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MVZ – Kapitalinvestoren beschränken

Ausgabe 8-9/2018

36 Fortbildung

36 Fortbildung Behandlung einer Patientin mit hemifazialer Mikrosomie Bignathe Umstellungsosteotomie mit alloplastischem Kiefergelenkersatz Die hemifaziale Mikrosomie (HFM) stellt eine komplexe kraniofaziale Fehlbildung dar. Der vorliegende Beitrag beschreibt die interdisziplinäre Behandlung einer ausgewachsenen Patientin mit HFM bei der zur Korrektur eine bignathe Umstellungsosteotomie in Kombination mit einem alloplastischen Kiefergelenkersatz durchgeführt wurde. Hemifaziale Mikrosomie. Die Hemifaziale Mikrosomie (HFM, okuloaurikulovertebrales Syndrom, Dysostosis otomandibularis) ist die zweithäufigste kraniofaziale Anomalie nach den Lippen-Kiefer-Gaumenspalten mit einer Inzidenz von 1:3500 bis 1:5600 Lebendgeburten (Hunt und Hobar 2002, Werler, Sheehan et al. 2004). Der oft fälschlicherweise als Synonym verwendete Begriff des Goldenhaar Syndroms ist nur für eine kleine Subgruppe der Patienten mit HFM zutreffend. Die Ätiologie und Pathogenese der HFM ist nicht vollständig verstanden, jedoch wird eine Störung innerhalb der ersten und zweiten Kiemenbögen in der Embryonalentwicklung angenommen (Horgan, Padwa et al. 1995, Werler, Sheehan et al. 2004). Die Klinik der HFM umfasst ein extrem breites Spektrum an kraniofazialen Fehlbildungen und ist vor allem durch seine unterschiedliche Ausprägung und Variabilität der klinischen Merkmale gekennzeichnet. Pathognomonisch ist die einseitige Unterentwicklung der Mandibula, wobei der Grad der Hypoplasie mit der Schwere weitere Fehlbildungen korreliert (Mulliken und Kaban 1987, Kaban, Moses et al. 1988). Die Klassifikation der HFM erfolgt nach Pruzansky und wurde 1988 von Kaban weiter modifiziert (Kaban, Moses et al. 1988) (vergleiche Tabelle 1). Dieses Klassifikationssystem ist aufgrund seiner Einfachheit ein im klinischen Alltag nützliches Instrument und erlaubt eine gute Kommunikation zwischen den einzelnen Behandlern. Bei der Behandlung der HFM besteht weiterhin große Uneinigkeit über den idealen Zeitpunkt für die Rekonstruktion der Hart- und Weichgewebe. Ein schwer deformiertes oder fehlendes Kiefergelenk erfordert oft eine frühere Rekonstruktion bereits im Kindesalter. Im Erwachsenenalter ist die chirurgische Wiederherstellung des temporomandibulären Komplexes unerlässlich für eine regelrechte Funktion des stomatognathen Systems und für die Ästhetik. Für die Rekonstruktion des Kiefergelenks werden sowohl autologe als auch alloplastische Verfahren verwendet, wobei auch hier ein Disput über die am besten geeignete Methode besteht (Wolford und Mehra 2000, Saeed und Kent 2003). Als autologe Knochentransplantate stehen eine Vielzahl unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung: Costochondrale- oder sternoclaviculare Transplantate, Beckenkamm, mikrochirurgisches Fibula-Transplantat und der zweite Mittelfußknochen (Os metatarsale II). Das costo-chondrale Abb. 1a Abb. 1b Abb. 1c Abb. 1d Abb. 1e Abb. 1f Erstvorstellung. Klinischer und röntgenologischer Ausgangsbefund bei Erstvorstellung im Alter von 18 Jahren. (a) en face, (b) im Profil, (c) Panoramaschichtaufnahme, (df) intraoraler Befund (Abb. 1a-f). ZBW 8-9/2018 www.zahnaerzteblatt.de

Fortbildung 37 Abb. 2a Abb. 2b Abb. 2c Abb. 2d Abb. 2e Abb. 2f Präoperative Ausgangssituation nach kieferorthopädischer Vorbehandlung im Alter von 21 Jahren. (a) en face, (b) halbseitlich, (c) im Profil, (d-f) intraoraler Befund (Abb. 2a-f). Transplantat ist das am besten beschriebene und meist verwendete für den Ersatz des Kiefergelenks und/oder des Ramus Mandibulae vor allem bei sich im Wachstum befindlichen Patienten (Murray, Kaban et al. 1984, Kaban, Moses et al. 1988, Perrott, Umeda et al. 1994, Saeed und Kent 2003). Der Nachteil der costo-chondralen Knochentransplantate liegt vor allem in dem schwer vorhersagbaren Wachstumsverhalten, einer möglichen Fraktur oder Ankylose und der Resorption des Knochens, was in der Regel weitere chirurgische Eingriffe erfordert (Saeed und Kent 2003). Für die Langzeiteffektivität der früher weit verbreiteten Methode der Distraktionsosteogenese kann zum aktuellen Zeitpunkt aufgrund fehlender randomisierter kontrollierter Studien keine eindeutige Empfehlung gegeben werden (Nagy, Kuijpers-Jagtman et al. 2009) (McCarthy, Schreiber et al. 1992, Rachmiel, Levy et al. 1995). Zeitpunkt. Um ein maximal vorhersagbares Ergebnis mit nur einer Operation zu erzielen, muss ein Zeitpunkt gewählt werden bei dem das skelettale Wachstum weitestgehend abgeschlossen ist. Bei den weiblichen Patientinnen ist im Alter von 15 Jahren das Wachstum des Gesichtsschädel zu 98 Prozent abgeschlossen und bei den männlichen Patienten zwischen dem 17 und 18. Lebensjahr (Riolo 1972). Alloplastische Rekonstruktionen mit einer Kiefergelenk-Endoprothese erlauben eine anatomisch exakte Wiederherstellung mit Erhalt der vertikalen und horizontalen Dimension, keine Entnahmemorbidität und eine Minimierung des Risikos auf eine Ankylose (Wolford und Mehra 2000, Wolford, Pitta et al. 2003). Der Nachteil liegt jedoch in der unbekannten voraussichtlichen Lebensdauer der Prothesen, der Möglichkeit einer Fremdkörperreaktion und der mit der aufwendigen Fertigung verbundenen hohen Kosten (van Loon, de Bont et al. 1995). Patienten mit HFM leiden häufig aufgrund der retrudierten Mandibula zusätzlich an einer obstruktiven Schlafapnoe (OSA). Ein Advancement des mandibulomaxillären Komplexes mit einer Rotation gegen den Uhrzeigersinn („counterclockwise rotation“) kann hierbei sehr effektiv sein, um den pharyngealen Atemweg in Abb. 3a Abb. 3b Präoperative Bildgebung mittels Computertomografie. Dreidimensionale Rekonstruktion (a) frontal, (b) seitlich (Abb. 3a und b). www.zahnaerzteblatt.de ZBW 8-9/2018

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