24 Berufspolitik Versorgung im ländlichen Raum Landarztquote als Steuerungsmodell? Einerseits strenge Zulassungsbeschränkungen zum Studium, gleichzeitig ein zunehmender Mangel an Ärzten und Zahnärzten im ländlichen Raum: Politiker unterschiedlicher Couleur sehen hier nicht nur einen Zusammenhang, sondern auch eine potenzielle Lösungsstrategie für ein Versorgungsproblem, das in manchen Teilen Deutschlands bereits virulent ist. Junge (Zahn-)ärztinnen und -ärzte zieht es immer mehr in die Ballungszentren. Die Einzelpraxis in eigener Verantwortung, noch dazu im ländlichen Raum, wird dagegen immer unattraktiver – Praxisinhaber suchen oft vergeblich Nachfolger. Die Selbstverwaltungskörperschaften werden in den kommenden Jahren zunehmend mit dem Problem konfrontiert sein, wie sich angesichts dieser Entwicklung der Versorgungsauftrag flächendeckend sicherstellen lässt. Versorgung. Im ländlichen Raum stellen sich durch den zunehmenden Mangel an Ärzten und Zahnärzten und die mancherorts drohende Unterversorgung zentrale Versorgungsfragen, die einer Lösung bedürfen. Ende 2017 wurde das bisherige Prozedere bei der Studienplatzvergabe im Fach Medizin teilweise für verfassungswidrig erklärt. Insbesondere bemängelten die Karlsruher Richter, dass zu viel Gewicht auf die Abiturnote gelegt werde. Aus dem richterlichen Auftrag, zu einer gerechteren Vergabe zu kommen, ergeben sich neue Chancen, nicht nur für die angehenden Studierenden, sondern auch für die Gesundheitsversorgung generell. Und nicht zum ersten Mal in der Geschichte des bundesdeutschen Föderalismus versuchen Gesundheitspolitiker aus der enormen Nachfrage nach den begehrten Studienplätzen Hilfsprogramme für die zunehmend dünne Personaldecke auf dem Land zu stricken. Landarztquote. Ein in mehreren Bundesländern vorangetriebenes Modell ist die sogenannte Landarztquote, mit der ein bestimmter Anteil der Studienplätze gezielt an Bewerberinnen und Bewerber vergeben wird, die sich vertraglich verpflichten, eine gewisse Zeit in unterversorgten Gebieten zu praktizieren. Grundlage ist der von Bund und Ländern 2017 beschlossene „Masterplan Medizinstudium 2020“. Foto: shutterstock/Juergen Faelchle Ganz aktuell hat die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen einen Gesetzentwurf vorgelegt, mit dem ab dem Wintersemester 2019/2020 zunächst 168 der Medizin-Studienplätze (insg. 7,6 Prozent) nach einem besonderen Auswahlverfahren vergeben werden sollen: Wer bereits eine Ausbildung im medizinischen Bereich absolviert hat, wer sich ehrenamtlich engagiert und zudem einen speziellen Eignungstest für Landärzte übersteht, soll auch ohne Einser-Abitur die Chance auf ein Medizinstudium haben. Die Quote soll nicht nur für Allgemeinmediziner, sondern auch für Kinderärzte und Internisten gelten. „Ich kenne auch gute Mediziner, die eine drei als Abiturnote hatten“, erklärte unlängst der federführende Minister für Arbeit, Gesundheit und Soziales Karl Josef Laumann (CDU). Explizit werden im Gesetzentwurf Empathie und Sozialkompetenz als wichtige Schlüsselfaktoren genannt. Mit diesem Instrument erhofft sich die NRW-Regierung Linderung für den Ärztemangel auf dem Land. Für die Zahnmedizin gilt diese Quote zwar nicht, aufgrund vergleichbarer Probleme sind dahingehende Initiativen aber durchaus denkbar. Sanktionen. Die Studierenden in NRW, die von der Landarztquote profitieren sollen, müssen sich im Gegenzug vertraglich verpflichten, für zehn Jahre in unterversorgten oder von Unterversorgung bedrohten Gebieten zu arbeiten. Sanktionen sind im Gesetz nicht geregelt, Minister Laumann zufolge drohen jedoch Vertragsstrafen, die sich an den Kosten des Studiums orientieren – bis zu 250.000 Euro stehen dabei im Raum. Erfahrungen aus den 80er-Jahren deuten jedoch auf eine hohe Quote von Vertragsbrüchigen hin, die die fällige, aber offenbar zu niedrig angesetzte Konventionalstrafe bezahlt haben. Analog dazu stehen auch die Probleme der Bundeswehr, die angehenden Ärzten ein Studium der Medizin oder Zahn- ZBW 8-9/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Berufspolitik 25 medizin ermöglicht und finanziert, wenn diese sich dafür für 17 (!) Jahre verpflichten. Ob das jetzt diskutierte Strafmaß die Studierenden davon abhält, sich später von ihrer Verpflichtung freizukaufen, bleibt abzuwarten. In Bayern, dessen Landesregierung ebenfalls die Einführung einer Landarztquote vorbereitet, ist unter Bezug auf Rechtsgutachter des Bundesgesundheitsministeriums ein Strafmaß von 150.000 Euro im Gespräch. Die Befürchtung, der wohlhabende Münchner Radiologe könne seinem Sohn und designiertem Praxisnachfolger über die Landarztregelung trotz nicht erreichten NCs ein Studium „kaufen“, lässt sich so jedenfalls kaum zerstreuen. Dabei ist die mit der geplanten Quote einhergehende Verpflichtung nichts völlig Neues: Auch die bestehende Förderung über das Stipendienprogramm des Bayerischen Gesundheitsministeriums setzt voraus, dass Medizinstudierende die fachärztliche Weiterbildung im Fördergebiet absolvieren und dann mindestens 60 Monate dort tätig sind – die Einschränkungen sind mithin deutlich begrenzter als bei der Landarztquote. Bewertung. Die Beurteilung dieser Maßnahme fällt auch unter den Akteuren des Gesundheitswesens zwiespältig aus. Ob man nun primär eine Einschränkung der freien Berufsausübung sieht, oder aber ein freiwilliges Angebot, damit mehr junge Menschen ihren Traum von einem Medizinstudium verwirklichen können und zusätzlich die Versorgung gestärkt wird – viele Fragen sind bis heute ungeklärt. einflusst werden. So kritisiert auch der Bundesverband der Medizinstudierenden in Deutschland eine „unverhältnismäßige Einschränkung der beruflichen Wahlmöglichkeiten“. Minister Laumann hingegen argumentiert, er wolle niemanden zwingen, aber denjenigen, deren erklärtes Ziel der Landarztberuf sei, ein Studium ermöglichen. Ob in der Realität nicht doch viele Profiteure der Quote eher widerwillig ihre zehn Jahre „absitzen“ werden, bis sie in urbane Zentren ziehen dürfen, bleibt abzuwarten. Perspektiven. Weiterhin stellt sich die Frage, was es für das Image des Landarztes bedeutet, wenn potenzielle Bewerberinnen und Bewerber mit der Aussicht auf einen Studienplatz geködert werden sollen, den sie nur dank eines Sonderprogramms bekommen. In Schleswig-Holstein, dessen Landesregierung ebenfalls eine Landarztquote einführen will, sieht Ärztekammer- Präsident Bartmann darin „implizit das Eingeständnis, dass die Tätigkeit als Landarzt per se unattraktiv ist“. Um für die Zukunft genügend Ärzte und Zahnärzte zu finden, die sich freiwillig und aus eigenem Antrieb im ländlichen Raum niederlassen wollen, zählen zweifellos andere Faktoren. Hier muss die Politik ein umfassendes Paket schnüren, um die Lage vor Ort den Bedürfnissen der nächsten Generation, insbesondere auch junger Familien anzupassen. Gute Bildung und Betreuung, wirtschaftliche Perspektiven auch für den/die Partner/in, eine moderne öffentliche Infrastruktur durch gute Verkehrsverbindungen und schnelles Internet, kulturelle Angebote – das und vieles mehr wäre ein Weg, damit kleine Kommunen den Ballungszentren etwas an Attraktivität entgegensetzen können. Und natürlich muss sich auch die Selbstverwaltung hier einbringen, indem sie Vernetzung fördert und den Nachwuchs bei der Niederlassung im ländlichen Raum gezielt unterstützt und begleitet. Fazit. Dennoch bleibt festzuhalten: Den zwei einwohnerstärksten Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Bayern sowie weiteren Landesregierungen, die sich entsprechend positioniert haben, geht es längst nicht mehr um einen regionalen Modellversuch, sondern um eine tiefgreifende Neuerung in den Ausbildungsstrukturen des medizinischen Nachwuchses, die mittelfristig in immer mehr Ländern umgesetzt werden kann. Als Maßnahme, um schon bei der Auswahl der Studienbewerber gezielt die bestehenden Strukturfragen des Gesundheitswesens zu berücksichtigen, könnte eine solche Quote vielleicht taugen. Um den ländlichen Raum als Arbeitsumfeld gerade für Ärzte und Zahnärzte auf Dauer attraktiv zu halten oder wieder attraktiver zu machen, ist sie sicherlich unzureichend. » holger.simon-denoix@kzvbw.de Frühe Entscheidung. Fachlich scheint es zumindest fragwürdig, ob man bereits von Studienanfängern verlangen kann, sich sofort auf einen Bereich festzulegen, obwohl sie die Vielfalt der medizinischen Fachgebiete noch gar nicht überblicken können. Denn es ist unbestreitbar, dass Ärztinnen und Ärzte, die schon im Vorhinein auf einen bestimmten Studienschwerpunkt verpflichtet werden und diesen während des Studiums ungeachtet aller persönlichen Erfahrungen nicht mehr ändern können, in ihrer Lebensplanung be- Lösungsmodell. Landarzt gesucht: Die zwei einwohnerstärksten Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Bayern sowie weitere Landesregierungen treiben als Lösungsmodell die so genannte Landarztquote voran. Foto: shutterstock/Robert Kneschke www.zahnaerzteblatt.de ZBW 8-9/2018
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