8 Titelthema Die Rolle der Selbstverwaltung Wie der Sachverstand ins System kommt Die Selbstverwaltung hat Tradition im deutschen Gesundheitswesen – was nicht heißt, dass ihre Existenz im Laufe der Jahre unangefochten gewesen wäre. Die aktuelle Diskussion über die befürchtete Beschneidung ihrer Kompetenzen ist ein wiederkehrendes Phänomen; auch ihre Abschaffung wurde schon gefordert. Dabei hat die Selbstverwaltung eine extrem wichtige Funktion in der GKV: Sie sitzt an der Schnittstelle zwischen Staat und Individuum und bringt Sachverstand ins System. Sie steht für Demokratie und Freiberuflichkeit – Werte, die offensichtlich immer wieder neu erkämpft und verteidigt werden müssen, zunehmend auch auf europäischer Ebene. Und bisher ist Deutschland gut damit gefahren, wie der Blick über den Tellerrand zeigt. Das deutsche Gesundheitssystem gilt international als Erfolgsmodell. Im Euro Health Consumer Index (EHCI), der regelmäßig durch Vergleichsstudien europäischer Gesundheitssysteme erhoben wird, rangierte Deutschland in den letzten Jahren zwar nicht auf den Spitzenplätzen, konnte sich aber größtenteils im vorderen Bereich behaupten. In der jüngsten Erhebung (EHCI 2015) belegt Deutschland Platz 7; insgesamt standen 35 Länder hinsichtlich der Leistungsfähigkeit und Patientenfreundlichkeit ihrer Gesundheitssysteme auf dem Prüfstand. Lob. Der exzellente Zugang der deutschen Patienten zur medizinischen Versorgung wird indes ausdrücklich hervorgehoben: „Deutschland hat traditionell ein Gesundheitssystem, das im europäischen Vergleich die wenigsten Restriktionen aufweist und sich am stärksten am Verbraucher orientiert. In Deutschland können die Patienten fast jede Art von Behandlung bekommen, wann immer sie wollen“, konstatieren die Analysten des schwedischen Beratungsunternehmens Health Consumer Powerhouse. Für den EHCI werten sie alljährlich statistische Daten der Länder sowie der WHO (Weltgesundheitsorganisation) und der OECD (Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung) aus und führen Gespräche mit Patientenvertretern und Gesundheitspolitikern. Dass der Zugang zu medizinischen Leistungen, der in Ländern wie England (Platz 14) oder Schweden (Platz 10) zum Beispiel durch lange Wartezeiten problematisch sein kann, in Deutschland exzellent funktioniert, liegt nicht zuletzt an der Struktur des Gesundheitssys- Bild oben. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg. ZBW 11/2016 www.zahnaerzteblatt.de
Titelthema 9 tems. Anders als in England oder Schweden, wo sich das Gesundheitswesen fest in staatlicher Hand befindet, sind in Deutschland weitere Akteure, so Berufsverbände mit entsprechender Expertise und Krankenkassen, in die Steuerungs- und Verwaltungsaufgaben eingebunden. Bismarck beats Beveridge. Die gängigste Klassifizierung für Gesundheitssysteme lieferte die OECD 1987. Anhand der Finanzierungsmechanismen unterscheidet sie drei idealtypische Gesundheitssysteme: „Private Versicherung“, „Sozialversicherung“ und „Nationaler Gesundheitsdienst“. Letzterer geht auf den britischen Ökonom William Beveridge zurück und bezeichnet eine rein staatlich finanzierte Gesundheitsversorgung. Zwischen den beiden Extremen „privat“ und „national“ steht die „Sozialversicherung“, nach ihrem Begründer auch „Bismarckmodell“ genannt. Sie basiert auf dem Gedanken der Solidarität und finanziert sich über Krankenversicherungs-Pflichtbeiträge, die sich in ihrer Höhe am Einkommen des Versicherten orientieren. „Deutsches Murren“ Bei der Erhebung des Euro Health Consumer Index (EHCI) 2012 hatten deutsche Patientenorganisationen eine überraschend negative Einschätzung der Zugänglichkeit zu Gesundheitsleistungen in Deutschland abgegeben. Die Analysten vermuteten damals, dass keine wirkliche Verschlechterung aufgetreten war, sondern ein anderes Phänomen dahinter steckte. Im EHCI 2015 schreiben sie wörtlich: „Dies hätte ein Artefakt gewesen sein können, hervorgebracht durch die ‚Neigung der Deutschen zu murren‘, d. h., dass die tatsächliche Verschlechterung des traditi- Die Bismarcksche „Sozialversicherung“ ist in ihren Grundzügen im deutschen Gesundheitswesen realisiert, findet sich aber auch im niederländischen „Gezondheidszorg“, das seit einer großen Reform vor zehn Jahren als sehr leistungsfähig gilt. Während Deutschland bei der Behandlungsqualität etwas hinterherzuhinken onell hervorragenden Zugangs zur Gesundheitsversorgung weniger schwerwiegend war als die Öffentlichkeit anfänglich gedacht hat. Die negativen Reaktionen waren ein Artefakt des Schocks auf ‚es ist nicht mehr alles kostenlos‘. Die Umfrageergebnisse aus dem Jahre 2015 scheinen diese Theorie zu bestätigen und es scheint, dass deutsche Patienten festgestellt haben, dass ‚die Dinge nicht so schlimm sind‘ mit Frau Merkel als Königin von Europa.“ aus: „Euro Health Consumer Index (EHCI) 2015“, veröffentlicht im Januar 2016 scheint – dies wird unter anderem auf die Vielzahl relativ kleiner, nicht-spezialisierter Krankenhäuser zurückgeführt –, belegen die Niederlande seit Jahren Platz 1 im Gesamt-Ranking des Euro Health Consumer Index. Angesichts dieser konstanten Spitzenleistung brechen die EHCI-Analysten den Stab über die Sachverstand. Das niederländische Gesundheitswesen belegt im EHCI-Ranking seit 2008 den ersten Platz. Ein wichtiger Grund könnte sein, wie die Analysten spekulieren, dass operative Entscheidungen dort zu einem ungewöhnlich hohen Grad von medizinischen Fachleuten unter Beteiligung von Patienten getroffen werden. Gleichzeitig scheinen Finanzgeber, Politiker und Bürokraten weniger mitzuentscheiden als in fast jedem anderen europäischen Land. www.zahnaerzteblatt.de ZBW 11/2016
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