38 Fortbildung Abb. 4a Abb. 4b Dreidimensionale virtuelle Planung der bignathen Umstellungsosteotomie. (a) Virtuelle Planung der Osteotomielinien für die Le-Fort-I Osteotomie, die sagittale Unterkieferspaltung nach Obwegeser/DalPont und die Kinnplastik, (b) nach Neupositionierung des Oberkiefers, Unterkiefers und Kinns in allen drei Raumachsen (Abb. 4a u. b). einem signifikanten Ausmaß zu vergrößern (Goncalves, Buschang et al. 2006) Fallbericht. Die Patientin wurde erstmalig im Alter von 18 Jahren zur Evaluation und Therapie ihrer rechtsseitigen hemifazialen Mikrosomie an der Mund-, Zahn-, Kieferklinik des Universitätsklinikum Heidelberg vorstellig (Abb. 1). Die klinische und röntgenologische Untersuchung ergab eine HFM Typ IIa mit Hypoplasie des rechten Kiefergelenks und vertikaler Unterentwicklung des rechten Ramus, einer mandibulären Mittellinienverlagerung nach rechts und einer schiefen Kauebene mit entsprechender Gesichtsasymmetrie. Der intraorale Befund zeigte eine Distalverzahnung mit Labialkippung der Oberkiefer-Frontzähne und frontalem Engstand im Unterkiefer (Abb. 1). Bei bereits abgeschlossenem skelettalen Wachstum wurde eine kombiniert kieferorthopädisch-kieferchirurgische Therapie gewählt. Der chirurgische Eingriff sollte eine bignathe Umstellungsosteotomie sowie die Rekonstruktion des rechten Kiefergelenks mit einer patientenindividuellen Kiefergelenk-Totalendoprothese umfassen. Kieferorthopädische Vorbehandlung. Im Rahmen der präoperativen kieferorthopädischen Therapie wurden im Oberkiefer die Zähne 14 und 25 und im Unterkiefer die Zähne 34 und 44 extrahiert. Im Oberkiefer erfolgte eine Retrusion der Frontzähne mit Ausgleich der alveolären Mittellinienverschiebung und Schluss des Diastema mediale. Im Unterkiefer wurde der frontale Engstand bei maximaler Verankerung aufgelöst. Die Zähne 41 und 43 wurden eingeordnet und die alveoläre Mittellinienverschiebung korrigiert. Die postoperative Zielverzahnung ist eine neutrale Verzahnung im 3er- und 6er-Bereich bei gesichertem Overjet und Overbite. Virtuelle dreidimensionale Planung. Nach erfolgter kieferorthopädischer Ausformung im Alter von 21 Jahren wurde bei der Patienten der chirurgische Eingriff vorgenommen (Abb. 2). Für die virtuelle Planung der bignathen Umstellungsosteotomie und der patientenindividuellen Kiefergelenk-Endoprothese wurde zunächst ein dreidimensionaler Datensatz mittels Computertomografie erstellt (Abb. 3). Für die virtuelle Planung der bignathen Umstellungsosteotomie werden zunächst die Osteotomielinien virtuell geplant: Le-Fort-I-Osteotomie, sagittale Unterkieferspaltung nach Obwegeser/DalPont und Kinn-Osteotomie (Abb. 4 a). Im Gegensatz zur herkömmlichen Planung können bei der virtuellen Planung der Osteotomielinien patientenspezifische und anatomische Besonderheiten wie beispielsweise der Verlauf des N. alveolaris inferior berücksichtigt werden. Die Neupositionierung des Oberkiefers erfolgt nach einem an der Universitätsklinik Heidelberg etablierten schrittweisen Protokolls unter Berücksichtigung 3D-kephalometrischer und ästhetischer Gesichtspunkte nach dem „Maxilla-first“-Prinzip. Hierbei kann der Oberkiefer in allen drei Raumebenen körperlich bewegt werden (Translation), aber auch um alle drei Raumachsen gedreht werden. (rotation: „roll“, „pitch“ und „yaw“). In dem vorliegenden Fall umfasst die chirurgische Planung eine Le-Fort-I-Osteotomie mit Impaktierung auf der linken Seite sowie eine Kaudalisierung auf der rechten Seite zur Korrektur der Okklusionsebene („Roll“-Korrektur). Beim Unterkiefer erfolgt ein Advancement durch einen sagittalen Split auf der linken Abb. 5 Positionierungssplints zum Transfer der virtuellen Planung in den operativen Situs. (links) „Intermediate“-Splint, (rechts) „Final“-Splint (Abb. 5). ZBW 8-9/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Fortbildung 39 Abb. 6 Abb. 7 Virtuelle Planung der Resektion des Gelenkfortsatzes (links) und Design der Resektionsschablone (rechts) (Abb. 6). Kiefergelenkendoprothese. Virtuelle Planung der patientenindividuellen Kiefergelenkendoprothese mit Fossa- Komponente (Abb. 7 ). Seite sowie eine Rotation gegen den Uhrzeigersinn („counterclock-wise“ rotation). Zur weiteren Korrektur der Asymmetrie wird zusätzlich eine Kinnplastik virtuell geplant (Abb. 4b). Zum Transfer der virtuellen Planung in den operativen Situs werden Positionierungssplints im additiven Verfahren hergestellt („Intermediate“ und „Final“ Splint) (Abb. 5). Auf Grundlage dieser Planungsdaten erfolgt nun die virtuelle Planung der patientenindividuellen Kiefergelenk-Totalendoprothese mit der Analyse-Software von 3-D-Systems in Zusammenarbeit mit der Firma Zimmer BIOMET. Zunächst wird der zu resezierende knöcherne Anteil des Gelenkfortsatzes definiert und virtuell die Resektionsschablone für den Unterkiefer geplant (Abb. 6). Im nächsten Schritt folgt das virtuelle Design der Fossa-Komponente sowie die Gelenkkopfprothese (Abb. 7). Die Fossa-Komponente wird aus einem speziellen Kunststoff (Ultra High Molecular Weight Polyethylene) und die individuellen Gelenkkopfprothesen aus einer titanbeschichteten Chrom-Kobalt-Legierung hergestellt. Operatives Vorgehen. Die Operation wird unter Allgemeinanästhesie und nasotrachealer Intubation durchgeführt. Nach der Le-Fort-I-Osteotomie wird zunächst die Neupositionierung des Oberkiefers mit Hilfe des Intermediate-Splint vorgenommen und mit Miniplattenosteosynthese fixiert. Im Anschluss erfolgt der sagittale Split auf der linken Seite nach Obwegeser/DalPont. Bei der nun folgenden Rekonstruktion des Kiefergelenks von extraoral wird zur Vermeidung einer Kontamination die Mundhöhle mit Opsite-Folie versiegelt und das OP-Instrumentarium gewechselt. Zur Veranschaulichung der virtuellen Planung während des Eingriffs steht ein stereolithografisches 3D-Modell des Schädels zur Verfügung (Abb. 8a). Zusätzlich dient ein Kunststoff- Dummy der Fossa und der Gelenkprothese zur Vorbereitung des Prothesenlagers, um die eigentlichen Komponenten bis zur endgültigen Fixierung zu schonen (Abb. 8a). Zunächst wird ein präaurikulärer sowie ein retromandibulärer Zugang präpariert und beide Zugänge über eine stumpfe Tunnelierung verbunden (Abb. 8b). Dann folgt im ersten Schritt das Anpassen der Resektionsschablone sowie die Resektion des Gelenkfortsatzes gemäß der virtuellen Planung (Abb. 8c, d, e). Die Resektionsschablone enthält zusätzlich die Informationen der Bohrlöcher für die spätere Fixierung der Prothese. Hierbei wird die exakte Schraubenlänge sowie die Schraubenposition unter Berücksichtigung des Verlaufs des N. alveolaris inferior bei der virtuellen Planung definiert (Abb. 8f). Im nächsten Schritt erfolgen die Bohrungen für die Fossa- Komponente ebenfalls über eine Bohrschablone. Danach wird die Fossa-Komponente sowie die Gelenkprothese fixiert (Abb. 8g, h). Die jeweilige Schraubenlänge wurde bereits im Rahmen der virtuellen Planung anhand des CT-Datensatzes exakt definiert. Nach Einlage einer Redondrainage und mehrschichtigem Wundverschluss erfolgt der erneute Wechsel nach intraoral. Hier wird die Zielokklusion mittels „Final“-Splint und intermaxillärer Fixierung eingestellt. Im letzten Schritt erfolgt die Fixierung im Bereich der sagittalen Unterkieferspaltung auf der linken Seite mittels semirigider Plattenosteosynthese. Nach Lösen der intermaxillären Fixierung wird die Zielokklusion überprüft. Typ I IIa IIb Merkmale Normal konfigurierter jedoch hypoplastischer Unterkiefer und Kiefergelenk Abnorme Konfiguration und Hypoplasie des Unterkiefers (Ramus Mandibulae) und des Kiefergelenks mit Artikulation in der Fossa glenoidalis Deutlich abnorme Konfiguration und Hypoplasie des Unterkiefers (Ramus Mandibulae) und des Kiefergelenks ohne Artikulation in der Fossa glenoidalis III Aplasie des Unterkiefers (Ramus Mandibulae) und des Kiefergelenks, M. pterygoides lateralis und M. temporalis haben keine Verbindung zum hypoplastischen Unterkiefer Mandibuläre Hypoplasie. Einteilung der mandibulären Hypoplasie nach Pruzansky (1979) und Kaban et al. (1988). (Tab. 1). www.zahnaerzteblatt.de ZBW 8-9/2018
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