14 Berufspolitik Interview mit Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV Spielraum für MVZ-Kapitalinvestoren muss massiv beschränkt werden! Folgenreiche Veränderungen in der Versorgung durch arztgruppengleiche Zahnarzt-MVZ, ungebremstes Wachstum und Kettenbildung, Goldgräberstimmung bei Finanzinvestoren: „Die Zerstörung bewährter Versorgungstrukturen wird billigend in Kauf genommen und einer industrialisierten Zahnmedizin der Weg bereitet“, formuliert es drastisch Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Und das sei alles andere als eine Übertreibung, fügt er an, denn die zahnmedizinische Versorgung drohe „zum Spielball von Kapitalinteressen und den ungezügelten Kräften des Marktes zu werden“. Mit dem komplexen Thema Zahnarzt-MVZ hat sich die Vertreterversammlung der KZBV im Juni intensiv befasst. Im ZBW-Interview: Fragen zur Situation, zu den Folgen und zu möglichen Lösungen an Dr. Wolfgang Eßer. Weckruf. Eklatante Fehlentwicklung stoppen! „Wir werden zusammen dafür sorgen, dass die Politik unseren Weckruf hört – so lange es noch nicht zu spät ist“, kündigt KZBV-Vorstandsvorsitzender Dr. Wolfgang Eßer an. ZBW: Herr Dr. Eßer, arztgruppengleiche Medizinische Versorgungszentren standen im Zentrum der Debatte in der Vertreterversammlung der KZBV in Köln. Sie sagten, dass das Thema stark bagatellisiert werde. Welche Problematik wird bei der Diskussion aus Ihrer Sicht zu wenig berücksichtigt? Dr. Eßer: Angesichts der Faktenlage lässt sich ohne Polemik feststellen: Mit der Ermöglichung arztgruppengleicher MVZ ist die Sicherstellung einer flächendeckenden wohnortnahen zahnärztlichen Versorgung in Gefahr! Inzwischen haben sich – bei ungebremster Dynamik – mehr als 500 solcher Einrichtungen gera- Fotos: KZBV/Jardai de dort etabliert, wo schon heute Überversorgung herrscht – in Großstädten, in Ballungsräumen, in einkommensstarken ländlichen Gebieten. Zur Sicherstellung der Versorgung in strukturschwachen Räumen leisten sie hingegen nicht den geringsten Beitrag! Im Rückblick bestätigt sich also unsere Befürchtung, dass die ursprüngliche Zielsetzung des Gesetzgebers klar verfehlt wird, mit Hilfe der MVZ die Versorgung in ländlichen und strukturschwachen Gebieten zu verbessern. Zumindest im vertragszahnärztlichen Bereich wird sogar genau das Gegenteil erreicht: Arztgruppengleiche MVZ fungieren hier als regelrechter Katalysator für Unterversorgung! Ihre Sogwirkung in Ballungsgebieten auf potenziell niederlassungsund anstellungswillige junge Zahnärztinnen und Zahnärzte lässt in Kombination mit dem fortschreitenden demografischen Wandel innerhalb des Berufsstandes mittelfristig Engpässe im ländlichen Raum und in strukturschwachen Gebieten erwarten. Das gilt für die neuen Länder, aber auch für viele strukturschwache Regionen im Westen. Besonders betroffen sind Flächenstaaten. Und anders als in der ärztlichen kann die zahnärztliche Versorgung auch nicht durch den stationären Bereich aufgefangen werden. Verschärft wird diese Fehlentwicklung jetzt auch noch zusätzlich durch kapitalstarke Groß- und Finanzinvestoren. Die erst mit den arztgruppengleichen MVZ etablierte Praxiskettenbildung war quasi der Startschuss für das Engagement ausländischer Finanz investoren im deutschen Dentalmarkt, da mit den Kettenstrukturen etablierte Marktpräsenz einfach eingekauft werden konnte. Diese Fremdinvestoren forcieren die Kettenbildung von ZBW 8-9/2018 www.zahnaerzteblatt.de
Berufspolitik 15 dig keine Versorgungsziele. Die Daten unserer unlängst vorgelegten Analyse zu besagten Fremdinvestoren belegen eindeutig, dass insbesondere Private-Equity-Gesellschaften massiv in den zahnärztlichen Markt investieren, indem sie Krankenhäuser aufkaufen, die in finanzielle Schieflage geraten sind und keinerlei Fachbezug zur Zahnmedizin vorweisen können. Diese Kliniken gründen dann wiederum MVZ oder sogar gleich eine ganze MVZ-Kette. Der Umweg über den stationären Sektor führt also letztlich in die ambulante zahnärztliche Versorgung – buy-and-build-Strategie nennt sich das im Fachjargon von Finanzjongleuren. Entsprechende Kapitalgeber haben mit solchen Konstrukten jedoch ausschließlich Renditemaximierung im Blick. Ihre Hebel sind eine umfassende Marktdurchdringung in kurzer Zeit, um dann das aufgebaute Netzwerk oder die MVZ-Kette in eine Gelddruckmaschine zu verwandeln. MVZ, die von Investmentfirmen gegründet wurden, konzentrieren sich ja nicht nur zufällig auf Leistungsbereiche, mit denen sich in der Regel hohe Gewinnmargen erzielen lassen. Die Implantologie sei hier als Beispiel genannt. Nach einer gewissen Haltezeit wird das Investment dann wieder abgestoßen und der Ertrag realisiert. Die Zerstörung bewährter Versorgungsstrukturen wird dabei billigend in Kauf genommen und einer industrialisierten Zahnmedizin der Weg bereitet. Ich übertreibe also nicht, wenn ich arztgruppengleiche MVZ oder reine Zahnarzt-MVZ als unmittelbare Bedrohung für die qualitativ hochwertige, flächendeckende zahnärztliche Versorgung bezeichne. Faktenlage. „Arztgruppengleiche MVZ gefährden die flächendeckende und wohnortnahe Versorgung der Bevölkerung“, betont Dr. Wolfgang Eßer. Das sei Faktenlage und lasse sich „ohne Polemik feststellen“. MVZ ganz bewusst. Insgesamt lassen sich derzeit mindestens sieben solcher Gesellschaften im heimischen Dentalmarkt identifizieren, davon fünf mit einem weltweiten Operationsradius. Wir sprechen hier über eine gewaltige Investitionssumme von etwa 85,8 Milliarden Euro, die diese Gesellschaften verwalten. Die Vergewerblichung eines weiteren Teils der Heilberufe und der medizinischen Versorgung wird also mit Nachdruck vorangetrieben. Dabei stehen wir den Internetauftritten dieser Groß- und Finanzinvestoren zufolge offensichtlich erst am Beginn einer großangelegten Investitionswelle im zahnmedizinischen Sektor. Fremdinvestoren bringen frisches Kapital in die Versorgung. Erst im Krankenhausbereich, jetzt werden die Geldströme in Pflegeheime und auch auf den Dentalmarkt gelenkt. Mehr Geld in der Versorgung – ist das nicht positiv zu sehen? Es ist ein Irrglaube zu hoffen, Fremdinvestoren würden ihr Kapital in den Gesundheitsmarkt einbringen, um Versorgung zu verbessern. Ihr Ziel ist es, im Umfeld eines ungünstigen allgemeinen Kapitalmarktes hohe und vergleichbar risikoarme Renditen zu erzielen. Ein Hedgefonds aus Bahrain hat in Deutschland offenkun- Wie meinen Sie, können die Bestrebungen von Fremdinvestoren und Fremdkapitalgebern bei der Gründung und beim Aufkauf von MVZ und Ketten eingedämmt werden? Zum einen und vorrangig sollte bei MVZ, in denen Zahnärztinnen und Zahnärzte tätig werden, wieder zu dem vormals wesensbestimmenden Merkmal einer fachübergreifenden Ausrichtung zurückgefunden werden. Zudem muss aus unserer Sicht der Marktzugang für Groß- und Finanzinvestoren, die ja ausschließlich Kapitalinteressen verfolgen, schnell geschlossen und die Kettenbildung unterbunden werden. Das kann erreicht werden, indem die Gründung von MVZ auf Leistungserbringer beschränkt wird, deren fachliches Spektrum in den MVZ auch alleine erbracht wird. Sofern Zahnarzt- MVZ weiterbestehen, würde das bedeuten, dass ausschließlich zugelassene Vertragszahnärztinnen und Vertragszahnärzte überhaupt gründungsberechtigt sind. Es ist unter Versorgungsgesichtspunkten doch in keiner Weise nachvollziehbar, warum die Gründung oder der Betrieb solcher Zahnarzt- MVZ durch Personen oder Einrichtungen möglich sein soll, die nicht den geringsten räumlichen oder fachlichen Bezug zur Versorgung haben. Mit dem GKV-Versorgungsstrukturgesetz wurde ja bereits versucht, Investoren ohne fachlichen Bezug zur medizinischen Versorgung zurückzudrängen. Tatsächlich aber nutzen jetzt viele Investoren Schlupflöcher wie etwa den erwähnten Umweg über den Aufkauf von Krankenhäusern oder Dialysezentren, um Zugang zum Dentalmarkt zu erlangen. Die Politik muss solche fragwürdigen www.zahnaerzteblatt.de ZBW 8-9/2018
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