzellen von Dach, Zaun und Fassade sowie zwei Windräder produzieren über 80 Kilowatt Energie.

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